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Götz Aly

Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus

Frankfurt a. M.: S. Fischer 2005; 445 S.; geb., 22,90 €; ISBN 3-10-000420-5
Wie erreichte die NS-Führung eine aus heutiger Sicht unverständlich hohe innenpolitische Integration? Und wie „wurde der kostspieligste Krieg der Weltgeschichte bezahlt, wenn die [deutsche] Mehrheit davon so wenig wie nur möglich spüren sollte?“ (37) Beide Fragen beantwortet Aly, Gastprofessor am Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt, in seiner Analyse der Besatzung der überfallenen Länder sowie des Vorgehens bei der Ermordung der europäischen Juden - erdacht von nationalsozialistischen Politikern, konkretisiert und verwaltet von willfährigen Beamten. Grundsätzlich ist Aly der Ansicht, dass es in Deutschland vor 1933 mehrheitlich keinen für Europa damals ungewöhnlichen Antisemitismus gab. Der Holocaust sei der ökonomischen Zwangslage gefolgt, in die das NS-Regime das Land gebracht habe. Große Teile der Bevölkerung (95 Prozent zählten nicht zu den verfolgten Minderheiten) profitierten von der Deportation der Juden – es standen mehr Lebensmittel zur Verfügung, der Hausrat und die Betriebe konnten vom Staat erstanden werden. So flossen die Milliardenbeiträge, die aus der Enteignung der Juden stammten, in die Kriegskasse. Außerdem war es den Soldaten erlaubt, aus den besetzten Ländern nach Hause zu schicken und zu schleppen, was sich auch nur transportieren ließ. Zudem mussten diese Länder ihre Besetzung bezahlen. Der Autor hat umfassendes Archivmaterial ausgewertet und belegt anhand konkreter Zahlen und Verwaltungsabläufe beeindruckend, wie die besetzten Länder ausgeplündert und ausgehungert wurden, um den Krieg größtenteils zu bezahlen sowie die Deutschen zu versorgen und mit weiteren sozialen Neuerungen zu versehen. Wiederholt lässt sich der Zusammenhang zwischen der Deportation der Juden, die das NS-Regime eigentlich für die Zeit nach dem Krieg geplant hatte, und der Nachfrage nach Wohnraum für Ausgebombte belegen. „Der Holocaust bleibt unverstanden, sofern er nicht als der konsequenteste Massenraubmord der modernen Geschichte analysiert wird.“ (318) Die Mehrheit der Deutschen habe davon profitiert und sich damit mindestens ihre Akzeptanz des Nationalsozialismus abkaufen lassen.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.312 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Götz Aly: Hitlers Volksstaat. Frankfurt a. M.: 2005, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/23353-hitlers-volksstaat_26783, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 26783 Rezension drucken