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Supermacht China. Rezensionen aus dem englischsprachigen Raum

31.05.2021
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Prof. em. Dr. Leo Bamberger

 ChinaSammel32703724017 482927be45 cHK10 Light and dark at Tin Fu, New Territories, Hong Kong. Foto: jojusullivan.59 (https://www.flickr.com/photos/josullivan59/32703724017/) Lizenz:CC BY-NC-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/)

 

Der Verfasser dieser Rezension hatte im Jahr 1999 die Gelegenheit eines Privatissimums mit Altbundeskanzler Helmut Schmidt in dessen Berliner Büro, in dem es um die weltpolitische Lage ging. Nach einiger Zeit kam das Gespräch auf China und dessen enormes Wirtschaftswachstum. Helmut Schmidt war sichtlich angetan von dieser Entwicklung, und ich fragte schüchtern an, ob er sich vorstellen könne, dass eine geopolitische Konfrontation entstehe, sobald China einmal die materiellen Voraussetzungen dafür gewonnen hätte, die USA direkt herauszufordern. Der Altbundeskanzler verneinte diese Möglichkeit entschieden, und als er merkte, dass er mich nicht überzeugt hatte, setze er mit einer Frage nach: „Haben Sie schon mal mit Deng Xiaoping gesprochen?“ Ich musste die Frage verneinen, um dann zu hören, dass ich dann auch gar nicht mitreden könne. Heute, mehr als 20 Jahre später, hat sich der Optimismus von Helmut Schmidt nicht erfüllt. China ist unter Xi Jinping auf dem Weg die USA als strategischen Rivalen politisch und militärisch herauszufordern und die internationalen Beziehungen im Sinne seiner Vorstellungen neu zu gestalten. China will Supermacht werden beziehungsweise ist es schon.

Im Folgenden werden drei Bücher aus dem angelsächsischen Raum vorgestellt, die sich mit der Großmachtrolle Chinas befassen und die diese von ganz unterschiedlichen Perspektiven aus beleuchten.

Michael Schuman: Superpower Interrupted. The Chinese History of the World. New York: Public Affairs, 2020, 355 Seiten

Schuman, ein auf Asien spezialisierter Journalist und Autor eines Buches über Konfuzius und dessen Welt, hat sich zum Ziel gesetzt, den Leser durch die Geschichte Chinas zu führen, um die heutige Weltsicht Chinas besser zu verstehen. Der Titel ist zunächst etwas irreführend, denn unter „Supermacht“ wird normalerweise eine Großmacht verstanden, die so viele Kernwaffen besitzt, dass sie theoretisch die ganze Welt zerstören könnte. Aber Schuman verwendet den Begriff anders und das zu Recht: Für ihn war China in früheren Zeiten deshalb eine Supermacht, weil es eine Großmacht besonderer Art war, die ohne Parallele in der Weltgeschichte ist. Und heute sei es auf dem Weg, diese Rolle wieder einzunehmen. In China, so Schuman, wurde eine Zivilisation begründet, die ganz Ostasien durchdrungen und gestaltet habe. Seit der Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 220 AD) sei China zudem zu einem Großreich geworden, welches mit unterschiedlichem Erfolg die internationalen Beziehungen Ostasiens durch ein System der Suzeränität geregelt habe, bei dem der Kaiser von China der überragende Herrscher war, während alle anderen Staaten eine nachgeordnete Rolle – wenngleich mit vielen Spielräumen und Privilegien – zugewiesen bekamen. China sei zudem bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts die größte und technologisch am weitesten fortgeschrittene Wirtschaftsmacht der Welt gewesen. Diese Supermachtrolle sei immer mit hierarchischen politischen Strukturen einhergegangen. Eine dem Römischen Reich vergleichbare Phase der republikanischen Ordnung, so Schuman, habe es in China nie gegeben.
 

Das Buch führt die Leser und Leserinnen in atemberaubender Schnelle durch die verschiedenen Phasen der chinesischen Geschichte entlang der elf von ihm behandelten Dynastien. Der Schwerpunkt liegt auf den Phasen der beiden letzten Dynastien, der Ming-Dynastie (1368 bis 1644) und der Qing-Dynastie (1644 bis 1912). Dabei wechseln sich große Zeitsprünge und teilweise detailliert persönliche Anekdoten ab. Für Sinologen dürfte das Buch nicht erschöpfend genug und zudem unterkomplex sein. Aber es ist nicht das Ziel Schumans, alle Phasen der chinesischen Geschichte adäquat und in ihrer Komplexität angemessen zu beschreiben. Vielmehr geht es ihm darum, drei immer wiederkehrende Themen aufzugreifen: die große wirtschaftliche Stärke Chinas und die damit verbundene führende Rolle im damaligen internationalen Handel, Chinas zivilisatorische Ausstrahlung und die Herausbildung des regionalen Systems der tributären Ordnung. Vor allem Letzteres werde im Westen sehr kritisch gesehen, da es als ein Instrument der Beherrschung der Nachbarstaaten gesehen werde. Schuman empfiehlt einen anderen Blick: Vom Beginn der Ming-Dynastie bis zum Ende des kaiserlichen Zeitalters 1912 habe es innerhalb dieses tributären Systems nur zwei Kriege gegeben. Im Vergleich zu den unzähligen Kriegen im europäischen Staatensystem im gleichen Zeitraum sei das eine beachtliche Leistung (204). 

Im 19. Jahrhundert verfiel aber der chinesische Staat und damit auch das chinesische Ordnungssystem. Mitverantwortung trügen die Europäer, allen voran die Briten. Die Supermacht China hörte auf, eine solche zu sein und wurde das Opfer kolonialer Eroberung durch Europäer und ab 1931 durch Japan. Doch die Erinnerung an die Vergangenheit, so Schuman, insbesondere die Ming- und die Qing-Dynastie habe auf Dauer das chinesische Denken über Politik und internationale Beziehungen geprägt und komme jetzt wieder zum Vorschein. 

Seit Deng Xiaopings Reformen mache sich China daran, wieder den Status einer Supermacht zu erringen. Der immer wiederkehrende Zyklus der chinesischen Geschichte setze sich fort. Deng und seine Nachfolger, so der Autor, hätten versucht, sich an das westliche System und die westlich geprägte internationale Ordnung anzupassen, aber mit Xi Jinping sei die Zeit gekommen, um sich vom westlichen System zu verabschieden, die damit verbundene Demütigung zurückzulassen und ein internationales System nach chinesischen Vorstellungen aufzubauen. Die Hoffnung westlicher Beobachter, dass mit einer erfolgreichen Integration Chinas in das internationale Wirtschaftssystem das Land in Richtung Freiheit und Demokratie gehen würde, habe sich nicht bestätigt. Vielmehr sei das, was unter Xi Jinping geschehe, ein Déjà-vu, ein Anknüpfen an den alten Supermachtstatus. China verfolge wieder ein tributäres System in Ostasien und zunehmend auch darüber hinaus mit seiner Seidenstraßeninitiative. Allerdings seien die globalen Bedingungen heute anders als vor 200 Jahren, als China begann abzusinken. 

Das Buch endet mit der Frage, wie sich die Wiederkehr traditioneller chinesischer Vorstellungen von der internationalen Ordnung (eine, die von einem autoritär regierten China hierarchisch strukturiert wird) in der Realität umsetzen werde, denn die Ausgangsbedingungen heute seien anders als vor 200 Jahren. Der Autor verzichtet darauf, diese Frage zu beantworten, stellt aber fest: Geschichte wiederholt sich immer. Ein lesenswertes Buch, welches zum vertieften Nachdenken anregt.

Rana Mitter: China’s Good War. How World War II is Shaping a New Nationalism. Cambridge, Massachusetts und London: The Belknap Press of Harvard University Press, 2020

Rana Mitter ist, wie Michael Schuman, ein Journalist, der sich in Ostasien hervorragend auskennt und schon mehrere Bücher darüber verfasst hat. Ebenso wie Schuman versucht er, die Motivationslage der chinesischen Führung zu erschließen: Was treibt diese an, und wie hat sie ihre außenpolitischen Ziele umgesetzt? Anders als Schuman, der die großen Linien der chinesischen Vergangenheit in der heutigen Politik wiederzufinden versucht, behandelt Mitter die Frage, wie im heutigen China mit dem Zweiten Weltkrieg umgegangen wird und was man daraus schließen kann.

Für viele Jahre, so der Autor, sei der Zweite Weltkrieg, in dem China von Japan angegriffen und gedemütigt wurde, ein Thema gewesen, welches die Führung der KPCh eher zu vermeiden suchte. Im Wesentlichen wurden die chinesischen Opfer der japanischen Kriegspolitik herausgestellt und auch die Tatsache nicht verschwiegen, dass die Kommunisten und die Kuomintang gemeinsam gegen die Japaner kämpften. In den vergangenen zwei Jahrzehnten habe sich die chinesische Sichtweise des Krieges jedoch nach und nach verändert. Je mächtiger China international werde, umso mehr werde ein neues Narrativ des Zweiten Weltkriegs herausgestellt, bei dem der Widerstand gegen Japan zum Gründungsmythos des modernen, kommunistischen Chinas werde. In diesem Zusammenhang werde den chinesischen Truppen eine viel größere Rolle beim Sieg über Japan eingeräumt als bislang bekannt. Daraus wird dann abgeleitet, dass China eine sehr viel größere Rolle bei der Gestaltung der regionalen Ordnung in Ostasien spielen müsse (222).

Das Buch arbeitet sehr viel mit chinesischen Quellen und versucht, Nuancierungen herauszuarbeiten, die normalerweise wenigen auffallen. Der Verfasser vermag aufzuzeigen, wie das neue Verständnis der Rolle der Chinesen im Zweiten Weltkrieg (nicht nur Opfer, sondern die wichtigste Kraft bei der Abwehr der japanischen Invasion) auch zu einer Neubewertung der Kuomintang und von Tschiang Kai-shek geführt hat. Aber das wirklich wichtige Element für das heutige Verständnis der chinesischen Politik ist der von Mitter herausgestellte Anspruch Beijings auf Gestaltung der internationalen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Hier werde das Narrativ aufgebaut, dass Chinas rechtmäßige Ansprüche auf die von den Japanern gehaltenen Inseln nicht berücksichtigt worden seien und dass die USA den Chinesen ihren Anteil am Sieg unrechtmäßig vorenthalten hätten. Mit diesem Narrativ würden nunmehr Ansprüche geltend gemacht, das seinerzeit geschehene Unrecht wieder aufzuheben.

Rana Mitter hat mit diesem Buch eine interessante, allerdings nicht immer einfach zu lesende Studie vorgelegt, die erkennen lässt, wie der Zweite Weltkrieg im heutigen China herangezogen wird, um eine zunehmend aggressivere Politik gegenüber Japan und ein Monopol über die regionale Ausgestaltung der internationalen Ordnung zu rechtfertigen. Zur Erinnerung: Auch die Sowjetunion nutzte sowohl das Leiden ihrer Bevölkerung im Krieg als auch die herausragende Rolle der Roten Armee bei der Bekämpfung des Hitlerfaschismus als Rechtfertigung dafür, dass sie für 45 Jahre den Ostteil Europas und die ehemalige DDR unter ihre Herrschaft zwang. Ziel war es, eine andere internationale Ordnung zu bewirken.

Jonathan E. Hillman: The Emperor’s New Road. China and the Project of the Century. New Haven und London: Yale University Press, 2020, 294 Seiten

Das Buch von Hillman, dem Leiter des Reconnecting Asia-Projektes am Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington, schlägt einen völlig anderen Ansatz zur Einschätzung der Rolle Chinas als Großmacht oder Supermacht vor. Er befasst sich mit dem ambitiösen Seidenstraßenprojekt, englisch Belt-and-Road-Initiative (BRI). Dieses Projekt wurde 2013 vom chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping initiiert und soll bis 2049 in einem Umfang von bis zu 1 Billion US-Dollar in mehr als 70 Ländern Infrastrukturprojekte realisieren, um China mit Europa, Zentralasien, Süd- und Südostasien und Afrika zu verbinden. Es besteht aus dem Konzept der maritimen Seidenstraße, aus sechs Landkorridor-Projekten sowie der Idee der digitalen Seidenstraße. Laut Aussagen chinesischer Offizieller soll das Projekt dazu dienen, chinesische Produkte schneller und sicherer in die bestehenden Märkte Europas und Asiens und in die entstehenden Märkte Südasiens und Afrikas zu bringen und dabei gleichzeitig die Infrastruktur der Kooperationspartner nachhaltig zu verbessern. Es sei daher ein Win-win-Vorhaben, von dem alle Seiten profitieren könnten. Auch soll das Projekt die Industrialisierung der nordwestlichen Teile Chinas fördern und der chinesischen Bauwirtschaft Beschäftigung sichern.

Das BRI-Projekt hat sehr viel Zustimmung, aber auch sehr viel Kritik gefunden. Während die einen von den kommenden Errungenschaften oder dem bereits Erreichten schwärmen, kommt vor allem aus der Wissenschaft und auch aus Kreisen der US-Regierung Kritik. Der frühere US-Vizepräsident Mike Pence warnte unter anderem vor einer Kreditfalle Chinas, in die Partnerstaaten treten könnten, wenn sie sich auf Projekte einließen, die sich als wirtschaftlich nicht tragbar erwiesen. Andere sehen in der BRI-Initiative den Versuch Chinas, die globale Wirtschaft zu dominieren.

Das Buch von Hillman versucht zum einen, die Rolle von Konnektivitätsprojekten dieser Art historisch und wirtschaftlich einzuordnen. Zum anderen will der Autor eine erste Bilanz der Bemühungen ziehen. Beides gelingt ihm auf faszinierende Weise. Das Buch ist lebhaft geschrieben, gleichzeitig aber mit einer Vielzahl von Quellen untermauert und gut gegliedert.

Hillmann beginnt damit, die Bedeutung von Infrastrukturprojekten für imperiale Designs darzustellen. Das, was China heute beginnt, so Hillman, sei ein weiteres Kapitel in dem Bemühen von Großmächten, ihren Einfluss zu erweitern, indem sie große Infrastrukturprojekte (Straßenbau, Eisenbahnbau, Kanäle, Häfen, Kommunikationsverbindungen, Staudämme, Bewässerung etc.) entweder bei sich selber oder im Ausland durchführten. Die imperiale Ausdehnung der europäischen Großmächte und der USA gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts sei immer mit derartigen Infrastrukturprojekten einhergegangen, ebenso wie diejenige Japans in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das kaiserliche China war im 19. Jahrhundert eines jener Länder, die sich derartigen Infrastrukturprojekten verweigerten, weil es damals die Überfremdung fürchtete. Heute, so Hillman, biete es selber derartige Projekte an und verhalte sich damit nicht anders als seinerzeit die verhassten Briten (18).

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es vor allem die USA und die Staaten Westeuropas sowie Japan, die durch Infrastrukturprojekte die Voraussetzungen für die Ausdehnung des internationalen Warenhandels und damit der Globalisierung schufen. Gleichzeitig sollte durch Infrastrukturprojekte in Entwicklungs- und Schwellenländern deren wirtschaftlicher Fortschritt gefördert werden. Die Erfahrungen der vergangenen 70 Jahre mit derartigen Projekten, so Hillman, haben dazu geführt, dass internationale Organisationen wie Weltbank und Weltwährungsfonds und auch bilaterale Geberländer von Entwicklungshilfe vorsichtiger geworden seien. Überambitionierte Politiker, falsche Berater, korrupte Staatsdiener, mangelhaft geplante und nach Abschluss der Bauarbeiten mangelhaft geführte Projekte hätten dazu beigetragen, dass heute in allen westlichen Institutionen, die große Infrastrukturprojekte fördern, gründliche Prüfverfahren und Regeln existierten, die dazu beitragen sollen, dass sich Fehlinvestitionen nicht wiederholen. China, so Hillman, stoße in diese Lücke und biete Unterstützung für all jene an, die aus welchen Gründen auch immer nicht die Hilfe der westlichen Staaten nutzen wollen oder können.

Der Verfasser geht in sieben Regionalkapiteln den Stand der Implementierung der BRI durch. Er beginnt mit Zentralasien, wo er die Infrastrukturprojekte beleuchtet und zu dem Schluss gelangt, dass nirgendwo so erkennbar werde wie hier, wie anfällig Projekte im Bereich Infrastruktur und Verkehr für Korruption und Vetternwirtschaft sind. Im Ergebnis klaffe eine riesige Lücke zwischen Anspruch und Realität. Es sei derzeit nicht erkennbar, wie China diesen Widerspruch meistern wolle. Auch Russland, welches sicherheitspolitischer Partner und aussichtsreicher Unterstützer der BRI sei, tue sich schwer, eine Rolle in diesem Projekt einzunehmen. Russland halte an seinem Projekt der Eurasischen Wirtschaftsunion fest, welches mit der BRI nicht kompatibel sei.

Ein weiteres Kapitel befasst sich mit Europa, wo China im Rahmen eines scheinbar multilateralen Rahmens Infrastrukturprojekte mit europäischen Partner umzusetzen versucht. Während der Kauf des griechischen Hafens Piräus offensichtlich für China und für Griechenland profitabel erscheine, dürfte die von China gebaute Bahnverbindung zwischen Belgrad und Budapest auf absehbare Zeit unwirtschaftlich bleiben. Hillman konstatiert, dass zudem das Misstrauen in Europa über die Absichten der Chinesen wachse und damit die Aussichten für weitere Projekte verschlechtere. 

Das Kapitel über Südostasien liefert ein interessantes Ergebnis: Es sei keinesfalls so, dass diese Länder in Furcht vor China erstarrten und sich den Angeboten Chinas ergeben müssten. Tatsächlich bestünde eine Konkurrenz mit Japan, welches schon seit den 80-er Jahren, ähnlich wie China, die dortigen Staaten durch Infrastrukturprojekte an sich zu binden versuche. Die Staaten Südostasien hätten es bislang aber gut verstanden, Chinesen und Japaner gegeneinander auszuspielen.

Pakistan ist eines der wichtigsten Partnerländer der BRI, durch das ein Korridor gehen soll, der chinesische Industrieprodukte aus Xinjiang in den Nahen Osten und Europa liefert. Das entsprechende Kapitel ist mit „Das schwarze Loch Pakistan“ überschrieben, was darauf hinweist, dass Pakistan zu denjenigen Ländern gehört, in denen Korruption, Vetternwirtschaft und Misswirtschaft eine lange Tradition haben. Zwar gebe es eine Straßenverbindung über das Karakorum-Gebirge, diese sei im Winter aber nicht zu nutzen und werde zudem immer wieder durch Naturereignisse unbrauchbar gemacht. Auch sei die Industrialisierung der von Uiguren bewohnten Provinz Xinjiang nicht weit vorangekommen. Ein weiterer Problemfall sei Sri Lanka, wo ein Großhafen und ein Flughafen mit chinesischen Krediten und von chinesischen Unternehmen gebaut würden, die keinerlei Aufkommen an Passagieren und Frachtschiffen aufweisen könnten. Im Gegensatz zu dem früheren US-Vizepräsidenten Pence geht Hillman davon aus, dass der frühere sri-lankische Präsident (und heutige Premierminister) Mahinda Rajapaksa die treibende Kraft hinter diesen unsinnigen Prestigeprojekten gewesen sei – nicht China. Die VR China trage heute die Verluste und werde vermutlich davon keinen größeren strategischen Gewinn haben. 

Das Kapitel zu Ostafrika schlägt etwas andere Töne an. Hier sind vor allem chinesische Firmen wie Huawei tätig, um die digitale Seidenstraße zu verwirklichen. Dies laufe teilweise darauf hinaus, dass China versuche, durch digitale Infrastrukturprojekte nachrichtendienstliche Zugänge zu erwerben. Aber auch da könne es Rückschläge geben, wie jene politische Empörung, nachdem festgestellt wurde, dass chinesische Techniker im Gebäude der Organisation für Afrikanische Einheit Abhöranlagen installiert hatten.

China betreibt, so Hillmann, mit seiner BRI ein Stück inkrementalen Imperialismus. Beijing lehne sich stark an imperiale oder hegemoniale westliche Vorbilder an, sei bislang aber offensichtlich nicht bereit, aus deren Fehlern zu lernen, und realisiere nicht, dass die Zeiten sich geändert hätten. Das ganze Projekt bestehe immer noch aus wohlklingenden Formulierungen, die nicht erkennen ließen, dass es wirklich ein Konzept gäbe. Von den sechs Landkorridoren sei nur einer zu nutzen, aber das auch nur teilweise im Jahr und dann auch nur in begrenztem Maße. Die sonstigen Landverbindungen dümpelten dahin. Die meisten BRI-Projekte seien eher opportunistischer Natur, hätten keinen wirklichen Bezug zu chinesischen Interessen und seien häufig auch nicht wirtschaftlich erfolgreich. Zudem sei der angeblich multilaterale Charakter der BRI aufgesetzt: In Wirklichkeit ginge es nur um bilaterale Beziehungen, bei denen China seine Stärke einsetzen wolle. Es sei auch nicht zu erkennen, dass es in Beijing eine Instanz gäbe, die ernsthaft an der Kontrolle der einzelnen Projekte arbeite.

Mit der BRI könne China nicht einfach hoffen, seine imperialen Ambitionen auszuleben, auch wenn das noch der Großteil der politischen Führung in Beijing anders sehe. China werde mit seiner Unfähigkeit zu lernen der schlimmste Feind der BRI sein (211). Vor allem wecke die BRI das Misstrauen der USA und der EU, die beide inzwischen eigene Initiativen zur Konnektivität aufgelegt haben. Zudem nehme die Zahl derjenigen Projekte zu, bei denen sich Zweifel an deren Wirtschaftlichkeit einstellen. Letzteres werde vor allem durch die COVID-19-Pandemie verstärkt, die von China ausging. Global gesehen, so Hillman, sei das Projekt BRI, was die Ambition und die in Aussicht gestellten Mittel betrifft, einmalig, aber Erfolg stelle sich nur dann ein, wenn man an die Projekte mit mehr Intelligenz und Bescheidenheit herangehe und die Erwartungen geringhalte. Davon sei China unter Xi noch weit entfernt. Ein lesenswertes Buch, dem man weite Verbreitung wünscht. 


Der Beitrag wurde erstveröffentlicht in SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen, Heft 1 / 2021. https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/sirius-2021-1016/html

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