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Matthias Quent: Deutschland rechts außen. Wie die Rechten nach der Macht greifen und wie wir sie stoppen können

04.03.2020
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Autorenprofil
Vincent Wolff, M.P.P.
München, Piper Verlag 2019

„Durch permanente Verunsicherung und daraus resultierende Orientierungsverluste wächst die Gefahr von Irrationalität und Konfrontationsgewalt. Doch wir sollen uns vom reaktionären Kampf der Rückwärtsgewandten nicht einschüchtern lassen: Die Verbitterung der Rechten belegt letztlich den Fortschritt unserer Gesellschaft“ (181), konstatiert Matthias Quent. Er hat ein persönlich geprägtes und zugleich wissenschaftlich starkes Buch verfasst, das er mit einer autobiografischen Geschichte eröffnet: So habe er persönliche Gewalterfahrungen bereits zu Schulzeiten gemacht, vom fremden Haare-Abschneiden bis hin zu Baseballschläger-Auseinandersetzungen. Daher seien die jüngsten politischen Entwicklungen keine neue Erfahrung: Die Qualität der rechten Gewalt sei eine andere – aber bestimmt nicht neu und erstmalig. Das habe er selbst miterlebt, und ähnlich sei es seinen Freunden im Osten der Republik ergangen.

Quent wird persönlich und resümiert, dass die „anhaltende Normalität des rechten Alltagsterrors“ (9) viele zum Wegzug bewegt habe. Er hingegen sei geblieben, habe Soziologie studiert und sich diesem Thema gewidmet. Dabei seien diese Gewalt-Erfahrungen keine Einzelfälle, sondern „systematische Raumkämpfe“ (10), die so bis heute fortgeführt werden. Quent sieht darin ein gesamtgesellschaftliches Problem: „Wer den Rechtsradikalismus verstehen will […], muss die Kontinuität des Rechtsradikalismus berücksichtigen“ (10). Es sei entscheidend, nicht neutral zu bleiben, wenn Rechtsradikalismus auftaucht: „Ignoranz war – und ist – potenziell lebensgefährlich“ (11). Jetzt seien die Demokraten am Zug, sich den Rechten zu erwehren. Für Quent ist der Kampf gegen rechts zur Lebensaufgabe geworden.

Zur Gegenwehr sei es entscheidend, die Diskursverschiebung der Rechten zu unterbinden. Nur so sei effektive Gegenwehr möglich. Dabei ist es dem Autor besonders wichtig, dieses Problem vollumfassend zu thematisieren. So werde der Rechtsradikalismus im Westen häufig ignoriert, während er im Osten besonders brachial auftrete. „Die Rechtsradikalen sind schon immer Teil dieses Landes, aber Politik und Gesellschaft haben die Bedrohung für die Demokratie nicht ernst genommen“ (34), kritisiert Quent.

Doch der Autor ist kein Pessimist. Sein Buch macht Hoffnung, zeigt gesellschaftliche Fortschritte und sieht die Demokraten als Gewinner, wie das obige Zitat unterstreicht. Er ortet einen Rückschlag der Rechten, die den Kulturkampf verlieren. Die erheblichen liberalen Fortschritte hätten den Ärger der Rechten ausgelöst. Gegen dieses Voranschreiten begehrten die Konterrevolutionäre von rechts außen auf. Dabei verweist der Autor auf die bahnbrechenden Arbeiten von Ronald Inglehart und Pippa Norris sowie Seymour Lipset, in denen sie zu dem Ergebnis kommen, dass liberalen Fortschritten oftmals reaktionäre Rückschläge folgen.

Quent ist sich sicher: „Stimmt die Theorie der wellenförmig wiederkehrenden reaktionären Bewegung, dann befinden wir uns gerade auf einem neuen, einem besonderen Höhepunkt.“ (61) In Deutschland vereine sich die international zu beobachtende Konterrevolution gegen die Welt von morgen mit der Kontinuität der völkischen Rechten – mit dem Ergebnis, dass Verlust- und Zukunftsängste in reaktionäre Politik transformiert werden. Dies ist somit zwar erschreckend, zeigt aber den Fortschritt der Gesellschaft auf. Quent ergänzt: „Die Rechten drängen in Deutschland nicht aus einer historischen Position der Stärke an die Macht, sondern aus einer relativen Schwäche“ (92). Das Ganze habe einen Vorteil: „Die wehrhafte Demokratie kennt nun ihre Gegner.“ (121)

Jetzt sei es an der Zeit durchzuatmen, nüchtern zu analysieren und Kurs zu halten. Matthias Quent hat konkrete Ideen, wie die Rechte bekämpft werden könnte. Er sieht die Aufnahme von Zusatzklauseln gegen Rassismus wie in die Brandenburger Landesverfassung als wichtigen Schritt, fordert ein wie im Koalitionsvertrag aufgeführtes bundesweites Demokratiefördergesetz und eine stärkere Thematisierung von Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus auch in Westdeutschland. Eine besondere Verantwortung sieht der Autor bei den politischen Vorbildern in den Parlamenten und fordert eine klare politische Abgrenzung. Quent repariert dabei auch die Debatte über den Opferstatus der Rechten: „Die radikale Rechte ist nicht das Opfer, sondern der Aggressor. […] Es gibt eine Verpflichtung, die wehrhafte Demokratie vor ihren Feinden zu schützen – und nicht dafür, ihren Gegnern Rosen auf den Weg zu streuen.“ (259)

Dieses Buch ist ein Meilenstein. Matthias Quent hat sich in den vergangenen Jahren und Monaten medial zu einem wichtigen Experten von Rechtsextremismus in Deutschland entwickelt. Dieses Werk stärkt seine Position weiter. Vor allem die persönlichen Geschichten zu Beginn des Buches machen es unmöglich, sich dem ubiquitären Problem zu entziehen. Dabei vermeidet der Verfasser ein Schubladendenken – und thematisiert auch die Schwächen der politischen Linken, die manchmal Dinge beschönige. Er wendet sich entschieden gegen die Aufwertung von Kollektiven und kritisiert die teilweise Blindheit für Antisemitismus unter Linken oder Muslimen.

Quent argumentiert scharf und es wird deutlich, dass er für seine Sache kämpft – nicht in wissenschaftlich-distanzierter, sondern leidenschaftlich-engagierter Weise. Dieses Vorgehen ist vor allem in der gegenwärtigen politischen Lage nicht zu vernachlässigen: Eine rechtsradikale Partei greift nach der Macht und Quent macht dagegen mobil. Dieses Buch ist daher mehr als eine Analyse, es ist ein Aufruf zum politischen Handeln.



Anmerkung der Redaktion:

Die Friedrich-Ebert-Stiftung zeichnet diese Publikation mit dem Preis „Das politische Buch" des Jahres 2020 aus. Denn die Arbeit von Matthias Quent sei, so heißt es in der Begründung der Jury, „ein Buch für alle, die die Bedrohung unserer liberalen Demokratie verstehen und ihr nicht wortlos zusehen wollen“.

 

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