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Tanja Wolf: Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien in Europa. Typologisierung und Vergleich

01.10.2019
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Autorenprofil
Dr. Sven Leunig
Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften 2019

Tanja Wolf widmet sich in ihrer Dissertation einer zweifellos notwendigen Aufgabe: einer Abgrenzung der rechtspopulistischen von den rechtsextremen Parteien in Europa; mithin also der Entwicklung einer entsprechenden Typologie, die dies erlaubt. Darüber hinaus fragt sie, ob eine solchermaßen erarbeitete Typologie auch auf die entsprechenden rechten Parteien Mittelosteuropas angewandt werden kann, was in der Forschung bislang mit Verweis auf die ‚besondere‘ Geschichte dieser Parteien oft bezweifelt wird.

Die Verfasserin geht dabei ausgesprochen präzise vor. Allerdings hätten die sehr ausführlichen Darlegungen so grundsätzlicher Fragen wie beispielsweise, was genau eine Definition in der (Politik-)Wissenschaft ausmacht und was unter Typen und Typologien zu verstehen ist, durchaus etwas kürzer gefasst werden können. Der Forschungsstand wird hingegen in lobenswerter Weise sehr umfassend erhoben und anhand der Darstellung von sechs ausgewählten Konzepten namhafter Kollegen zu rechten Parteien im Allgemeinen plastisch erläutert. Wesentlich für das Verständnis ist hier, dass unter ‚rechts‘ nicht etwa alle ‚nicht-linken‘ Parteien verstanden werden. Vielmehr wird zwischen Parteien, die ‚rechts der Mitte‘ stehen und – von diesen aus gesehen – ideologisch-programmatisch weiter rechts stehenden Parteien unterschieden; ausschließlich Letztere stehen im Fokus der Untersuchung. Dies schließt also etwa konservative oder christdemokratische Parteien dezidiert aus.

Der Zielsetzung der Arbeit entsprechend wird viel Wert auf die Präsentation verschiedener Auffassungen von rechtsextremen Parteien einerseits, rechtspopulistischen Parteien andererseits gelegt, die jeweils zu einer eigenen Definition der Autorin komprimiert werden. Es schließen sich Exkurse zu Konzepten wie ‚Neue Rechte‘ und Konservatismus an – gerade Letzterer spielt dann auch eine Rolle bei der Betrachtung der ODS in Tschechien, die im Ergebnis eben eher als konservativ und weniger als populistisch eingeordnet wird.

Methodisch werden im Folgenden elf Parteien aus entsprechend vielen Ländern Europas (de facto der EU) ausgewählt, wobei darauf geachtet wird, möglichst gleich viele Parteien aus den vier Großregionen des Kontinents zu berücksichtigen. Um diese nun typologisieren zu können, werden zunächst auf der Basis des Forschungsstandes ideal- und prototypische Items gebildet. Wesentlich, und sicher auch etwas problematisch, ist die Material- beziehungsweise Quellenbasis. Die Einordnung der Parteien entlang dieser Items wird nicht etwa, wie zu vermuten, anhand einer Auswertung von deren Parteiprogrammen vorgenommen, sondern ausschließlich auf der Basis von Aussagen, die aus der Sekundärliteratur entnommen werden. Dies hat zwar, das ist zuzugestehen, den Vorteil, dass dabei etwa auch Aussagen von Funktionären auf Wahlveranstaltungen oder in Interviews beziehungsweise Einschätzungen von Medienvertretern in die Betrachtung einbezogen werden. Auch erweitert diese Vorgehensweise die Breite der analysierbaren Parteien: Aufgrund der Sprachbarriere wäre es ohne enormen Aufwand an zusätzlichem Personal nicht möglich gewesen, Parteien aus einer Vielzahl von Ländern zu untersuchen.

Es bleibt aber das Manko, dass man sich bei einer solchen Analyse auf die Fundiertheit und Objektivität der Aussagen Dritter verlassen muss, was doch einigermaßen problematisch erscheint. Insofern wäre es vielleicht ratsamer gewesen, sich allein auf die Parteien zu beschränken, deren Programme man selbst lesen und verstehen kann und auf dieser Basis – unter Hinzuziehung von Sekundärliteratur – eine Typologie zu erstellen. Auch wenn dieses Vorgehen zweifellos zunächst zu einem regionalen beziehungsweise sprachlichen Bias geführt hätte, wäre es dennoch hinsichtlich der Fundiertheit der Einordnungen und damit der Präzision der formulierten Typologie zunächst dienlicher gewesen, als sich – allein – auf eine Sekundäranalyse zu verlassen.

Diese Schwäche hätte sich beispielsweise zumindest etwas ausgleichen lassen, indem eine größere Fallzahl innerhalb einzelner Länder berücksichtigt worden wäre. So wäre es sicher spannend gewesen, in Deutschland nicht nur die NPD, sondern auch die AfD zu untersuchen. Zwar ist deren ‚Fehlen‘ vom Ziel der Untersuchung her nicht zu beanstanden – aber der Rezensent ist schon etwas enttäuscht, wenn er in einer im Jahr 2019 publizierten Arbeit nichts über die gesellschaftlich und politisch wie politikwissenschaftlich heiß diskutierte Frage des ideologischen Charakters der AfD lesen kann.

Das wiederum liegt im Wesentlichen daran, dass Wolf sich ausschließlich auf Parteien bezieht, die in einer Studie zur ideologisch-begrifflichen Einordnung von Parteien in den Medien aus dem Jahr 2014 berücksichtigt wurden. Dies ist insofern auch problematisch als damit etwa die gesamte Regierungszeit der polnischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) mit ihrer sehr problematischen Einstellung zum Rechtsstaat nicht mit betrachtet werden konnte.

Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass es der Verfasserin zweifelsohne gelingt, eine vergleichsweise trennscharfe, präzise Typologisierung von rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien vorzunehmen. Dabei kommt sie unter anderem zu dem interessanten Ergebnis, dass weder die Organisationsform (Partei vs. Bewegung) noch das Vorhandensein eines charismatischen Führers (was in der Forschung bis dato als Charakteristikum populistischer Parteien galt) als Unterscheidungsmerkmal beider Typen herangezogen werden kann. Positiv gewendet ist es vor allem die Frage nach der Akzeptanz der demokratisch-rechtsstaatlichen Strukturen, die bei den Rechtspopulisten gegeben, bei den Rechtsextremisten aber nicht vorhanden ist, die beide unterscheidet. Ebenso wichtig ist die Einschätzung der Verfasserin, dass die am Ende konzipierte Typologie sehr wohl auch für ostmitteleuropäische rechte Parteien herangezogen werden kann.

 

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