Der mittlerweile 75jährige, als Politik- und Islamwissenschaftler ausgebildete Scholl-Latour verfaßte bereits 1951 seine ersten journalistischen Türkei-Reportagen. Der neue Band, "nicht akademisch und abstrakt, sondern aus eigenem Erlebnis und mit persönlicher Anteilnahme" (5) geschrieben, beruht auf neuesten Recherchen des Autors: 1998 im kurdischen Aufstandsgebiet Südost-Anatoliens sowie 1999 im Kosovo, wo er sowohl auf deutsche als auch auf türkische Truppen stieß. Vor dem Hintergrund ihrer historischen und geographischen Spannweite vermittelt Scholl-Latour in einer lebensnahen Darstellungsweise die Bruchlinien der gegenwärtigen türkischen Gesellschaft zwischen einem säkularen republikanischen Kemalismus und der Wiedergeburt der islamischen Umma. Die Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern des Staatsgründers und "Vaters der Türken", Mustafa Kemal, sowie den immer stärker an Einfluß gewinnenden islamistischen Aktivisten ebenso wie der Dauerkonflikt mit religiösen und ethnischen Minderheiten in der Türkei ist längst auch zu einem Problem der deutschen Innenpolitik geworden. Ein besonderes Interesse gilt der in der Rezeption weitgehend unbeachtet gebliebenen mystischen Glaubensgemeinschaft der Aleviten.