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/ 11.06.2013
Sibylle Tönnies

Der westliche Universalismus. Die Denkwelt der Menschenrechte

Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2001; 286 S.; 3., überarb. Aufl.; brosch., 30,58 €; ISBN 3-531-32988-X
Die in dritter Auflage erscheinende ideengeschichtliche Darstellung der Geschichte der Menschenrechtsidee liefert einen profunden Überblick über den Gedanken universal gültiger Rechte seit der Antike (zur Erstauflage siehe ZPol 2/96: 557). Verdienstvoll ist besonders der erste Teil, in dem die Wurzeln des "westlichen Universalismus" systematisch freigelegt werden, deren wichtigste für Tönnies die Stoa, das Ius Gentium und das Christentum sind. In diese Auflage neu eingearbeitet wurde das Kapitel "Universalismus als Oktroy" (114-132), das auf die NATO-Intervention im Kosovo Bezug nimmt. Tönnies begrüßt die militärische Intervention, auch wenn sie die damit einhergehende Delegitimierung des Völkerrechts für problematisch hält, sowohl als Durchsetzung des Universalismus in der theoretischen Diskussion als auch als praktische Durchsetzung westlicher Universalien in der Welt der Politik: "In der Wende zum einundzwanzigsten Jahrhundert haben sich fast alle Wissenschaftler [...] hinter die Menschenrechtsidee gestellt und ihre marxistischen, positivistischen oder postmodernen Bedenken über Bord geworfen. [...] [W]ie im christlichen Abendland gibt es wieder etwas, quod semper, quod ubique, quod ab omnibus creditum est. Die westliche Welt hat wieder eine Idee, die sie zusammenhält." (130) Diese Feier westlicher Universalien steht nicht zufällig am Übergang zu dem weitaus problematischeren zweiten und dritten Teil der Arbeit, (133-202) und (208-269), in dem Tönnies ihr an den traditionellen Menschenrechtsbegründungen gewonnenes Konzept eines Universalienrealismus gegen zeitgenössische konkurrierende Theorien des Universalismus beziehungsweise gegen Angriffe von der Warte des Partikularismus verteidigen will. Der lesenswerten Studie hätte hier etwas mehr Bescheidenheit angestanden - eine historische Verfolgung der Entwicklung universalistischer Ideen ist verdienstvoll und bedarf zu ihrer Legitimierung nicht der zweifelhaften, häufig polemisch geratenen Abgrenzung gegen Theorien, die den Universalismus mit systematischen Argumenten zu verteidigen suchen. Die beleidigende und an vielen Stellen nicht sachhaltige Auseinandersetzung mit Jürgen Habermas (176-191) etwa - Tönnies spricht beispielsweise von "APO-Ideologie" (184) - leistet an keiner Stelle, was eine kritische Diskussion konkurrierender Theoriemodelle eigentlich zu leisten hätte. Mag Habermas Universalpragmatik auch mit guten Gründen angezweifelt werden können, so läuft doch die Charakterisierung seiner Theorie des kommunikativen Handelns als einer empirischen Theorie völlig ins Leere. Ihr Versuch, Habermas Diskurstheorie des Rechts als "rationales Naturrecht reinsten Wassers" (183) zu entlarven, ist angesichts Habermas' Bemühungen um eine postmetaphysische Reformulierung traditioneller Ideen ebenso verfehlt wie ihre in dieselbe Stossrichtung zielende Behauptung, beim Sprechen handele es sich um eine anthropologische Fähigkeit unter vielen. Beide Argumente deuten darauf hin, dass die Autorin den Linguistic Turn in der Philosophie nonchalant übergeht. Mit solchen Bemerkungen manövriert sich die Ideengeschichtlerin Tönnies ins philosophische Abseits - deutlich auch in ihrem Versuch, Habermas an Rousseau zu assimilieren: "[I]n Rousseauscher Manier werden die Ergebnisse des Diskurses keineswegs unzensiert für maßgeblich gehalten, sondern nach unausgewiesenen Kriterien auf ihre Vernünftigkeit hin beurteilt und ausgesiebt, was bei Rousseau durch die ebenso unausgewiesene Unterscheidung zwischen volunté [sic!; 3. Auflage] générale und volunté [sic!] de tous geschah." (184 f.)
Florian Weber (FW)
M. A., wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 5.15.42 Empfohlene Zitierweise: Florian Weber, Rezension zu: Sibylle Tönnies: Der westliche Universalismus. Opladen/Wiesbaden: 2001, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/11451-der-westliche-universalismus_13588, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 13588 Rezension drucken
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