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Sandra Augustin-Dittmann

Politikwandel zwischen Kontingenz und Strategie. Zur Etablierung der Ganztagsschule in Deutschland

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2011 (Policy Analyse 1); 282 S.; brosch., 44,- €; ISBN 978-3-8329-6674-4
Diss. TU Braunschweig; Begutachtung: N. C. Bandelow, K. Lompe. – Als Reaktion auf den PISA-Schock wurde im Zuge des Investitionsprogramms „Zukunft Bildung und Betreuung“ (IZBB) der Ausbau von Ganztagsschulen vorangetrieben, was die nordrhein-westfälische Schulministerin Barbara Sommer (CDU) als Paradigmenwechsel und Revolution in der Schullandschaft bezeichnete. Vor dem Hintergrund einer rigorosen Ablehnung des IZBB vonseiten der CDU vor der Durchsetzung und in den ersten Jahren seiner Laufzeit ist die Aussage der Schulministerin mehr als nur erstaunlich. Augustin-Dittmann erklärt, warum die Bereitschaft der deutschen Bildungspolitik, auf die externen Reformimpulse einzugehen, plötzlich so groß wurde. Sie untersucht den Kurswechsel von der beinahe als alternativlos angesehenen Halbtagsschule zur Etablierung der Ganztagsschule in Deutschland. Für die Beantwortung der Frage benutzt die Autorin die Logik des Multiple-Stream-Ansatzes, die es erlaubt, die Lage, das Handeln der Akteure und Akteurinnen, die strukturellen Entwicklungslinien und ihre wechselseitige Beeinflussung zu erfassen. Insgesamt stellt sie mithilfe einer klugen Verknüpfung von empirischen Ergebnissen und analytischem Raster heraus, dass der Kurswechsel mehrere Gründe hatte: unter anderem bot der Ausbau von Ganztagsschulen eine Antwort auf den PISA-Schock und auf die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, auch hat die Idee der Ganztagsschule im Policy-Strom einen Softening-Up-Prozess durchlaufen und galt deshalb als umsetzungsreif; zudem öffnete sich mit den PISA-Ergebnissen ein Window of Opportunity, in dessen Rahmen sich ein bildungspolitisch enorm reformfreundliches Klima bot. Darüber hinaus spielte die damalige Bundesministerin für Bildung und Forschung Edelgard Bulmahn in doppelter Hinsicht eine wichtige Rolle beim Reformvorhaben. Einerseits agierte sie als engagierte politische Unternehmerin, die klug zwischen Bund und Ländern vermittelte, andererseits brachte sie strukturelle Reformen auf den Weg, ohne die der Politikwandel nicht möglich gewesen wäre. Über diese Erkenntnisse hinaus betont die Autorin, dass durch die Einführung der Ganztagsschule der konservative Sozialstaat nachhaltig verändert und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert wurde: „Aus dieser De-Familialisierung, also der Reduzierung der Aufgaben, die der Sozialstaat der Familie und somit vor allem der Frau zuweist, folgt ein Wandel des Geschlechterregimes.“ (251)
Ines Weber (IW)
M. A., Politikwissenschaftlerin (Kommunikationswissenschaftlerin, Psychologin), wiss. Mitarbeiterin, Institut für Sozialwissenschaften, Christian-Albrechts-Universität Kiel.
Rubrizierung: 2.343 Empfohlene Zitierweise: Ines Weber, Rezension zu: Sandra Augustin-Dittmann: Politikwandel zwischen Kontingenz und Strategie. Baden-Baden: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/14511-politikwandel-zwischen-kontingenz-und-strategie_41878, veröffentlicht am 19.04.2012. Buch-Nr.: 41878 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken