Skip to main content
Hermann Denz (Hrsg.)

Die europäische Seele. Leben und Glauben in Europa

Wien: Czernin Verlag 2002; 270 S.; brosch., 20,25 €; ISBN 3-7076-0104-8
Auch wenn "der Versuch, eine Bilanz über den Stand der Werte und Identitätsdiskussion in Europa zu ziehen, [...] kaum zu eindeutigen Ergebnissen" führt (244), lassen sich die Umrisse einer europäischen Seele erkennen. Ausgangsbasis dafür sind die Ergebnisse der aktuellen Europäischen Wertestudie. Befragt wurden im Herbst 1999 insgesamt 104.414 Personen in West- wie Osteuropa, zu jeder Person gibt es 230 Informationen. Diese Daten wurden mit denen aus den Jahren 1981 und 1990 verglichen, sodass Strukturen und Veränderungen der Einstellungen in den verschiedenen Lebensbereichen sichtbar werden. Dabei relativieren sich Schlagzeilen, die immer wieder einmal die Zeitungen beherrschen. Angesichts des Zahlenmaterials bleibt von der Spaßgesellschaft nicht viel übrig. So ist für die Europäer die Familie nach wie vor eindeutig wichtiger als jeder andere zentrale Lebensbereich wie Arbeit oder Freizeit (145). Die Wichtigkeit der Arbeit ist im Zeitverlauf von 1990 bis 1999 leicht gesunken, gleichzeitig aber stieg vor allem bei jüngeren Leuten die Wertschätzung von Arbeit am stärksten (63). Arbeitslosigkeit wird nach wie vor eher als individuell verschuldet angesehen und nicht als strukturell verursacht. "Es kann durchaus von einer mangelnden Solidarität gegenüber Arbeitslosen gesprochen werden." (156) Auch dies gehört zur europäischen Seele, wenn die Seele als gesamter Bereich dessen gesehen wird, was das Fühlen, Empfinden und Denken eines Menschen ausmacht (13). Damit ist die europäische Seele, so schwer sie auch zu fassen sein mag, auf jeden Fall viel mehr, als der eingeschränkte Identitätsbegriff im Sinne einer außenpolitischen Selbstbehauptung ausdrückt, mit dem auf der Ebene der Europäischen Union hantiert wird. Und wenn Identität die Verbundenheit des Einzelnen mit einem Kollektiv bedeutet, so die Analyse, verlangt das Konzept einer umfassenden politischen Gemeinschaft - die seit dem Vertrag von Maastricht erklärtes Ziel ist - einen weitergehenden Begriff von Identität als bisher (241 ff.). Eine wichtige Voraussetzung dafür aber ist, so die Forderung, mehr Bürgernähe und Demokratie in der Europäischen Union. Inhalt: Hermann Denz: Die Europäische Wertestudie - Inhaltliche und methodische Reflexionen (11-21). Die Sehnsucht nach Sinn: Paul Michael Zulehner: Wiederkehr der Religion? (23-41); Rudolf Kern: Arbeitswerte (43-64). Die Sehnsucht nach Ordnung: Michaela Watzinger: Säulen der Ordnung - Werte, Normen und Institutionen (65-93); Hermann Denz: Krise der Demokratie - Wiederkehr der Führer (95-118). Die Sehnsucht nach Sicherheit: Christine Goldberg / Ulrike Kratzer / Liselotte Wilk: Familie als Beziehung zwischen den Geschlechtern und Generationen (119-147); Joachim Gerich / Fritz Hemedinger: Soziale Sicherheit zwischen Selbstverantwortung, Zivilgesellschaft und Staat (149-178). Un-sichtbare Grenzen? Miklós Tomka: Wertepräferenzen in "Ost" und "West" (179-203); Ursula Hamachers-Zuba / Wolfgang Moll: Weibliche und männliche Wertewelt in Europa (?) (205-230); Christine Goldberg / Ulrike Kratzer: Die Frauenrolle (231-239). Ausblick: Heinrich Neisser: Auf der Suche nach Europa (241-254).
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.23 | 2.62 | 2.61 | 3.1 | 2.2 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Hermann Denz (Hrsg.): Die europäische Seele. Wien: 2002, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/16345-die-europaeische-seele_18769, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 18769 Rezension drucken