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Benjamin Schreer / Andrew T. H. Tan: Terrorism and Insurgency in Asia: A contemporary examination of terrorist and separatist movements

09.08.2019
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Autorenprofil
Prof. Dr. Rainer Lisowski
London, Routledge 2019

Im Westen interessiert man sich eher beiläufig und punktuell für Terrorismus im weit entfernten Asien. Manche Ausnahmen schaffen es bis in unsere Medien, etwa der verheerende Bombenanschlag auf Bali im Jahr 2002 oder ein Jahr später die spektakuläre Geiselnahme von Tauchtouristen durch die philippinische Gruppe Abu Sajaf mit Happy End, die sich in ähnlicher Form mit tragischem Ende 2014 und 2017 wiederholte.

Andrew Tan und Benjamin Schreer bieten interessierten Leserinnen und Lesern im Westen einen soliden und informativen Überblick der Gesamtlage in Asien. Das Buch ist ein klassischer Sammelband, der einem akademischen Publikum Orientierung und schnelle Übersicht der terroristischen Gruppen, der geografischen Lage, der historischen Konfliktentwicklung sowie der ökonomischen und politischen Situation als auslösende Faktoren geben will.

Das vor allem von Forscherinnen und Forschern der australischen Macquarie University geschriebene Buch ist in vier Teile und 16 Kapitel gegliedert. Die beiden Herausgeber leiten mit einer kurzen und informativen Übersicht in den Sammelband ein, präsentieren angenehm knapp und unprätentiös Forschungs- und Theorielage und geben bereits in der Einführung eine erste Übersicht der hinter den terroristischen Aktionen stehenden politischen Konflikte. Es folgen einzelne Länderstudien im zweiten (Südasien) und dritten (Südostasien) Teil des Buches. Jeder Landesartikel bietet neben den erwähnten Übersichten eine Einschätzung zum weiteren Verlauf des Konfliktes in der Zukunft. Im vierten Teil werden drei Querschnittsthemen formuliert: Deradikalisierung, Rehabilitation und staatliche Gegenmaßnahmen.


Blicken wir auf drei Länderbeispiele:

Besonders interessant ist der Aufsatz zu Chinas ‚Problemprovinz‘ Xinjiang, in dem die uigurische Bevölkerungsmehrheit nach westlicher Lesart von der chinesischen Zentralregierung schlicht unterdrückt und ‚umerzogen‘ wird. Der Aufsatz beleuchtet das Problem von mehreren Seiten und zeigt neben eher repressiven Elementen auch die Verständnis fördernden und Entwicklung stützenden Ansätze der Pekinger Politik auf. In westlicher Mediendarstellung wird beispielsweise selten darüber berichtet, wie viel Peking für die wirtschaftliche Entwicklung der Region leistet oder wie sehr die lokalen Kader – vor allem solche der Han-chinesischen Nationalität – dazu bewegt werden, durch Besuche bei uigurischen Familien engere Verbindungen zueinander aufzubauen. Der Autor spricht von mehr als 200.000 Fällen – man darf also System dahinter vermuten. Unerwartet finden ebenfalls affirmative action-Maßnahmen der Zentralregierung statt. Uiguren müssen entsprechend vorgegebener Quoten im Staatsapparat repräsentiert sein. Gleichwohl werden Überwachungsmaßnahmen in dem Aufsatz keineswegs ausgespart. Insgesamt wird der Konflikt als eingehegt, aber in Zukunft kaum lösbar porträtiert.

Seit der Unabhängigkeit von den USA 1946 wird vor allem der Süden des über 7.000 Inseln umfassenden philippinischen Archipels von Unruhen und Aufständen heimgesucht. Während zur Zeit des repressiven Marcos-Regimes mit Ausnahme maoistisch inspirierter Anschläge eher Ruhe herrschte, nahmen mit Beginn der Demokratisierung (ebenso wie übrigens in Indonesien) die religiös begründeten terroristischen Attacken zu, die vor allem die Schaffung eines unabhängigen islamischen Gottesstaates auf Mindanao anstreben. Gerade im Fall der Philippinen wird jedoch deutlich, wie fließend die Grenzen zwischen ethnisch-religiös begründetem Terrorismus und purer Kriminalität mit mafiösen Zügen sind. Ebenso werden die internationalen Einflüsse auf lokale Konflikte deutlich: konservativer Wahhabismus aus dem arabischen Raum auf Seiten der Aufständischen; US-Unterstützungen auf Seiten der demokratisch gewählten Staatsregierung. Zumindest in näherer Zukunft dürfte nach Einschätzung des Autors nicht mit einer Befriedung zu rechnen sein, da das Militär des Landes ohne Weiteres keine volle Kontrolle über den Süden des Archipels erringen wird.

Thailand bildet bei den südostasiatischen Ländern eine Ausnahme. Während es Malaysia, Indonesien und vor allem dem reichen Singapur gut gelingt, Terroristen und Aufständische in Schach zu halten und bedrohliche Anschläge oftmals im Keim zu ersticken, bleibt der Süden des Königreichs Thailand instabil. Seit über einhundert Jahren zieht sich der Konflikt mit den malaysisch geprägten Einwohnern hin. Der Konflikt ist weitgehend ein Nebenberufsterrorismus. Viele Aufständische sind etwa als Kleinbauern aktiv und so weisen die Anschläge saisonale Hoch- und Tiefpunkte auf. Die sich kulturell überlegen fühlenden Thais setzen vor allem auf kulturelle Assimilation – und auf ‚Wegschauen‘: Die mit den herrschenden Eliten in Bangkok eng verbandelte Militärführung greift zwar sporadisch hart durch, ignoriert aber größtenteils die Konflikte an der Wurzel. Da Thailand über einen starken und in Jahrhunderten gewachsenen Staat verfügt, kann es sich diese Politik erlauben. Der Blutzoll dafür ist indessen hoch: Durchschnittlich 550 Menschen wurden seit 2009 jährlich getötet – allerdings mit klar sinkender Tendenz: neben unbeteiligten Zivilisten und Militärangehörigen vor allem ‚Kollaborateure‘ der kulturellen Assimilation – wie Lehrerinnen und Lehrer oder freiwillige Helferinnen und Helfer.


Welche Erkenntnisse bleiben westlichen Leserinnen und Lesern von der Lektüre des Buches?

Zum Ersten erhält man einen hervorragenden Überblick der Situation in den verschiedenen Ländern. Es schält sich heraus, wie vor allem Länder Südasiens (Pakistan, Afghanistan, aber auch Indien) stärkere Probleme mit Terrorismus haben, während die südostasiatischen Länder – allen voran einmal mehr Singapur – bei Weitem besser vorbereitet scheinen. Über Asien informierte Leserinnen beziehungsweise Leser mögen diese Einschätzung jedoch erwartet haben.

Zum Zweiten wird deutlich, dass es oft Staatsversagen oder Staatsschwäche ist, die dem Terrorismus Nährboden bietet: manchmal – aber eben nicht immer! – gepaart mit sozioökonomischen Problemen der problematischen Regionen.

Zum Dritten werden die verschiedenen Strategieansätze der asiatischen Staaten deutlich. Und hier mag es auch den informierten Leserinnen und Lesern überraschen, wie vielschichtig in einigen Ländern die Vorgehensweisen ausfallen und dass keineswegs nur ‚drakonische Unterdrückung‘ die Antwort der zum Teil autokratischen Staaten ist, sondern auch präventive und rehabilitierende Maßnahmen verfolgt werden. Wenngleich dies gewiss in unterschiedlicher Intensität und mit gemischten Erfolgen geschieht. Das reiche, multiethnische Singapur mit seinen für islamistische Terroristen attraktiven Zielen (westliche Konzernzentralen) schneidet erwartungsgemäß mit einer Mischung aus Härte und Kümmern am besten ab.

Zum Vierten wird durch ständige Querbezüge zur internationalen Ebene deutlich, wie stark Entwicklungen fernab des eigentlich betrachteten Landes zur Radikalisierung im analysierten Land beitragen können. Vor allem die Rolle der afghanischen Mujaheddin oder die radikaler Wahhabiten der arabischen Halbinsel als Sponsoren und Inspiratoren des Terrorismus blitzt klar erkennbar immer wieder auf.

Zum Fünften bleibt ein eher pessimistisches Gesamtbild zurück. Auch wenn die vergangenen Jahre viele Erfolge im Umgang mit Aufständen und Terrorismus in Asien brachten, sind nahezu alle Autoren skeptisch, was die Zukunft bringen mag. Derzeit sind die Aufstände in der Regel begrenzt, die Terroristen weitgehend unterfinanziert und territorial eingehegt. Man kann es auf die Formel „aktuell stabile Lage mit unsicherer Aussicht für die Zukunft“ bringen. Anlass zur Sorge bietet den Autoren etwa die Dynamik sozialer Medien, deren Potenzial zur Rekrutierung von für Gewalt empfänglichen Jugendlichen, zur Vernetzung von Terrororganisationen, zur Steigerung von Angst und Hysterie oder auch zur Aufwiegelung tatsächlich oder vermeintlich unterdrückter Bevölkerungsschichten, wie im Buch immer wieder betont wird.

Zum Schluss eine leicht kritische Bemerkung: Gerade die deutschen Leserinnen und Leser dürfte die im Angelsächsischen weit verbreitete Neigung, ständig und in Hülle und Fülle Abkürzungen in den Text einzubauen, stören. Doch insgesamt handelt es sich um eine sehr gute Publikation mit einem bei uns selten diskutierten Thema.

 

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Rezension


Stefan A. Goertz

Der neue Terrorismus. Neue Akteure, neue Strategien, neue Taktiken und neue Mittel

Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften 2018

Stefan Goertz widmet sich dem „neuen Terrorismus“ – der Titel erinnert nicht von ungefähr an Herfried Münklers „Die neuen Kriege“. Dieses „Neue“ versteht er sowohl quantitativ – Anzahl der Straftaten und Täter – als auch qualitativ, etwa hinsichtlich der Ideologie, der Nutzung neuer Medien oder der Zusammenarbeit mit kriminellen Organisationen. Er fasst den aktuellen Forschungsstand knapp aber zielführend zusammen und greift dabei auch auf neueste Ergebnisse und Quellen zurück. Zugleich werden kurz die wichtigsten Vordenker des gegenwärtigen islamischen Extremismus in einer sinnvollen Auswahl vorgestellt.
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Lektüre

Christian Wagner
Neue Qualität des Terrorismus in Sri Lanka
Interview von Norbert Lehmann, in: ZDF Spezial, 21.04.2019

 

Jannis Jost, Stefan Hansen, Joachim Krause (Hrsg.)
Jahrbuch Terrorismus 2017/2018
Leverkusen, Verlag Barbara Budrich 2018

 

Guido Steinberg
Das Ende des IS? Die Fragmentierung der jihadistischen Bewegung
SWP-Studie 2018/S 20, Oktober 2018

 

Rachel Benaim
Der islamische Separatismus, der keiner ist. Wie ein Umdenken in Peking die Integration der Uiguren fördern könnte.
IPG, 28.07.2014

 

Marco Bünte
Der Kampf gegen Terrorismus und Piraterie in Südostasien
in: Hanns Maull / Martin Wagener (Hrsg.), Ostasien in der Globalisierung
Baden-Baden: Nomos, 2009, 305-325

 

Christoph Grützmacher
Islamistischer Terrorismus als Sicherheitsproblem in Asien: Kampf im Namen Allahs?
Hamburg, Verlag Dr. Kovac 2008


zum Thema
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