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Bob Woodward: Furcht. Trump im Weißen Haus

05.11.2018
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Natalie Wohlleben, Dipl.-Politologin
Reinbek, Rowohlt Verlag 2018

„‚Er ist ein verdammter Vollidiot‘, sagte Tillerson so, dass alle es hören konnten.“ (297)


Im Laufe der Lektüre verfestigt sich der Eindruck, dass es sich bei US-Präsident Donald Trump um einen funktionalen Analphabeten handelt – er liest nichts, sieht sich nicht einmal in handliche Grafiken umgewandelte Statistiken an. Bob Woodward würde eine solche Diagnose allerdings nie ohne Beleg niederschreiben und auf einer der letzten Seiten findet sich dann die – wahrscheinlich verlässliche – gegenteilige Beobachtung: Bei einem Treffen mit seinem Anwalt John Dowd, der ihn eine Zeitlang angesichts der Arbeit des Sonderermittlers Robert Mueller unterstützt hat, „las [Trump] den zweiundzwanzigseitigen Brief sorgfältig und hielt inne, um etliche Stellen laut vorzulesen“ (427). Anders als Woodward hat die gefeuerte Mitarbeiterin des Weißen Hauses Omarosa Manigault Newman in ihrem Buch „Unhinged“ zwar explizit Trump als des richtigen Lesens nicht mächtig beschrieben. Die gesamte Darstellung Woodwards lässt aber noch einen anderen Schluss zu: Nahezu vollkommende Starrsinnigkeit. Trump hält stur an seinen Ansichten fest, gegenteilige Argumentationen und Zahlen werden gerne als Blödsinn oder „Schwachsinn“ (292) abgetan. Der zeitweilige Direktor des Nationalen Wirtschaftsrates Gary Cohn hat laut Woodward Trump rundheraus gefragt: „‚Warum haben Sie solche Vorstellungen?‘ – ‚Die habe ich einfach‘, erwiderte der Präsident. ‚Ich sehe das seit dreißig Jahren so.‘“ (192)

„Furcht“ ist die Bestandsaufnahme der ersten Hälfte dieser Präsidentschaft auf der Basis von ausführlichen Interviews beteiligter Mitarbeiter, Minister und Anwälte, wobei der Schwerpunkt auf der Außen- und Sicherheitspolitik liegt. Damit ergänzt Woodward die Bücher von Michael Wolff, der in „Feuer und Zorn“ das unter Trump chaotische Innenleben des Weißen Hauses und die ideologische Ausrichtung dieser Präsidentschaft in den Mittelpunkt gestellt hatte, und von David Cay Johnston, der in „Trump im Amt“ vor allem erste Entscheidungen in zentralen Bereichen der Innenpolitik darstellte. Die Schnittmengen dieser drei Bücher zeugen von einer völlig unstrukturierten Arbeitsweise des Präsidenten und widerstreitenden Fraktionen im Weißen Haus. Bei Woodward, dessen Buch das jüngste dieser drei ist, wird deutlich, dass sich nach einigem Hin und Her bei der Besetzung zentraler Positionen der Administration zunehmend die rechten, protektionistisch denkenden Hardliner durchsetzen – auch ohne Steve Bannons weitere physische Anwesenheit im Weißen Haus.

Wie ein roter Faden zieht sich der Verdacht durch Wahlkampf und Präsidentschaft, Russland habe die Präsidentschaftswahl zugunsten Trumps manipuliert. Woodward rekapituliert die ungesicherten Behauptungen des Steele-Dossiers unter anderem über einen fragwürdigen Aufenthalt Trumps in einem Moskauer Hotel und zeichnet nach, wie sich die Ermittlungen Muellers aus Sicht von Trumps Anwalt gestalten. Unabhängig von dem ausstehenden Ergebnis verfestigt sich auch in diesem Buch ein Eindruck: Trump selbst ist von Anfang an an der Aufklärung der russischen Eingriffe nicht nur nicht interessiert, für ihn sind die Ermittlungen eine „‚politische Hexenjagd‘“ (104). Den Lackmus-Test über die Ernsthaftigkeit, die Vereinigten Staaten zu führen und zu schützen, hat er damit ganz sicher nicht bestanden.

Dennoch hat Trump eine genaue Vorstellung darüber, wie er seine Führung ausüben will: mit Furcht, sie sei für ihn „wahre Macht“ (236). Er mag sich das so klar und einfach vorstellen, im Alltag im Oval Office funktioniert es nicht – schlicht weil Trump unkonzentriert und vergesslich ist. Seine engsten Mitarbeiter fürchten sich auch nicht, so ist bei Woodward herauszulesen, vor Trump selbst, sondern vor seinen politischen Entscheidungen. Immer wieder haben hochrangige Mitarbeiter wie der damalige Stabssekretär Rob Porter oder der damalige Stabschef Reince Priebus wichtige Papiere von seinem Schreibtisch verschwinden lassen in der Hoffnung, dass sie ihm nicht wieder einfallen. So wurde die Aufkündigung des Freihandelsabkommens mit Südkorea verhindert und nach weiteren Debatten konnte Trump vorerst davon überzeugt werden, dass es durch die Verkopplung mit der militärischen und geheimdienstlichen Zusammenarbeit beider Länder maßgeblich zur Sicherheit der USA beiträgt.

Von seinem Standpunkt aber, dass jedes Handelsdefizit per se schlecht sei und die Verbündeten für jegliche militärische Zusammenarbeit und Unterstützung gefälligst zu zahlen hätten, ist er nicht grundsätzlich abgerückt. Woodward schreibt: Verteidigungsminister James Mattis „und Gary Cohn führten mehrere Gespräche über ‚das große Problem‘: Der Präsident verstand weder die Bedeutung der Alliierten in Asien und Europa noch den Wert der Diplomatie oder der Beziehungen zwischen militärischen, wirtschaftlichen und geheimdienstlichen Partnerschaften mit ausländischen Regierungen.[…] Ein Grund für das Problem war die leidenschaftliche Überzeugung des Präsidenten, dass das jährliche Handelsdefizit von etwa 500 Milliarden Dollar tatsächlich der amerikanischen Wirtschaft schaden würde.“ (289) Kommt es doch zu einer Entscheidung, die der Kooperation dient, oder wird ein Abkommen, das sich bewährt hat, nicht aufgekündigt, ist es vor allem den Überredungskünsten Einzelner zu verdanken. So sah Trump die NATO eigentlich als „‚obsolet‘“ (119) an, nach einigen Debatten aber „schien es, als wäre Trump überredet: ‚Sie können Ihre NATO behalten‘, sagte er zu Mattis. Die Regierung werde das Bündnis stützen, ‚aber Sie werden der Mieteintreiber sein.‘“ (121)

Während in der Anfangszeit der Präsidentschaft Mitarbeiter scheinbar eher zufällig einen wichtigen Posten bekamen – Trump hatte keinen ausreichend großen Kreis an Personen seines Vertrauens um sich – und so etliche dabei waren, die eher klassische republikanische Positionen vertraten, hat sich das Personenkarussell inzwischen nur in eine Richtung weitergedreht. Rob Porter, der von Woodward als einer der derjenigen geschildert wird, die noch versuchten, die schlimmsten Entscheidungen zu verhindern, musste gehen, nachdem ihm seine beiden Ex-Frauen häusliche Gewalt vorwarfen. Andere, wie Reince Priebus oder Außenminister Rex Tillerson, verloren das Vertrauen des Präsidenten – anders als Peter Navarro, ein Wirtschaftswissenschaftler mit einer Einzelmeinung über vermeintliche Vorteile des Protektionismus, der weiterhin Leiter eines neu geschaffenen Nationalen Handelsrats ist.

Aufsehenerregende Entscheidungen hat Trump bisher nur bei für ihn vermeintlich einfachen Fragen gefällt, so mit der Ankündigung des Rückzugs der USA aus der Transpazifischen Partnerschaft und dem Pariser Klimaschutzabkommen. Beide schaden seiner Ansicht nach der US-amerikanischen Wirtschaft, andere Meinungen dazu sind „Blödsinn“, also weg damit. Bei komplexen politischen Herausforderungen funktioniert diese Hemdsärmeligkeit offenbar nicht einmal in seinen eigenen Augen: In Afghanistan, von wo Trump am liebsten sofort die Truppen abziehen möchte, wird mehr oder weniger die politische Linie der Vorgänger-Administration fortgesetzt, weil sich niemand eine Prognose über die weitere Entwicklung traut – es besteht die Angst, wie Woodward zeigt, dass von dort auch ein zweites 9/11 ausgehen könnte. Wagt der Präsident in einer unübersichtlichen Situation dann doch die Initiative, besteht das Ergebnis vor allem aus einem großen Getöse in den Medien: So geschehen bei der bisherigen Nordkorea-Politik einschließlich eines de facto ergebnislosen Treffens mit dem Diktator Kim Jung-un. Die Darstellung Woodwards offenbart die Gestaltung der aktuellen Außen- und Sicherheitspolitik der USA durch oftmals wenige Personen, die sich augenscheinlich eher zufällig gerade bei Trump durchsetzen. Ist dieser aber zunehmend von Hardlinern umgeben, wie von seinem Handelsminister Wilbur Ross oder seinem zweiten Außenminister Mike Pompeo, wird eine moderate, auf Zusammenarbeit ausgelegte Haltung immer weniger zu erwarten sein.

Alle politischen Entscheidungen Trumps, mag dieser noch so vergesslich und beeinflussbar erscheinen, folgen dennoch einer klaren Richtung, wie Woodward aufzeigt: Der innere Kompass des Präsidenten zeigt ausschließlich auf seine Wähler. In der Diskussion mit Stabssekretär Rob Porter und dem inzwischen auch wieder gefeuerten Nationalen Sicherheitsberater H. R. McMaster, die beide das Pariser Klimaschutzabkommen verteidigten und wenigstens einen Kompromiss statt eines Rückzugs erreichen wollten, reagierte Trump eindeutig: „Nein, nein, nein […]. Er wollte einen Austritt ohne Wenn und Aber: ‚Nur so bleibe ich meinen Anhängern gegenüber glaubwürdig.‘“ (258)

 

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Medienschau

Barry H. Berke / Dani R. James / Noah Bookbinder / Norman Eisen
Considering collusion: A primer on potential crimes
Brookings Institution, Report, 1. November 2018

 

Eliana Johnson / Daniel Lippman
9 hours of ‚Executive Time‘: Trump’s unstructured days define his presidency
Politico, 29. Oktober 2018

 

Eliot A. Cohen
How This Will End. Sooner or later, tyrants are always abandoned by their followers
The Atlantic, 24. August 2018


Rezension

Michael Wolff

Feuer und Zorn. Im Weißen Haus von Donald Trump

Aus dem Englischen von Isabel Bogdan, Thomas Gunkel, Dirk van Gunsteren, Gregor Hens, Werner Schmitz, Jan Schönherr, Nikolaus Stingl. Reinbek, Rowohlt Verlag 2018

Nach einem kurzen Gespräch mit Donald Trump, der sich aber gar nicht für sein Buchprojekt interessierte und nicht mehr nachfragte, nahm der Journalist Michael Wolff auf einem Sofa im Weißen Haus Platz, neun Monate lang. Er hörte zu und verband alle Aussagen, egal wie sehr sie sich widersprachen, zu einer Erzählung. Entstanden ist so die ungefilterte Bestandsaufnahme einer chaotischen Präsidentschaft, für deren Gelingen jegliche Voraussetzung fehlt und die mit großer Wahrscheinlichkeit mit einer Amtsenthebung enden wird. Ergänzt wird die Rezension mit einer Medienschau über die Russland-Kontakte Trumps und seines Teams.
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Rezension

David Cay Johnston

Trump im Amt. „Ein Präsident, der gerne Diktator wäre“

Aus dem amerikanischen Englisch von Regina Berger, Robert Poth und Annemarie Pumpernig. Elsbethen, Ecowin Verlag 2018

Der Originaltitel fasst auf den Punkt zusammen, worüber David Cay Johnston in diesem Buch aufklärt: „It’s Even Worse Than You Think: What the Trump-Administration Is Doing to America“. Eingebettet ist diese Analyse, in der zentrale Politikfelder wie die Arbeitsmarkt-, Steuer- und Bildungspolitik sowie außenpolitische Auftritte und Entscheidungen im Mittelpunkt stehen, in eine Charakterisierung des Präsidenten, der sich vor allem mithilfe seines Amtes selbst bereichert, und die Erklärung seines Wahlsiegs als Ausdruck einer tieferen Krise, die diesen politischen „Tsunami“ ausgelöst hat.
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Literatur

James R. Clapper / Trey Brown
Facts and Fears. Hard Truths from a Life in Intelligence
New York City, Penguin Random House 2018

 

James Comey
Größer als das Amt
München, Droemer Knaur 2018

 

Ronan Farrow
Das Ende der Diplomatie. Warum der Wandel der amerikanischen Außenpolitik für die Welt so gefährlich ist
Reinbek, Rowohlt Verlag 2018

 

Michael Kranish / Marc Fisher
Trump Revealed. The Definitive Biography of the 45th President
New York City, Simon and Schuster 2018

 

Michiko Kakutani
The Death of Truth. Notes on Falsehood in the Age of Trump
Tim Duggan Books 2018

 

Craig Unger
Trump in Putins Hand. Die wahre Geschichte von Donald Trump und der russischen Mafia
München, Econ Verlag 2018


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