Die uneingeschränkte Solidarität, die europäische Regierungschefs nach dem 11. September 2001 gegenüber den USA bekundeten, bekam früh Risse. Die aggressiv-manichäische Rhetorik der Bush-Administration hatte jenseits des Atlantiks bereits kurz nach den Terroranschlägen für Dissonanzen gesorgt und als die USA mit einer Koalition der Willigen in den Irak einmarschierte, war der Westen „gespalten“ (Habermas). Europaweit kam es zu Anti-Kriegs-Demonstrationen, die von Jürgen Habermas, Jacques Derrida, Umberto Eco und anderen Intellektuellen in einem gemeinsam verfassten Manifest als „Wiedergeburt Europas“ gedeutet wurden. Die gefeierte Renaissance der Zivilmacht Europa wurde jedoch schnell von antiamerikanischen und islamfeindlichen Stimmen getrübt, die das konkrete Handeln der US-Regierung respektive Al Kaidas auf eine den USA respektive dem Islam innewohnende Essenz von Gewalt und Expansion zurückführten. Diesen beiden Diskurssträngen sind die Beiträge des Sammelbandes gewidmet. Im Mittelpunkt stehen die Deutungen der Anschläge vom 11. September und ihre Konsequenzen in ausgewählten Ländern Europas. Detailliert wird dabei auf Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Österreich und Polen eingegangen. Die Schwäche der Beiträge besteht darin, dass die Autoren keine Angaben über die Auswahl des analysierten Textkorpus machen. Dennoch, in seiner Gesamtheit lässt der Band auf die interessante These schließen, dass das eingangs zitierte, wiedergeborene europäische „Wir“ am Schnittpunkt eines islamkritischen und eines amerikakritischen Diskurses konstruiert wird, deren Deutungsangebote sich zum Teil jenseits der Grenzen legitimer Kritik bewegen und sich mitunter in Essentialisierungen der beiden „Sie-Gruppen“ zergehen.