/ 22.06.2013
Stefan Scheil
Transatlantische Wechselwirkungen. Der Elitenwechsel in Deutschland nach 1945
Berlin: Duncker & Humblot 2012; 275 S.; 28,- €; ISBN 978-3-428-13572-1Auf dem Einband dieser Studie zu den geistigen Grundlagen der Bildungspolitik in Deutschland nach 1945 schauen deutsche Kriegsgefangene in ein Buch mit dem Titel „A Short History of American Democracy“. Einerseits wird damit sofort klar, dass Stefan Scheil die Neuanfänge in den drei westlichen Besatzungszonen, der späteren Bundesrepublik, mit „re-education“ und der zentralen Konferenz von Waldleiningen (1949) im Sinn hat – andererseits entsteht ein unnötiges Missverständnis: Die Protagonisten der Bildungspolitik im Nachkriegsdeutschland wurden nicht (wie auf dem Foto suggeriert) von Amerikanern verschleppt, um deren Demokratieverständnis zu erlernen. Die – politisch keineswegs monochromen und in ihrem „Netzwerk“ oft zerstrittenen – Sozialwissenschaftler zwang vielmehr das Hitler-Regime in die Emigration. Die Schicksale von Arnold Bergstraesser, Ernst Fraenkel, Herbert Marcuse, Franz L. Neumann, Eric Voegelin u. a. listet Scheil ebenso auf wie die Nachkriegskarrieren (anhand einer Liste der politikwissenschaftlichen Lehrstühle im Jahr 1959). Ohne Überraschungen und doch eindrucksvoll belegt Scheil die ganz offen erwartete Westbindung in allen Bildungsbelangen: bei der Neugründung der Politikwissenschaft als Demokratiewissenschaft („Legitimationswissenschaft alliierter Nachkriegsentscheidungen“, 66), im Konzept der „cultural diplomacy” (144), im Fulbright-Programm oder bei der Atlantik-Brücke. Ein vernachlässigtes Problem greift Scheil mit Reaktionen auf die Hakenkreuzaffären (insbesondere Köln 1959) auf. Während die auf Götz Aly und Clemens Albrecht rekurrierenden Wertungen zum „Linksfaschismus“ in der politischen Bildung einleuchten (für Scheil kamen fortan liberalkonservative Ideen zu kurz), bleiben Aussagen zum Bild des Judentums in der Bildungspolitik vage. Eine „gescheiterte Heilung der Nation“ (200) vermag der Rezensent nicht zu erkennen, da die heutige „Einheit in Freiheit“ ganz wesentlich auf den Ideen der Adenauerzeit fußt. Offen bleibt zudem, worin der deutsche Anteil innerhalb der „transatlantischen Wechselwirkung“ in Richtung Amerika bestand. Das ambivalente Verhältnis zur eigenen Nation kann nicht gemeint sein.
Sebastian Liebold (LIE)
Dr., Politologe und Zeithistoriker, wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 2.313 | 1.1 | 2.331
Empfohlene Zitierweise: Sebastian Liebold, Rezension zu: Stefan Scheil: Transatlantische Wechselwirkungen. Berlin: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/34989-transatlantische-wechselwirkungen_42089, veröffentlicht am 07.06.2012.
Buch-Nr.: 42089
Inhaltsverzeichnis
Rezension drucken
Dr., Politologe und Zeithistoriker, wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Technische Universität Chemnitz.
CC-BY-NC-SA