Skip to main content

Welche Friedenslösungen für den Russland-Ukraine-Krieg? Gedanken zu Strategien des Friedenschließens

19.06.2023
1 Ergebnis(se)
Autorenprofil
Prof. Dr. Beatrice Heuser
Bild: Flavio Botana auf Pixabay.

Wie kann ein Frieden in der Ukraine ausgestaltet sein? Die Historikerin und Politikwissenschaftlerin Beatrice Heuser betrachtet vorliegend für SIRIUS- Zeitschrift für strategische Analysen, was es für einen Friedensschluss von Dauer bräuchte, welche Perzeptionen auf beiden Seiten dabei aktuell maßgeblich vorhanden sind und welche politische Strategie sich daraus vorerst für den Westen als gangbar erweisen könne. Ein besonderes Augenmerk kommt bei den hier vorgetragenen Überlegungen insbesondere der bis dato zutage tretenden Unnachgiebigkeit Russlands zu. (tt)


Eine Analyse von Beatrice Heuser


Einleitung

In der aktuellen Diskussion um den Ukraine-Krieg wird vor allem in Deutschland immer wieder die Forderung erhoben, es müsse nun endlich Schluss mit dem Krieg sein. Viele fordern eine diplomatische Initiative mit dem Ziel, dass sich beide Seiten „an einen Tisch setzen“. Schließlich sei Diplomatie dem Krieg vorzuziehen. Und viele der Befürworter dieser These meinen, dass es einen allseitigen „Interessenausgleich“ geben könne und die Ukraine auch schmerzhafte Kompromisse eingehen müsse, unter anderem den Verlust von Territorien. Kritiker dieser Argumentation wenden ein, dass angesichts der maßlosen Zielvorstellungen Russlands (die der Ukraine die eigene Staatlichkeit und Existenz als Nation abstreiten) ein Verhandlungsfrieden nicht möglich sei. Außerdem dürfe es nicht Ziel deutscher Politik sein, über den Kopf der Ukrainer hinweg Empfehlungen über territoriale Verzichte abzugeben.

Im Folgenden wird im ersten Schritt plastisch dargestellt, wie in der gegenwärtigen Situation Friedensschlüsse zur Beendigung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine am „Verhandlungstisch“ aussehen könnten. Vier unterschiedliche Szenarien werden vorgestellt. Doch keines davon lässt Konturen einer dauerhaften Befriedung erkennen, vielmehr tragen alle den Keim künftiger Kriege in sich. Der zweite Schritt beleuchtet vor dem Hintergrund jahrhundertelanger Bemühungen in Europa um die Beendigung von Kriegen und die Herstellung dauerhafter Friedenszustände die Bedingungsfaktoren für erfolgversprechende Friedensschlüsse. Anhand dieser Analyse zeigt sich, dass in Anbetracht des russischen Angriffskriegs wesentliche Bedingungen für einen effektiven Friedensschluss nicht feststellbar sind. Der Wunsch nach einem Waffenstillstand ist nachvollziehbar, möchten doch alle, dass das Töten und Leiden in der Ukraine ein Ende nimmt. Aber die Vertreter der Forderung, die Parteien an den „Verhandlungstisch“ zu bringen oder gar zu zwingen, müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass ihr Drängen allein keinen Waffenstillstand und erst recht keinen dauerhaften Frieden einbringen wird.


Szenarien für eine Beendigung des Ukraine-Kriegs

In der gegenwärtigen Lage lassen sich vier Szenarien für ein Kriegsende in der Ukraine vorstellen. Beim ersten besetzt Russland die gesamte Ukraine und verleibt sie der Russischen Föderation ein. Dann wäre auch keine ukrainische Regierung da, mit der Frieden zu schließen wäre. Andere Staaten würden diese Annexion nicht anerkennen, es gäbe keinen rechten Friedensschluss. Im zweiten Fall würde sich Russland mit der Okkupation des Ostens und Süd-Ostens einschließlich der Krim begnügen und eine Regierung in Kyjiw dies notgedrungen de facto anerkennen, um einen dringend erforderlichen Waffenstillstand zu erwirken. Das dritte Szenario bestünde im vollständigen militärischen Rückzug der russischen Okkupations-Streitkräfte und der Befreiung des Südostens (einschließlich der Krim) und des Ostens, also einer Restauration des Status quo ante. Dabei ist allerdings der Begriff Status quo ante nach all den Zerstörungen und dem Tod so vieler Menschen ein Euphemismus. Eventuell könnte man sich die betroffenen Regionen als ein neutrales, weder Russland noch der Ukraine formal angehöriges Gebiet unter UN-Mandatsverwaltung vorstellen. Die vierte Vorstellung, die vermutlich als russische Bedingung mit einem Ausgang gemäß (2) oder (3) überlappen würde, ist eine von mehreren Staaten garantierte Erklärung der Ukraine, in Zukunft neutral zu bleiben und weder der NATO noch der EU beizutreten.

Spielt man diese verschiedenen Szenarien durch, wird sehr schnell deutlich, dass jedes zutiefst unbefriedigend und keines einen dauerhaften Frieden herzustellen in der Lage ist.
 

weiterlesen

 


 

sirius 7 1 2023

 

 

Welche Friedenslösungen für den Russland-Ukraine-Krieg? Gedanken zu Strategien des Friedenschließens

SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen 
Band 7 Heft. 1-2023, Seiten 38-50, https://doi.org/10.1515/sirius-2023-1006

 

Die Erstveröffentlichung des Textes erfolgte am 4. April 2023.

Die Zeitschrift SIRIUS wird herausgegeben durch die Stiftung Wissenschaft und Demokratie (SW&D), ebenso ermöglicht die Stiftung ab dem Jahr­gang 2022 die digitale Veröffentlichung aller Artikel in Open Access unter der Lizenz CC­BY NC ND. Die SW&D ist eine wissenschaftsfördernde Stiftung, die sich in ihrer operativen Tätigkeit als Herausgeberin von SIRIUS und mit ihrem Online­Portal für Politikwissenschaft insbesondere um die Kommunikation politikwissenschaftlicher Forschungsergebnisse bemüht. Darüber hinaus unterhält sie eine eigene Forschungseinrichtung, das Institut für Parlamentarismusforschung in Berlin, und fördert das Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel.

Band 7 der Zeitschrift SIRIUS wird während des 30-­jährigen Jubiläums der SW&D veröffentlicht. Die SW&D ist seit 30 Jahren tätig und verfolgt mit ihren Einrichtungen und Förderprojekten das Ziel, insbesondere die Politikwissenschaft bei der Lösung praktischer und normativer Probleme der Demokratie zu unterstützen.      

swud logo 30jubi 400x400px






Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 4.0 International Lizenz.
Neueste Beiträge aus
Außen- und Sicherheitspolitik
  • Biblio Link Michael Rohschürmann / 05.04.2024

    Herfried Münkler: Welt in Aufruhr. Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert

    Anhand jüngster globaler Ereignisse wie dem Abzug westlicher Truppen aus Afghanistan und dem russischen Überfall auf die gesamte Ukraine zeigt Münkler auf, dass die bisherige internationale Ordnung...
  • Biblio Link Tamara Ehs / 01.04.2024

    Ulrich Menzel: Wendepunkte: Am Übergang zum autoritären Jahrhundert

    Ulrich Menzel sieht die Welt in einer Phase des hegemonialen Übergangs „vom liberalen amerikanischen zum autoritären chinesischen Jahrhundert“. Diese Epoche sei durch die Anarchie der Staatenwel...
  • Biblio Link Anton Hahn / 28.03.2024

    Richard English: Does Counter-Terrorism Work?

    Der Terrorismusforscher Richard English fragt, ob (und wann) Terrorismusbekämpfung funktioniert. Unter Rückgriff auf drei Fallkonstellationen aus seiner 2016 erschienenen Vorgängerpublikation „Do...

Mehr zum Thema

SIRIUS: Analyse / Joachim Krause / 02.05.2023

Russlands neue Strategie im Ukraine Krieg – wo führt sie hin?

Russlands Strategie für die vierte Kriegsphase zum Jahreswechsel 2022/23 ziele auf die Zermürbung der Widerstandsfähigkeit der Ukraine und auf die Wiedererlangung der eigenen militärischen Initiative, so Joachim Krause. Für SIRIUS - Zeitschrift für Strategische Analysen analysiert er die maßgeblichen Faktoren für das Ge- oder Misslingen jener Strategie - auf Seiten Russlands und des Westens. Unklar bleibe auch, wie sich dieser Krieg auf Russland und die Stabilität des Regimes auswirke. Dies gelte auch für dessen weiteres Verhältnis zu den Nachbarn Europa und China. 

 

SIRIUS: Analyse / Andreas Umland / 17.04.2023

Historische Esoterik als Erkenntnismethode. Wie russische Pseudo-Wissenschaftler zu Moskaus antiwestlicher Wende beigetragen haben

Hat die russische Sozialwissenschaft neben den Propaganda- und Desinformationskampagnen des Kremls dazu beigetragen, die nach Glasnost heranwachsende und hochgebildete Elite Russlands für eine Abkehr von Europa und den Angriffskrieg auf die Ukraine empfänglich zu machen? Andreas Umland untersucht für SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen, wie verschwörungstheoretische, manichäische oder rassistische Theorien nach dem Vorbild von Denkern wie Lew Gumiljow und Alexander Dugin die intellektuelle und mediale Öffentlichkeit im postsowjetischen Russland zunehmend prägten. 

 

Rezension / Arno Mohr / 25.01.2023

Daniela Dahn: Im Krieg verlieren auch die Sieger. Nur der Friede kann gewonnen werden

Angesichts des Ukrainekriegs möchte dieses Buch Fakten und Quellen präsentieren, die noch nicht Eingang ins allgemeine Bewusstsein gefunden hätten. Die vorgetragene Argumentation aus antikapitalistischer, antiamerikanistischer und antimilitaristischer Perspektive enttäusche, so unser Rezensent Arno Mohr, da keine analytische Differenzierung gelinge. Stattdessen werde hier das wichtige Anliegen der Friedensbewegung mit den stets gleichen Erzählungen und Fehlschlüssen über die politische, ökonomische, ideelle und militärische Einflussnahme des Westens vertreten. 

 

Externe Veröffentlichungen

Gwendolyn Sasse / 15.06.2023

Carnegie Europe

Margaret MacMillan / 12.06.2023

Foreign Affairs

Victoria Rosa / 08.06.2023

IPG Journal

Henrik Larsen / Juni 2023

Texas National Security Review

Samuel Charap / 02.05.2023

IPG-Journal

Jörn Grävingholt, Jörg Faust, Alexander Libman, Solveig Richter, Gwendolyn Sasse, Susan Stewart / 17.04.2023

German Institute of Development and Sustainability (IDOS)

Samuel Charap, Miranda Priebe / Januar 2023

RAND National Security Research Division (NSRD)

 

Neueste Beiträge aus
Außen- und Sicherheitspolitik
  • Biblio Link Michael Rohschürmann / 05.04.2024

    Herfried Münkler: Welt in Aufruhr. Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert

    Anhand jüngster globaler Ereignisse wie dem Abzug westlicher Truppen aus Afghanistan und dem russischen Überfall auf die gesamte Ukraine zeigt Münkler auf, dass die bisherige internationale Ordnung...
  • Biblio Link Tamara Ehs / 01.04.2024

    Ulrich Menzel: Wendepunkte: Am Übergang zum autoritären Jahrhundert

    Ulrich Menzel sieht die Welt in einer Phase des hegemonialen Übergangs „vom liberalen amerikanischen zum autoritären chinesischen Jahrhundert“. Diese Epoche sei durch die Anarchie der Staatenwel...
  • Biblio Link Anton Hahn / 28.03.2024

    Richard English: Does Counter-Terrorism Work?

    Der Terrorismusforscher Richard English fragt, ob (und wann) Terrorismusbekämpfung funktioniert. Unter Rückgriff auf drei Fallkonstellationen aus seiner 2016 erschienenen Vorgängerpublikation „Do...