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Florian Gerster: Politik als Beruf. Eine motivationspsychologische Analyse

12.02.2019
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Autorenprofil
Ulrich Heisterkamp
Baden-Baden, Nomos Verlag 2018

In seinem zum Klassiker gewordenen Vortrag „Politik als Beruf“ unterschied Max Weber 1919 Berufspolitiker in solche, die für die Politik leben und solche, die von ihr leben. Ein Jahrhundert später hat sich dieser Aphorismus in der Realität längst überlebt, ist in der professionellen Betätigung als Berufspolitiker das eine nur mehr theoretisch vom anderen zu trennen. Gerster begründet die interdisziplinäre, Politikwissenschaft und Motivationspsychologie verzahnende Dissertation mit dem „Erkenntnisinteresse eines studierten Psychologen, der Politik dreißig Jahre als Hauptberuf betrieben hat“ (12). Ausgehend von der sozialen Motiv-Trias Leistung, Anschluss und Macht untersucht er anhand zehn berufspolitscher Fallbeispiele die individuellen Beweggründe hinter der folgenreichen Entscheidung für Politik als „Beruf ‚sui generis‘“ (11). Ob dahinter ein zentrales Motiv steht oder aber „ein Motivcluster mit bewussten und unbewussten, expliziten und impliziten Anteilen“ (43), geht der Analyse als Leitfrage voraus.

Gerster nimmt an, dass die drei Motivelemente bei der Entscheidung für eine berufspolitische Karriere unterschiedliche Bedeutung haben, wobei das Machtmotiv am stärksten ausgeprägt, das Bedürfnis nach sozialem Anschluss im „Haifischbecken Politik“ hingegen nachrangig sei. Im empirischen Abschnitt der Studie geht er dieser These auf den Grund und wertet dazu problemzentrierte Interviews aus, die er „mit zehn sorgfältig ausgewählten Politikern (m/w)“ (47) geführt hat. Dieser Auswahl stellt er zwei Vergleichsgruppen gegenüber. Zum einen handelt es sich um fünf Personen aus dem Bereich der Funktionselite „Wirtschaftsführer“, zum anderen um die Vergleichsgruppe „Junge Politiker“, bestehend aus den Landesvorsitzenden der vier politischen Jugendorganisationen der im Hessischen Landtag vertretenen Parteien CDU, SPD, Grüne und FDP.

Bei der Auswahl insbesondere der Berufspolitiker ist zu monieren, dass Gerster etwas unkritisch lediglich die „Voraussetzung einer persönlichen Vertrauensbeziehung“ (48) als Kriterium anführt und den Befragten „den gemeinsamen Vorzug einer so eingeschätzten vertrauensvollen Nähe zum Explorateur und einer so eingeschätzten Fähigkeit zur Selbstreflexion“ (57) bescheinigt. Schließlich sei „Vertrauen zum Fragesteller und in das Verfahren der Datenverwendung“ (47) ein Schlüssel dafür, Auskünfte zu sensiblen Themen im Rahmen von Tiefeninterviews zu erhalten. Hier wäre – unabhängig von der methodenbedingt stets begrenzten Verallgemeinerbarkeit qualitativer Forschungsergebnisse – ein Hinweis auf die Problematik von (zu) großer und deshalb möglicherweise korrumpierender Nähe zwischen Untersuchungssubjekt und -objekt nötig gewesen. Abgesehen davon hätte eine systematischere Auswahl der Gesprächspartner entlang theoretisch abgeleiteter Kriterien nicht geschadet, wenn Gerster hier auch zweifellos verdienstvolle Pionierarbeit geleistet hat und (Alt-)Politiker wie Wolfgang Clement, Klaus von Dohnanyi, Bodo Hombach, Julia Klöckner und Christian Lindner für die Interviews gewinnen konnte.

Als Vorstudie stellt Gerster die autobiografischen Selbstauskünfte von ihm „aus beruflicher Zusammenarbeit persönlich bekannten Politikern“ (59) wie Erhard Eppler, Annemarie Renger sowie der späteren Kanzler Helmut Schmidt und Gerhard Schröder voran – an dieser Stelle gilt das schon mit Blick auf die Interviewauswahl Gesagte. Problematischer ist allerdings der mitunter glorifizierende und jedenfalls deplatzierte Duktus, mit dem Gerster anschließend die Interviewprotokolle der befragten Berufspolitiker präsentiert. Wenn etwa von Dohnanyi als „Solitär unter den Politikern, mit vielfältigen Interessen, höchstem Leistungsanspruch und frei von jeder Art von Korpsgeist!“ (85), Klöckner wiederum als „erfolgreiche, charismatische Politikerin mit Bodenhaftung“ und Lindner als „begabter, hoch motivierter und im guten Sinne früh reifer Politiker“ charakterisiert werden, so hat das wenig von einem wissenschaftlich nüchternen Urteil, sondern ist persönliche Meinungsäußerung mit Tendenz zur Lobhudelei und als solches einer wissenschaftlichen Qualifikationsarbeit unwürdig.

Ertragreicher ist da die Synopse der Gemeinsamkeiten in den Werdegängen, wenngleich auch hier ein etwas triviales Fazit verbleibt: Denn dass „das ermittelte Selbstbild der befragten aktiven und ehemaligen Berufspolitiker (m/w) sowie deren Einschätzung von Wirkungsmöglichkeiten und Werthaftigkeit ihrer politischen Arbeit […] signifikant positiv von der gesellschaftlichen Außensicht auf diese Funktionselite ab[weichen]“ (115), versteht sich letztlich von selbst. Irritierend wäre nur das Gegenteil. Gersters Resümee, die „befragten Politiker rechtfertigen jedenfalls die gesellschaftliche Geringschätzung der Politischen Klasse in puncto Charakter oder Performanz in keiner Weise“, erscheint apologetisch wie eine indirekte Selbstentlastung. So bleibt der unbefriedigende Eindruck, dass der wissenschaftlich Untersuchende die nötige objektive Distanz gegenüber dem Gegenstand seiner Untersuchung nicht hinreichend gewahrt hat.

 

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Aus der annotierten Bibliografie

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Die Beiträge wurden auf einem Workshop im Juli 1997 in Göttingen diskutiert und - soweit erforderlich - von Mitarbeitern des Zentrums für Europa- und Nordamerikastudien (ZENS) übersetzt. In einem zweiten Folgeband plant der Herausgeber eine umfassende Auswertung des vorliegenden und ferner verfügbaren Materials. Wie die 19 Länderberichte in diesem Band zeigen, kann die fortschreitende Professionalisierung der Politik je nach Regierungssystem völlig unterschiedliche Auswirkungen auf das politisch...weiterlesen

 

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