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Katharina Neumann: Medien und Islamismus. Der Einfluss von Medienberichterstattung und Propaganda auf islamistische Radikalisierungsprozesse

11.11.2020
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Autorenprofil
Michael Rohschürmann
Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften 2019

Katharina Neumann beschäftigt sich in ihrer Dissertation aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive mit dem Phänomen der islamistischen Radikalisierung. An der Aussage, dass es fast so etwas wie eine Allianz zwischen modernen Massenmedien und Terroristen gibt, ist vordergründig nichts Ungewöhnliches. Terrorismus ist zunächst eine Kommunikationsstrategie, die sich des Mittels der Angst bedient, um auf ihre Ziele aufmerksam zu machen – und Angst verkauft sich eben medial besonders gut.

Das spannende an Neumanns Forschung ist indes ihr Zugang zu 22 inhaftierten Islamisten (von IS-Kämpfern bis hin zu Predigern) und die Möglichkeit, diese zur Rolle der Medien in ihrer Radikalisierung zu befragen. Gerade der Aspekt der Rolle der Medien im Radikalisierungsprozess wurde bisher wenig bearbeitet und dies macht den Wert dieser Publikation aus.

Dabei kommt Neumann zu dem Ergebnis, dass nicht nur die Verbreitung von Propaganda, sondern auch journalistische Berichte eine wichtige Bedeutung im Radikalisierungsprozess einnehmen. Es ist bekannt, dass ein häufiger Ausgangspunkt von Radikalisierungskarrieren in einer realen oder wahrgenommenen Diskriminierung der eigenen Glaubensüberzeugungen liegt. Hierbei können mediale Berichte – vor allem, wenn sie im Boulevard-Stil verfasst werden – das Gefühl, missverstanden und unfair behandelt zu werden, massiv verstärken, bis hin zu einem Hass auf die Mehrheitsgesellschaft. (173) Islamistische Propagandisten appellieren dann geschickt an das Gerechtigkeitsgefühl ihrer Zielgruppe und betonen, dass verallgemeinernde Berichte nicht etwa schlecht recherchiert oder überzeichnet sind, sondern dass dahinter ein Angriff auf die Muslime allgemein stecke, der den westlichen Hass auf den Islam zeige und gegen den alle Muslime vorgehen müssten. Diese Form der Anwerbung ist vor allem in der ersten (kognitiven) Radikalisierungsphase wichtig, in der es den Anwerbern darum geht, eine deutliche Freund-Feind-Dichothomie zu schaffen.

Auch in der zweiten (gewaltbereiten) Radikalisierungsphase spielen mediale Berichte eine Rolle. Während die Form der Berichte über „den“ Islam in der ersten Phase einen abstoßenden Effekt auf die zu radikalisierenden Menschen haben sollen, steht in der zweiten Phase der Vorbildeffekt an erster Stelle. Hier werden nun vor allem Berichte über tatsächliche Terroranschläge oder Kämpfe dschihadistischer Gruppen verwendet. In diesem Zusammenhang konstatiert Neumann, dass diese Form der Berichte vor allem auf Jugendliche, die im Islamismus eine Form der Rebellion gegen die Gesellschaft und ihre eigenen Eltern sehen, eine besondere Anziehung ausüben kann: „Viele von den Anhängern sagen: ‚Ich hab euch erstmal in den Nachrichten gesehen und ihr wurdet da ganz gefährlich und so dargestellt. Und natürlich macht das dann neugierig und dann bin ich auf eine Seite gegangen und dann habe ich eure Sachen angeschaut und das hat mir voll gefallen.‘“ (122) Besonders gut verfängt diese Argumentation bei denjenigen Jugendlichen, die im Alltag bereits Diskriminierungserfahrungen gemacht haben.

Oft geht der Schritt nicht direkt hin zu einer gewaltbereiten Radikalisierung, sondern zunächst hin zu einer orthodoxeren Religionsausübung. Gerade hier sieht Neumann eine weitere Gefahr einer verallgemeinernden Berichterstattung mit einer Gleichsetzung von nicht gewaltbereiten Islamisten mit Terroristen: „Ich habe es oft erlebt, dass Salafisten, die eigentlich harmlos waren, die nur streng religiös leben wollten, aber ständig in die Dschihadisten-Schublade gesteckt wurden, dann am Ende wirklich auch zu Dschihadisten wurden.“ (226)

Gerade wenn es dschihadistischen Predigern darum geht, ihre Anhänger für tatsächliche Kampfhandlungen zu motivieren, werden gerne Bilder muslimischer Opfer (vor allem Frauen und Kinder) westlicher Angriffe aus den Medien verwendet. So gibt ein ehemaliges al-Qaida Mitglied an: „Jedes Mal, wenn man in den Medien Flugangriffe gesehen hat, verstümmelte Kinder und verwundete Menschen, dann hat das einfach das Bedürfnis hervorgerufen, Gerechtigkeit zu schaffen. Und je mehr in den Medien über Angriffe gegen die muslimische Welt berichtet wurde, desto mehr war man der Überzeugung, dass man dagegenhalten muss.“ (227)

Gleichzeitig kann aber auch die brutale Gewalt, die beispielsweise von den Kämpfern des Islamischen Staates ausging, auf einen Teil der Adressaten anziehend wirken. „Das ist Gerechtigkeit“ (226), so ein IS-Anhänger im Interview. Dabei scheinen Bilder von getöteten Frauen und Kindern auch auf Anhänger radikaler Gruppen eher einen abschreckenden Effekt zu haben, während Bilder von Selbstmordattentätern eher einen Nachahmungseffekt auslösen.

Aufgrund dieser unfreiwilligen Symbiose zwischen islamistischer Propaganda und der medialen Berichterstattung über islamistischen Terrorismus wirbt Neumann für mehr Aufklärung hinsichtlich der Wirkmuster islamistischer Radikalisierung gerade auch für Journalistinnen und Journalisten. Entsprechende Beispiele liefert sie mit ihrer Studie.

Neumanns Dissertation beleuchtet einen wichtigen Aspekt, der bisher in den Forschungen zu islamistischer Radikalisierung weitgehend vernachlässigt wurde. Gerade die Praxisrelevanz macht dieses Buch so wertvoll und empfiehlt es als Standardlektüre im Bereich der Terrorismusforschung.

 

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