/ 22.06.2013
Rolf Rauschenbach
Mit direktdemokratischen Verfahren zu postkonventionellen politischen Kulturen. Theoretische Überlegungen anhand von Jürgen Habermas und Lawrence Kohlberg
Berlin: Duncker & Humblot 2010 (Beiträge zur Politischen Wissenschaft 163); 288 S.; 78,- €; ISBN 978-3-428-13248-5Diss. St. Gallen; Gutachter: P. Gross, Ph. Mastronardi. – Der Autor verfolgt mit seiner normativ akzentuierten demokratietheoretischen Analyse zwei Ziele. Einerseits will er unter Bezugnahme auf die Theorien von Habermas und Kohlberg den Begriff der politischen Kultur auf eine „postkonventionelle politische Kultur“ (13) hin zuspitzen, da nur diese Zuspitzung angesichts der Komplexität (post)moderner Gesellschaften analytisch hinreichend sei. Zum anderen will er den Nachweis führen, dass direktdemokratische Verfahren das Entstehen postkonventioneller politischer Kulturen befördern. „Im weiteren Sinne“, so der Autor in der Einleitung, „geht es um die Frage nach dem guten und gerechten Staat und wie von Vernunft und Fairness geleitete Politik möglich wird.“ (14) Da der Autor den Anspruch formuliert, in den sieben Kapiteln des Buches die „Grundlagen vernünftiger Politik aufzuzeigen“ (16), ergibt sich eine ganz grundsätzliche Frage: vernünftig für wen? Adressaten vernünftiger Politik, die hier gerade nicht substanziell ausbuchstabiert, sondern als kontingenter Lernprozess konzipiert wird, sind die Bürger selbst, insofern sie an der Gestaltung des Gemeinwesens in direktdemokratischen Verfahren zu partizipieren vermögen. Indem die Bürger in der direkten Demokratie der „positiven pädagogischen Zumutung“ (227) ausgesetzt sind, selbst Entscheidungen treffen und sich die Entscheidungsgrundlagen erarbeiten zu müssen, ermöglicht die gelebte demokratische Teilhabe erst die Entwicklung einer in diesem Sinne demokratischen psychologischen Disposition des Einzelnen. Durch diese psychologische Disposition befähigt sich der Bürger selbst zu einem Verhalten, das nicht mehr bloß auf eine systemkonforme Funktionalität, sondern auf die Möglichkeit einer substanziellen Systemkritik ausgerichtet ist. Bis zu diesem Punkt mag man der Argumentation in ihrem selbstaufklärerischen Impetus ja noch zustimmen. Die wesentlich interessantere Frage, inwieweit der Bürger angesichts von systemischen Zwängen und abgeschlossenen Kommunikationszusammenhängen in komplexen Gesellschaftsgefügen überhaupt noch Steuerungsleistungen zu erbringen vermag, ist damit nicht nur nicht gestellt, sie ist auch nach wie vor unbeantwortet.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.21 | 2.23 | 5.41
Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Rolf Rauschenbach: Mit direktdemokratischen Verfahren zu postkonventionellen politischen Kulturen. Berlin: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/33195-mit-direktdemokratischen-verfahren-zu-postkonventionellen-politischen-kulturen_39683, veröffentlicht am 22.12.2010.
Buch-Nr.: 39683
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Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
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