/ 12.06.2013
Kōjin Karatani
Auf der Suche nach der Weltrepublik. Eine Kritik von Kapital, Nation und Staat. Übersetzt von Martin Roth
Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2012 (Leipziger Ostasien-Studien 16); 254 S.; brosch., 29,- €; ISBN 978-3-86583-738-7Kōjin Karatani – einer der bedeutendsten zeitgenössischen japanischen Philosophen und Literaturkritiker – unternimmt den Versuch, die gegenwärtige weltgeschichtliche Lage mit Blick auf das Zusammenspiel von Staat, Nation und Kapital neu zu reflektieren. Dazu sei es „allerdings zwingend nötig, die Weltgeschichte nicht aus der Perspektive der ‚Produktionsweisen‘, sondern aus der der ‚Austauschformen‘ zu betrachten.“ (20) Dahinter steht keineswegs der Versuch, „Weltgeschichte aus der Perspektive eines Historikers“ (44) zu schreiben; vielmehr will Karatani die kapitalistische Moderne über ihre Zirkulations‑ oder Austauschmodi – die ganz unterschiedliche, freiwillige oder unfreiwillige Übergänge von Gütern zwischen Personen bezeichnen – angemessen verstehen und damit insbesondere den Umbruch vom modernen Weltsystem hin zur Weltrepublik näher beleuchten. Dabei kommt er – auf Basis einer umfassenden kritischen Lektüre westlicher Staats‑ und Gesellschaftsphilosophen von Hobbes über die deutschen Idealisten bis hin zu Proudhon, Marx, Wallerstein und Chomsky – zu einem ernüchternden Befund: „Ein auf dem Reziprozitätsprinzip basierendes Weltsystem, also eine Weltrepublik, lässt sich nicht ohne Weiteres verwirklichen.“ (249) Seine Kapitalismuskritik ist in ihrem Ergebnis keineswegs fatalistisch; Widerstand gegen das kapitalistische Produktionssystem und die von ihm hervorgebrachten gesellschaftlichen Verhältnisse sind dem Autor ein zentrales Anliegen, nur versucht er eine realistische Einschätzung der jeweiligen Reichweiten eines solchen Widerstands. Boykott etwa, so Karatani, könne einerseits den bewussten Verzicht auf den Kauf einer Ware bedeuten. Genauso ließe er sich jedoch auch als Verzicht auf den Verkauf der eigenen Arbeitskraft interpretieren. Für eine Gesellschaft, in der solch ein Boykott in beiden Dimensionen möglich würde, gelte es allerdings – so die doch recht nebulöse Formulierung – erst noch die Voraussetzungen zu schaffen. Dass sich dies nicht auf revolutionärem, gewaltsamem Wege erreichen lässt, ist für Karatani immerhin unstrittig. Der Band ist auf hohem theoretischem Niveau verfasst – ohne dass die praktischen Konsequenzen immer auch adäquat mitgedacht würden. Das aber ist nur eine marginale Kritik an einem theoretisch fokussierten Entwurf, bei dem die politische Praxis nicht dezidiert im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses steht.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.41 | 4.1 | 5.45 | 5.33
Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Kōjin Karatani: Auf der Suche nach der Weltrepublik. Leipzig: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/14549-auf-der-suche-nach-der-weltrepublik_43534, veröffentlicht am 08.05.2013.
Buch-Nr.: 43534
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Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
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