/ 22.06.2013
Anke Graneß
Das menschliche Minimum. Globale Gerechtigkeit aus afrikanischer Sicht: Henry Odera Oruka
Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag 2011; 381 S.; EUR 39,90 €; ISBN 978-3-593-39395-7Der 1995 verstorbene Kenianer Henry Odera Oruka ist einer der meist rezipierten Philosophen Afrikas. Sein Projekt einer Weisheitsphilosophie unterscheidet sich fundamental von dem naiven Multikulturalismus der Negritude-Bewegung und der afrikanischen Ethnophilosophie. Während deren Vertreter auf einer ethnisch verankerten Diversität afrikanischen Denkens beharren, begreift Odera Oruka die Philosophie sogenannter weiser Männer und Frauen als eine kritisch-reflexive und individuelle Denkleistung und grenzt diese scharf von der schlichten Wiedergabe tradierter Mythen und Volksweisheiten ab. Während diese Perspektive auf die afrikanische Philosophie breit diskutiert wurde, ist Odera Orukas allgemeine Gerechtigkeitstheorie zumindest im euro-amerikanischen Raum kaum beachtet worden – zu Unrecht, behauptet Graneß. Die Philosophin und Afrikanistin vergleicht die Ethik Odera Orukas mit den Gerechtigkeitstheorien John Rawls‘, Amartya Sens und anderen. Im Unterschied zu diesen vorherrschenden Ansätzen räumt der Kenianer körperlichen Bedürfnissen eine absolute Priorität gegenüber politischen Rechten und Freiheiten ein. Für „ihn [steht] die Sicherung eines ‚menschlichen Minimums‘ an erster Stelle, und zwar vor jeglichen Freiheitsrechten, dem Recht auf Eigentum oder der nationalen Souveränität“ (13). Die Radikalität seines Denkens besteht somit darin, dass im Falle eines Konflikts zwischen diesen Werten immer zugunsten des „menschlichen Minimums“ (physische Sicherheit, Gesundheitsfürsorge und Subsistenz) entschieden werden müsste, da ein Individuum, dem die Erfüllung dieser grundlegenden Bedürfnisse verweigert würde, die Fähigkeit zu einem freien Handeln nicht entwickeln könnte. Obwohl Odera Oruka aus dieser Warte gegen die Unantastbarkeit des Eigentumsrechts argumentiert, denkt er aus Graneß’ Sicht nicht konsequent genug. Während Odera Oruka ein Konzept der Verteilungsgerechtigkeit vorlegt, aus dem er die moralische Pflicht zur Unterstützung armer Länder ableitet, argumentiert Graneß streng marxistisch: „Ohne eine Änderung von Produktions- und Eigentumsverhältnissen“, so der Standpunkt der Philosophin, „werden die Ursachen der als ungerecht bezeichneten Umstände nicht behoben“ (357).
Marius Hildebrand (HIL)
M. A., Politikwissenschaftler, Doktorand, Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.42 | 5.46 | 4.44 | 5.43
Empfohlene Zitierweise: Marius Hildebrand, Rezension zu: Anke Graneß: Das menschliche Minimum. Frankfurt a. M./New York: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/33775-das-menschliche-minimum_40459, veröffentlicht am 15.12.2011.
Buch-Nr.: 40459
Inhaltsverzeichnis
Rezension drucken
M. A., Politikwissenschaftler, Doktorand, Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Universität Hamburg.
CC-BY-NC-SA