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Yuyan Zhang / Weijiang Feng: Peaceful Development Path in China

19.12.2019
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Autorenprofil
Dr. rer. pol. Josie-Marie Perkuhn
Singapore, Springer Singapore 2019

Die Entwicklungsgeschichte Chinas ist unbestritten eine der ereignisreichsten und so werden von der Weltgemeinschaft auch in Zukunft die nächsten Wendungen mit Spannung erwartet. Mittels einer primär ökonomischen Liberalisierungsstrategie entwickelte sich China zu einer wirtschaftspolitischen Größe. In den vergangenen vier Dekaden hielt die Volksrepublik an dem Weg der Reform- und Öffnungspolitik – einst durch Deng Xiaoping angestoßen – fest und profitierte von dem weitestgehend friedlichen internationalen Umfeld. Soweit ist die Geschichte bekannt.

In fünf Kapiteln beleuchten die Autoren Yuyan Zhang und Weijiang Feng die zeitgeschichtlichen und kulturellen Hintergründe dieses außergewöhnlich friedlichen Entwicklungsweges. Abgehandelt werden einzelne aktuelle Aspekte, politische Entwicklungsentscheidungen im Kontext chinesischer Politik, wie zum Beispiel das Prinzip „One Country, Two Systems“ (41 ff.), Chinas Interaktion mit dem Westen vor dem Hintergrund des Chinesischen Traums (Kapitel 3), positive wie negative sozioökonomische Effekte der friedlichen Entwicklung, wie etwa das Dilemma der internationalen Arbeitsteilung oder die Besorgnis über bestehende ideologische Konflikte (107 ff.), sowie das Bestreben, strukturelle und konstitutionelle Alternativen für die Welt anzubieten (Kapitel 5).

In den gegenwärtigen ‚materiellen, monetären, institutionellen und konzeptionellen‘ Entwicklungserfolgen sehen die Autoren die Bestätigung der eingeschlagenen „route to rejuvenation“ (1). Diese Agenda der nationalen Verjüngung hatte (hohe) Kosten für die chinesische Bevölkerung. Die Hintergründe dieses Kurses zu begreifen, so meinen die Autoren, sei notwendige Voraussetzung, um zu verstehen, warum China den gegenwärtigen Frieden und die Stabilität so wertschätze (1). Es geht den Autoren also um den chinesischen Entwicklungsweg – aus chinesischer Perspektive.

Unter der Überschrift ‚Das China-Wunder‘ (The China Miracle) (1 ff.) führen die Autoren im ersten Kapitel zunächst prozedurale und faktische Aspekte an. In den Ausführungen unterstreichen sie die aktuelle Relevanz ihres Buches. Im Detail setzen sie sich inhaltlich mit der ökonomischen Bemessungsgrundlage auseinander und vertreten die Ansicht, dass zum Beispiel nationaler Wohlstand ein angemessenerer Index als Vergleichsgröße gegenüber dem Bruttoinlandsprodukt sei. Obgleich sich die Volksrepublik international auf lange Sicht weiterhin selbst als Entwicklungsland sehe, gleiche der bisherige Erfolg Chinas eher dem einer aufstrebenden Supermacht: So habe das anhaltende ökonomische Wachstum das Land auch mit steigender materieller Macht ausgestattet, was sich unter anderem an den militärischen Fortschritten zeige oder an der Internationalisierung der chinesischen Währung Renminbi (RMB) festmachen lasse.

Im Zuge der Internationalisierungsbemühungen setzt die Regierung auf institutionelle Alternativen, die nicht mehr regional begrenzt sind, sondern auch auf neue Kooperationsformen innerhalb bestehender Strukturen zielen, wie etwa das „World Bank-China development practice knowledge center“ (12) oder die substanzielle Vertiefung der BRICS-Kooperation (14). Insgesamt gewinnen chinesische Konzepte also an Herz, wie die Autoren am Beispiel des Konzeptes der „Harmonious World“ argumentieren, hinter dem sich Chinas Vision für die Zukunft der Weltordnung verbirgt (16).

Im zweiten Kapitel thematisieren sie zumeist entlang paraphrasierter politischer Direktiven den ökonomischen Reformprozess. So verweist das Unterkapitel „A Good Cat Should Be Good at Catching Rats“ auf die Deng Xiaoping zugeschriebene Aussage, dass es egal sei, welche Farbe eine Katze habe, Hauptsache sie fange die Mäuse. Dieses Sprichwort ist zum Sinnbild für die legitime Einführung kapitalistischer Elemente in den sozialistischen Wirtschaftsapparat geworden. Das Unterkapitel „Crossing the River by Feeling for the Stones“ verweist auf die Redewendung „mozhe shitou guo he“ (摸着石头过河). Diese bezieht sich auf die Praxis der Experimentierfreudigkeit als ein besonderes Merkmal des chinesischen Entwicklungsweges. Das ist keine neue Erkenntnis und wurde unter anderem von Sebastian Heilmann im Artikel „China als lernendes autoritäres System: Experimentierende Staatstätigkeit und wirtschaftliche Modernisierung“ in China Analysis 63/2008 ausgeführt. In der Folge führten diese Entscheidungen zur sozialistischen Marktwirtschaft.

Ein weiteres Unterkapitel thematisiert die Verstrickung von Frieden und Entwicklung als globale Themen und rühmt den chinesischen Beitrag, denn durch die Aufgabe der „Philosophie des Kampfes“ habe sich China, so behaupten die Autoren, zur ‚wichtigsten Stütze des Friedens und der Stabilität‘ (48) entwickelt.

Während im dritten Kapitel der Chinesische Traum in seiner Bedeutung für die Welt betrachtet wird, setzten sich die Autoren im vierten Kapitel mit den Grenzen und Herausforderungen des friedlichen Entwicklungsweges unter Bezugnahme verschiedener gesellschaftlicher und außenpolitischer Aspekte auseinander. Zunächst gehen sie auf Chinas Sozialismus ein, das Festhalten Xi Jinpings am Reformkurs Dengs oder auf eine vergleichende Positionierung Chinas mit anderen Entwicklungsstaaten gemessen am Pro-Kopf-Einkommen. Insgesamt nennen Zhang und Feng sechs Aspekte der nationalen Identität und charakterisieren das Land folgendermaßen: „a socialist, developing, fast growing, not yet unified, large and indispensable country right on its way of reform and opening-up“ (58). Eine Wachstumsgrenze sehen die Autoren in der Zugänglichkeit natürlicher Ressourcen, die für Chinas Wirtschaft zwar bezahlbar wären, aber nicht notwendigerweise zur Verfügung stehen (88).

Neben der Darstellung aus chinesischer Perspektive thematisieren die Autoren auch die zukünftige Weiterentwicklung des ‚friedlichen Entwicklungspfades‘, der schließlich als ein Beispiel für die globale Friedensschaffung eingeführt wird. So weisen sie im gleichnamigen fünften Kapitel die ‚Schaffung einer Zukunft des langanhaltenden Friedens und gemeinen Wohlstandes‘ aus. In dieser Zukunft ist China (maßgeblich) an der internationalen Regelsetzung beteiligt (117) und die von der Volksrepublik eingebrachte ‚Groß-Macht-Beziehung‘ („major-country relationship“) zwischen den USA und China habe bereits eine Verfassung für den Wettbewerb geschaffen. Diese führe nicht zur ‚kollektiven Beseitigung‘ – wie indirekt über den dominanten Weg der USA vermutet wird –, sondern zur Effizienzsteigerung und zu einer Friedensdividende (160). In Zusammenhang mit der Partizipation an Global Governance, so behaupten Zhang und Feng, sei es sowohl Chinas Verantwortung als auch die richtige Zeit für das Land, in Anlehnung an die konfuzianisch-kosmopolitische Tianxia-Lehre, das Konzept einer Menschheit als Schicksalsgemeinschaft zu vertreten (142).1

Das Werk bewegt sich zwischen dem Bemühen, Chinas friedlichen Entwicklungsweg aus dem historischen Werdegang beschreibend zu erklären, und der Prognose, in welche Richtung sich der Weg zukünftig weiterentwickeln sollte. Insgesamt liefern die Autoren damit einen Beitrag zur kultur- und wissenschaftlichen Verständigung. In ihren Ausführungen bedienen sie sich einerseits vieler Bezüge zur chinesischen Ideen- und Kulturgeschichte, wie zum Beispiel in den Darstellungen zum Herrscherbild eines Laozi (81) oder bei der Abhandlung über den chinesischen Drachen Long direkt im Vorwort. Andererseits scheinen sich Zhang und Feng an westlichen Konzepten „abzuarbeiten“, indem sie beispielsweise ganze Unterkapitel dem Tocqueville-Effekt, der thukydidischen Falle oder der middle income trap widmen.

In zweierlei Hinsicht gelingt die Mittlerfunktion allerdings nur mäßig: Zum einen wirkt die Exegese des historisch fundierten Alternativangebots eklektisch und weitestgehend unsystematisch. Zum anderen bleibt offen, in welchen inhaltlichen Punkten Chinas Alternative einen gestalterischen Mehrwert zur Veränderung der Weltordnung bringen soll.

Der Zusammenhang einzelner in sich stimmiger Darstellungen ist nicht immer explizit augenscheinlich: So erschließt sich der tiefere Sinn hinter der im Vorwort angeführten Begriffsgeschichte des Terminus Long im Zusammenhang mit der antiken Friedensformel zur Harmonisierung aller Nationen im Vorwort nicht. Zumal fraglich ist, inwieweit die angeführten physischen Eigenschaften, mit dem hier der Drache assoziiert wird, inhaltlich nicht eher die Merkmale sind, die dem chimärenartigen Fabelwesen Qilin im Pekinger Sommerpalast zugeschrieben werden. In der abschließenden Bemerkung zur Legende des Ping Pong wird die Geschichte des Tischtennis zur Olympiadisziplin in Teilen mit der modernen Geschichte verglichen: Die technische Verbesserung an Schlägern setzen die Autoren mit dem technischen Fortschritt der Kampfwaffen gleich. Obgleich Regelsetzung selten neutral sei, räumen sie ein, könne auch der weiseste Regelsetzer nicht vorhersehen, wer am meisten durch diese begünstigt sei (172 f.). In den vergangenen 100 Jahren habe China vom Westen gelernt und diesen sogar überholt, heißt es weiter in Bezug auf den Wettbewerbssport (173). Nur zwischen den Zeilen wird deutlich, dass sich diese Aussage nicht nur auf den Sport beschränkt.

Auf eine Leserschaft mit liberaldemokratischem Hintergrund wirken Behauptungen dagegen eher irritierend, die besagen, was die chinesische Bevölkerung wolle, sei das, was auch Bevölkerungen anderer Länder wollen und der Sozialismus mit chinesischen Charakteristika sei kein „Chinese exceptionalism“ (118). So mögen die nachfolgend aufgezählten Kernwerte („core values“), wie Wohlstand, Demokratie, Zivilisation Harmonie, Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, nominal mit den Idealen der westlichen Weltordnung und konkret der UN-Charta der Menschenrechte übereinstimmen. Im Kernverständnis bestehen erhebliche inhaltliche Varianzen, welche nicht erörtert werden und leeren Begriffshülsen gleichen. Dass jedoch gravierende Unterschiede im Begriffsverständnis bestehen, zeigt sich spätestens am gewählten Terminus für die Rechtsstaatlichkeit: Genannt wird „Rule by Law“ (118). Die Herrschaft durch Recht ist also im Gegensatz zum liberal-demokratischen Verständnis der Herrschaft des Rechts („Rule of Law“) gemeint.

Die jeweiligen Kapitel sind als Einzeltexte, ähnlich einem Sammelband, verfasst und jeweils mit eigener Kennung versehen. Bildmaterial gibt es kaum – abgesehen von weniger gut erkennbaren Grafiken zur Illustration des schnellen Wachstums Chinas (74) oder dem der Weltbank entnommenen Datenmaterial. Vorhanden sind Tabellen, wie etwa zum durchschnittlichen Einkommen Chinas im Verhältnis zu den ASEAN-Staaten (75) oder zur globalen Verteilung der Wertschöpfung von Apple Produkten (99), wobei detailliertes Datenmaterial zu chinesischen Produkten oder sogar eine Reflexion über die chinesischen Exportgüter und Wertschöpfungsketten dieses als einzigartig herausgestellten Entwicklungsweges eher wünschenswert gewesen wäre.


Anmerkung:

1Im Original heißt es: „human beings sharing a community of common destiny“ und verweist sicherlich auf renlei mingyun gongtongti).

 

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