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James Pattison: The Alternatives to War. From Sanctions to Nonviolence

23.08.2019
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Autorenprofil
Matthias Herb-Seifert
Oxford, Oxford University Press 2018

Alternativen zum Krieg. Von Sanktionen bis hin zur Gewaltfreiheit


„The book is ambitious: it aims to provide a comprehensive account of the ethics of the alternatives to war“ (V). Mit diesem Satz leitet James Pattison den Band ein – und erfüllt seinen selbst gesetzten Anspruch über die gut 220 Seiten vollständig. Er liefert eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit den ethischen Fragestellungen, die sich bei der Nutzung nicht-kriegerischer außenpolitischer Instrumente ergeben.


Pattisons Ausgangspunkt ist das Konzept R2P – Responsibility to Protect. Es stellte 2005 eine fundamentale Abkehr von dem bis dahin – offiziell – praktizierten Nichteinmischungs- und Souveränitätsgebot des internationalen Systems dar. Seit diesem Zeitpunkt konnte die internationale Gemeinschaft in andere Länder eingreifen, wenn diese nicht in der Lage waren, ihre eigene Bevölkerung vor Gewalt und Krieg zu schützen oder sogar selbst dafür verantwortlich waren. Ein Mittel, um wieder Frieden herzustellen sind dabei humanitäre Interventionen – es gibt aber Alternativen: „According to the R2P the international community has a responsibility to protect threatened populations. […] But what should states and other actors in the international community do instead of waging war and doing nothing?” (1)


Auf diese Frage nach den Handlungsmöglichkeiten gibt es mehrere Antworten: wirtschaftliche Sanktionen, Waffenembargos, Diplomatie, gewaltfreien Widerstand, positive Anreize und die Unterstützung einer beteiligten Konfliktpartei durch Waffenlieferungen. Pattison fragt aber nicht, ob sich eine dieser Maßnahmen in einem spezifischen Fall als Lösung eignet. Stattdessen tritt er einen Schritt von der möglichen praktischen Umsetzung zurück und widmet sich der Frage, welche der genannten Alternativen moralisch vertretbar sind. Um diese konsistent für alle genannten Maßnahmenpakete zu beantworten, entwickelt er den sogenannten „pragmatic approach“ (18). Innerhalb dieses Ansatzes legt er drei Regeln fest: Erstens untersucht er Maßnahmen nicht nur auf die sicher eintretenden, sondern auch auf die wahrscheinlichen Effekte hin: „[I]t takes into account current contingent features of the alternatives, such as whether they are generally likely to be effective, even if they will not always be so“ (21). Zweitens geht es immer auch darum, ob die Maßnahme auch in einer nicht-perfekten Welt überhaupt umsetzbar ist oder nur auf theoretischer Ebene. Drittens erachtet Pattison die Effektivität der Maßnahme generell als das wichtigste Kriterium. Als oberste Maßgabe steht daher immer die Frage, ob eine Maßnahme dazu geeignet ist, grundlegende Menschenrechte der betroffenen Bevölkerung zu sichern. Nach den grundlegenden Prämissen erarbeitet Pattison fünf Leitfragen, um Alternativen zu Krieg und Intervention auf moralischer Ebene zu überprüfen:


Erstens: Ist die Maßnahme als solche effektiv?

Zweitens: Sind die Kosten und der Nutzen fair verteilt?

Drittens: Wird Menschen durch die Maßnahme Schaden zugefügt beziehungsweise wird durch die Maßnahme riskiert, dass Menschen Schaden erleiden?

Viertens: Wird ein Schaden, der durch die Maßnahme verursacht wird, von einem zwischengeschalteten Agenten vermittelt? Sollte durch diese Schaden entstehen, dieser aber durch eine dritte Partei zugefügt werden, ist es dem Autor zufolge nicht zwingend, diese Maßnahme abzulehnen, obwohl Schaden entsteht;

Fünftens: Trägt die Maßnahme dazu bei, dass die Schuldigen bestraft werden?


Der Verfasser unterzieht die eingangs genannten Maßnahmenbündel diesen fünf Tests und beurteilt so, ob es moralisch vertretbar ist, sie einzusetzen. Dabei kommt er zu immer fundierten und nachvollziehbaren Ergebnissen. In Bezug auf Sanktionen zieht er ein differenziertes Fazit, spricht sich aber dafür aus, Sanktionen mindestens als mögliche Alternative gegen Menschenrechtsverletzungen anzudenken: „[B]oth broad and supposedly targeted sanctions, although often problematic, are less morally bad than is often claimed“ (69). Deutlicher fällt die Beurteilung im Fall von Waffenembargos aus: „To that extent, arms embargoes are a form of sanction that should be generally pursued.“ (90) Unter dem schlanken Obertitel „Diplomatie“ verbergen sich wiederum viele verschiedene Handlungsmöglichkeiten, die Pattison differenziert diskutiert. Er kommt aber auch hier zu einem klaren und nachvollziehbaren Ergebnis: So ergibt sich aus seiner Analyse die praktische Empfehlung, dass Staaten und andere Akteure externe Aggressionen und Massengrausamkeiten viel stärker öffentlich anprangern sollten als dies bisher geschieht.


Vorsichtiger fällt sein Fazit in Bezug auf zivilen Widerstand aus: „I have argued that both civilian peacekeeping and civilian defence can play some role in tackling mass atrocities and serious external aggression, even if both are limited. They should, I have argued, be seen often as potential responses alongside more violent ones” (134). Auch positive Anreize, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu beenden, beinhalten eine Vielzahl an Einzelmaßnahmen. Diese reichen von Versprechen, einem Staatenbund beitreten zu können bis hin zu Amnestien für Staatsoberhäupter, die direkt in diese Verbrechen verstrickt waren. Generell zeigt sich, dass die Nutzung positiver Anreize kein Allheilmittel ist und es wichtige Unterschiede zwischen den verschiedenen Arten von Anreizen sowie einen engen Zusammenhang zwischen zwingenden und nicht-zwingenden Anreizen gibt.


Ein höchst umstrittenes Thema ist die Bewaffnung von einzelnen Konfliktparteien in der Hoffnung, dass der akute Konflikt dadurch schneller beendet wird. Pattison zieht nach der Diskussion ein klares Fazit: „Overall, then, military assistance should not be viewed as a central mechanism to help fulfil the R2P and to tackle serious external aggression” (184).


Pattison hat ein in jeder Hinsicht herausforderndes Buch geschrieben: Erstens ist das Thema grundsätzlich sehr anspruchsvoll. Er geht mit seinem Band über das Niveau hinaus, ob eine bestimmte Maßnahme gegen ein bestimmtes Land eingesetzt werden sollte und arbeitet stattdessen die dahinterliegenden moralischen Antworten heraus. Dies geschieht zweitens über die ganze Länge des Bandes hinweg in sehr anspruchsvollen, dabei aber immer nachvollziehbaren Argumentationsketten. Drittens ist der Band auch sprachlich herausfordernd: Einerseits nutzt Pattison eine sehr komplexe Syntax mit vielen Fremdwörtern, zweitens fließen regelmäßig lateinische Ausdrücke mit ein. „The Alternatives to War” ist damit ein Buch, das man sich erarbeiten muss, das aber gleichzeitig eine Vielzahl neuer Einsichten und Erkenntnisse bietet.

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Rezension


Alexander Pyka lotet die völker- und europarechtlichen sowie die politischen Dimensionen der Sanktionen der VN und der EU gegen den Iran aus und entwickelt einen Prüfungsmaßstab für deren rechtliche Zulässigkeit. Deutlich wird, dass diese Sanktionen nicht der Durchsetzung von Recht dienten, sondern eine Verhaltensänderung des iranischen Regimes zum Ziel hatten. Die besondere Problematik bestand in diesem Fall darin, dass die technischen Mittel, die für ein ziviles Atomprogramm eingesetzt werden, mit geringem Aufwand auch zur Herstellung von Atomwaffen benutzt werden können.
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Aus der Annotierten Bibliografie

Responsibility to Protect

 

 

 

 

 


Aus der Annotierten Bibliografie

Sanktionen



Lektüre


Sascha Lohmann
Sanktionen in den internationalen Beziehungen. Werdegang, Wirkung, Wirksamkeit und Wissensstand
Aus Politik und Zeitgeschichte, 31. August 2018, Heft: Internationale Sicherheit,
hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung

Julia Grauvogel
Sanktionen als Instrument der Konfliktbearbeitung
Bundeszentrale für politische Bildung, 17. Mai 2018

Christoph Heusgen / Antonia Reimelt
Wann Sanktionen wirken. Um dem Völkerrecht Respekt zu verschaffen, braucht es langen Atem
2. November 2017, Internationale Politik 6, November-Dezember 2017, S. 81 - 87

Sascha Lohmann
Sanktionen. Fünf Thesen auf dem Prüfstand
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