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Elisabeth Bokelmann

Aufstand der Richter. Frankreichs Justiz und ihr Verhältnis zum Staat 1946-1981

Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag 2008 (Campus Forschung 934); 254 S.; kart., 29,90 €; ISBN 978-3-593-38728-4
Die Autorin beschreibt den Wandel, den die französische Richterschaft in ihrer Selbstwahrnehmung und in ihrer Position im Staat in der Zeit von der Gründung der Vierten Republik bis zum Amtsantritt von Präsident Mitterrand vollzog. Im Zuge eines Modernisierungsprozesses sei ihre besondere Nähe zur staatlichen Sphäre abgelöst worden von einer neuen Bedeutung, verstanden als „Gegengewalt zum Staat“ (9). So lautete zumindest das Ziel, das der Richterverband Syndicat de la Magistrature 1971 formulierte. Dieser war angetreten, die Stellung der Justiz im Dreiecksverhältnis Politik – Justiz – Öffentlichkeit nachhaltig zu verändern. Zur Vorgeschichte dieser neuen Interessenvertretung, deren Ursprünge die Autorin in den Protesten 1968 verortet, habe das angepasste Verhalten der Justiz zur Zeit der Vichy-Regierung gehört, aber auch deren Überforderung im Algerien-Krieg. Da Algerien als Département Frankreichs verwaltet worden sei, sei die Justiz für die strafrechtliche Verfolgung aller Gewaltakte zuständig gewesen, für die Anschläge der algerischen Befreiungsfront wie für die Repressionsmaßnahmen des französischen Militärs. „Es erwies sich, dass die Justiz mit der Aufarbeitung der Gewalttaten überfordert war, doch blieb ihre Beteiligung unverzichtbar, um den Anschein der Rechtsstaatlichkeit aufrecht zu erhalten.“ (229) Ohnmächtig habe sich die Justiz im Sinne der Staatsräson instrumentalisieren lassen. Mit der Etablierung der Fünften Republik unter de Gaulle sei der Oberste Richterrat zudem unter die Weisungsbefugnis des Staatspräsidenten geraten. In der Richterschaft, die sich zu organisieren begann, sei diese Entwicklung als Krise eingeordnet und der Ursprung der Fehlentwicklung in der Abhängigkeit der Rechtsprechung von den politischen Gewalten erkannt worden. Die einsetzende Modernisierung habe auch einen Wandel der Auffassung über die Funktion der Gesetze eingeschlossen und eine größere Nähe zu den rechtsuchenden Bürgern hergestellt. Beendet worden sei der „Aufstand der Richter“ aber erst 1981, als die rechten Kräfte ihre politische Macht verloren.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.61 | 2.21 | 2.23 | 2.24 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Elisabeth Bokelmann: Aufstand der Richter. Frankfurt a. M./New York: 2008, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/29716-aufstand-der-richter_35191, veröffentlicht am 25.11.2008. Buch-Nr.: 35191 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken