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Elmar Theveßen: Die Zerstörung Amerikas. Wie Donald Trump sein Land und die Welt für immer verändert

19.10.2020
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Autorenprofil
Dr. Michael Kolkmann
München, Piper Verlag 2020

Die politikwissenschaftliche Forschung ist stets reflexiv orientiert, das heißt: Die Disziplin greift aktuelle Ereignisse, Prozesse und Entscheidungen auf, um sie mit einem wissenschaftlichen Instrumentarium zu untersuchen. Dem früheren Verleger der Washington Post, Philip L. Graham, wird das Bonmot zugeschrieben, Journalismus sei „the first draft of history“. Und so erweist sich auch das kürzlich erschienene Buch „Die Zerstörung Amerikas“ des Leiters des ZDF-Studios in Washington, Elmar Theveßen, als hilfreiche Quelle, um aus der gegenwärtigen amerikanischen Politik schlau zu werden. Es ist ein Buch, das terminlich auf die Wahl am 3. November abzielt (so wie es derzeit auch andere Werke tun, etwa „Im Wahn“ von Klaus Brinkbäumer und Stephan Lamby oder „Rage“ von Bob Woodward), doch wichtig bleiben die Erkenntnisse der Publikation weit über den Wahltag hinaus.

Denn eines stellt Theveßen gleich zu Beginn klar: Die Folgen der Trump-Präsidentschaft, unabhängig davon, ob sie vier oder acht Jahre dauern wird, sind mit dem Ausscheiden Donald Trumps aus dem Weißen Haus nicht behoben, vielmehr wird diese Präsidentschaft, und mehr noch: die Art und Weise, wie Trump das Amt des Präsidenten interpretiert hat, amerikanische Politik für viele Jahre prägen.

Eingangs hält der Autor fest: „Der Titel dieses Buches Die Zerstörung Amerikas klingt hart, aber er ist genau so gemeint. Denn es geht dabei natürlich nicht nur um das politische Gebilde namens USA, seine Rechts-, Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, sondern auch und vor allem um Amerika als Idee, geboren aus dem Widerstand gegen ein Regime, das für Unfreiheit, Ungerechtigkeit und Unterdrückung, ja sogar Menschenverachtung stand. Genau das Gegenteil postulierten im Jahr 1776 die Väter der Amerikanischen Revolution, als sie die Unabhängigkeit von der englischen Monarchie erklärten“ (12). Zugleich weist der Autor darauf hin, was für Konsequenzen sich aus dem Handeln des amerikanischen Präsidenten für die ganze Welt ergeben: „Donald Trump ist der Präsident der mächtigsten Nation der Welt. Er kommandiert nicht nur die schlagkräftigsten Streitkräfte auf dem Globus, sondern führt auch die nach wie vor stärkste Wirtschaftsmacht. Die Entscheidungen, die er fällt, haben Einfluss auf Hunderte Millionen Menschen in aller Welt, Fragen von Krieg und Frieden sind gleichzeitig Fragen von Leben und Tod“ (11).

Daran anknüpfend formuliert Theveßen die zentralen Fragen seines Buches: „Wie hat die Präsidentschaft von Donald Trump Amerika, die Amerikaner und die Position ihres Landes in der Welt verändert? Welche dramatischen, vielleicht auch unumkehrbaren Auswirkungen hat die Amtszeit eines Mannes, der in allem immer nur auf den besten Deal für sich selbst aus ist? Wie nachhaltig sind Grundprinzipien der liberalen Demokratie beschädigt, wie sehr bricht sich der Autoritarismus in der Welt weiter Bahn, wenn Amerika nicht mehr – wie Ronald Reagan es einst sagte – die ‚leuchtende Stadt auf dem Berg‘ ist, die allen Orientierung und Halt gibt?“ (15)

Auf insgesamt 320 Seiten beschreibt Theveßen die Gegenwart amerikanischer Politik unter dem Zeichen der Polarisierung. Das Buch basiert auf umfangreichen Recherchen und intensiven Gesprächen mit führenden Politikern, Militärs, Wirtschaftsmanagern und amerikanischen Journalisten, aber auch mit vielen Bürgerinnen und Bürgern sowie Wählerinnen und Wählern, denen Theveßen auf seinen Reisen durch die amerikanische Nation begegnet. Eine solche Reise wird zum Beispiel im Kapitel „Reise durch Trumpland“ geschildert: Der Autor beginnt seine Reise im Oktober 2018, kurz vor den Zwischenwahlen zum Kongress, in denen die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus zurückerobern können. In fünf Tagen besucht er sechs Bundesstaaten, es geht von Washington DC nach Oklahoma City. Hier begegnet der Autor Menschen on the ground: in ihrem Alltag, vor Ort, in den Frühstückscafés und Diners, auf der Veranda ihrer Häuser und auf der Hauptstraße der kleinen Städtchen, in Bäckereien. Kirchen und Antiquitätenläden.

Immer wieder verknüpft Theveßen, und das macht die Stärke des Buches aus, Beobachtungen von seinen Reisen und Erlebnisse im Alltag mit größeren, bedeutenderen Trends und Entwicklungen, etwa mit der Bildungskrise, der Zuwanderungsfrage, den Konsequenzen von Wahlrechtsänderungen (Stichworte „Redistricting“ und „Gerrymandering“) oder der parteipolitischen Polarisierung auf der Bundesebene, welche jedoch bis auf die Politik vor Ort durchschlägt.

Im anderen Kapiteln geht es darum, ob Donald Trump seine Versprechen gehalten hat. Er setzt dabei mit dem Wahlabend und dem für viele, gerade auf europäischer Seite des Atlantiks, überraschenden Wahlsieg Trumps gegen Hillary Clinton ein. Zu diesem Zeitpunkt findet Trump noch versöhnliche Worte, die von seiner Antrittsrede Mitte Januar 2017 aber deutlich konterkariert werden: „Donald Trumps Worte lösten ungläubige Blicke und Kopfschütteln aus. Er zeichnete ein düsteres Bild von einem Amerika am Abgrund, vergewaltigt vom Rest der Welt. Kein Respekt vor denen, die vor ihm kamen und die während seiner Rede neben ihm saßen. Bill Clinton, George Bush, Barack Obama, die gewählten Mitglieder des amerikanischen Kongresses, sie alle hätten Amerika abgewrackt und ausgenommen. Keine Demut vor der Aufgabe. Nur ‚America First‘, keine Kompromisse, als bräuchten die USA Europa gar nicht.“ (44)

Danach stehen die außenpolitischen Prioritäten Trumps im Mittelpunkt. Die verbündeten Partner (mit den europäischen Staaten an der Spitze) werden ebenso berücksichtigt wie aktuelle Herausforderungen wie der Iran, Russland, Nordkorea, China und Syrien – auch wenn sich diesbezüglich die konkrete Herausforderung von Fall zu Fall unterschiedlich darstellt.

Dem Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Laut Theveßen haben die Verfassungsväter politischen Streit und eine polarisierte Gesellschaft als Konsequenz eines solchen Verfahrens in Kauf genommen: „Das Impeachment ist ein politischer, kein juristischer Prozess, und am Ende entscheiden immer gewählte Volksvertreter, keine Richter. Die Gründungsväter wussten sehr genau, dass sie das ultimative Werkzeug zur Begrenzung der präsidialen Macht in die Hände von Politikern legten und damit parteilichen Interessen unterwarfen. Denn was das Volk per Wahl entschieden hatte, sollte ausschließlich von Vertretern des Volkes, in extrem seltenen Fällen und nur bei außerordentlichen Verfehlungen gegen die amerikanische Republik beendet werden können“ (152).

Aus dem journalistischen Nähkästchen plaudert Theveßen im Kapitel über die Rolle der Medien („Wie Trump uns austrickst“). Unter anderem erläutert er die Rolle von Social Media für den Politikstil Trumps und die Bedeutung von Desinformationskampagnen – nicht nur im Blick auf das Microtargeting, des auf genau zugeschnittene Wählergruppen orientierte Kampagnenstils, sondern auch deren Nutzung zur Diskreditierung von Journalisten.

Garniert werden die Ausführungen des Autors durchgehend mit zahlreichen Zahlen, Daten und Fakten zur wirtschaftlichen Entwicklung, zur Arbeitslosigkeit, zur Verschuldung oder zum Außenhandelsdefizit. In anderen Werken häufig nicht berücksichtigt, greift Theveßen immer wieder auch die Rolle des Kongresses im politischen Geschehen der USA auf (etwa 68 ff.). Er zeichnet ein differenziertes Bild der Vereinigten Staaten: von Neu England quer durch das amerikanische Mainland bis hinüber zur pazifischen Küste. Und er hält dabei auch mit seinen persönlichen Ansichten nicht hinter dem Berg: „Das mächtigste Amt der Welt ist kein Egotrip. Für Trump aber schon. Ich gebe zu, dass ich mein Urteil über ihn früh gefällt habe. Aber durch seine Worte und Taten liefert Donald Trump selbst ständig neue, gute Gründe, warum es das richtige Urteil ist.“ (43)

Ein Ausblick auf mögliche Post-Wahl-Szenarien beschließt den Band. Mit einem Epilog, in dessen Zentrum der Tod von George Floyd steht, endet das Buch. Theveßens Fazit ist deutlich: „Donald Trump ist ein Rassist mit faschistischen Zügen, weil er die demokratische Ordnung schleift, die Gewaltenteilung bekämpft, absolute Macht für sich in Anspruch nimmt und sich selbst über das Gesetz stellt. Donald Trump ist eine Gefahr für die Welt, weil er den Autoritarismus der liberalen Demokratie vorzieht, weil er Despoten und Mörder hofiert, unverzichtbare Bündnisse schwächt, die westliche Wertegemeinschaft infrage stellt“ (312).

Natürlich wünscht man sich an der einen oder anderen Stelle eine tiefere, womöglich politikwissenschaftliche Analyse. Aber das kann – und will – das Buch gar nicht leisten. Manche Überschriften sind zudem recht harsch ausgefallen („Der bösartige Narzisst“, „Bürgerkrieg in Amerika?“, „Der Kampf um die Seele der Nation“, „Donalds Trolle“, „Der Pate“). Man darf gespannt sein, wie sich andere Autorinnen und Autoren in Zukunft mit dem „first draft of history“ auseinandersetzen werden.

 

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