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/ 19.06.2013
Helmut Kohl

Erinnerungen. 1930-1982

München: Droemer 2004; 684 S.; geb., 28,- €; ISBN 3-426-27218-0
Obwohl Kohl zur Zeit seiner Kanzlerschaft mehrfach ausgeschlossen hatte, Memoiren zu verfassen, liegt nun der erste Band seiner Erinnerungen vor. Die Motivation hierzu legt er deutlich offen: „Es sind so viele Klischees über meinen Werdegang und meine Regierungszeit in die Welt gesetzt worden, dass die Legenden über die historischen Zusammenhänge bereits zu verdrängen drohen, wie es wirklich war." (11) Der Zeitraum des ersten Bandes reicht von der Kindheit über die ersten politischen Stationen als Landespolitiker in Rheinland-Pfalz hin zum Ministerpräsidenten in Mainz, der erfolglosen Kanzlerkandidatur 1976 und der sich anschließenden Tätigkeit als Oppositionsführer in Bonn bis zum erfolgreichen konstruktiven Misstrauensvotum 1982. Der Text eröffnet keinen sensationellen Blick hinter die Kulissen und bietet nur selten bislang unbekannte Fakten zur bundesrepublikanischen Politik. Kohl geht es mehr um die Akzentuierungen und Gewichtungen von Einflüssen, politischen Kräften und Konsequenzen, oftmals um „Richtigstellungen" in seinem Sinne. Daneben finden sich aber auch eine Reihe selbstkritischer Anmerkungen. Eingewebt in die Darstellung ist das schon früh erkennbare und dann mit Geduld und Zielstrebigkeit verfolgte Ziel, Kanzler zu werden. So berichtet er etwa mit Blick auf das Jahr 1981: „Bei aller äußeren Zurückhaltung in dieser Frage hatte ich das Ziel Kanzleramt nicht aus den Augen verloren. Ich wollte Bundeskanzler werden. Sollte es noch in der laufenden Legislaturperiode zu einem Regierungswechsel kommen, würde an mir niemand vorbeikommen." (585) Dieses Leitthema ist von einigen Merkmalen des Politikverständnisses und des Regierungsstils Kohls unterlegt. Deutlich wird etwa die nicht zuletzt dem Muster seines Mainzer Aufstiegs folgende zentrale Position, die die Landtags- bzw. Bundestagsfraktion auch für den Regierenden hat. Wiederkehrendes Element des politischen Engagements sind die jeweils detailliert vermerkten Abstimmungs- und Wahlergebnisse, deren Bedeutung zwischen „Rückenwind" und „Abstrafung" klar hervortritt. Biografische Prägungen durch das Elternhaus oder aber durch den Tod des Bruders zu Beginn des Zweiten Weltkrieges sind als feste Orientierungspfosten im Wirken des späteren Politikers zu erkennen. Inhaltlich und konzeptionell durchziehen den Text einige Grundaussagen, die der einstige Rebell gegen die Honoratiorenpartei der Nachkriegszeit bis zum Beginn der 80er-Jahre beibehalten hat. Das stark personenorientierte Politikverständnis Kohls wird nicht zuletzt in den Schilderungen der Auseinandersetzungen mit Peter Altmaier oder Franz-Josef Strauß deutlich. Die ständige Auseinandersetzung mit Strauß um die „vierte Partei" und Kohls letztendliche Unterstützung der Kanzlerkandidatur 1980 deuten darauf hin, inwieweit das Wegstecken von Niederlagen, Geduld und das richtige Timing wesentlich für Politik sind, von der Kohl an anderer Stelle sagt, dass sie „zu mindestens 80 Prozent darin besteht, Brücken zu bauen, Kompromisse zu schließen" (497). Kohl geht auch auf die Kritik am so genannten „System Kohl" ein: „Gleichgesinnte um sich versammeln, Freunde in Ämter wählen, Vertraute fördern" - dies sei für ihn „notwendige Selbstverständlichkeit" (112), zudem durch Wahlen mehrfach legitimiert worden und nicht zuletzt erfolgreich gewesen. Und etwas später: „Sicherlich gehörten auch Schlitzohrigkeit, Cleverness und Härte dazu, aber meinen Einfluss auf Menschen übte ich offen und für jedermann durchschaubar aus." (171)
Manuel Fröhlich (MF)
Prof. Dr., Juniorprofessur für Politikwissenschaft, Universität Jena (www.manuel-froehlich.de).
Rubrizierung: 2.32.313 Empfohlene Zitierweise: Manuel Fröhlich, Rezension zu: Helmut Kohl: Erinnerungen. München: 2004, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de//index.php?option=com_content&view=article&id=20726, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 24174 Rezension drucken
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