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Die Dynamik der Abschreckung. Rüstung – strategisches Handeln – Kommunikation

15.03.2018
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James Henry Bergeron

Anderson Air Force Base 2aAndersen Air Force Base, Guam. U.S. Air Force Photo by Senior Airman Jovan Banks (https://www.dvidshub.net/)

 

Einleitung

Abschreckung nimmt wieder einen zentralen Platz in der Strategie der NATO ein. Nachdem fast dreißig Jahre lang westliche Sicherheitspolitik sich darauf konzentrierte, die Folgen des Zerfalls der Sowjetunion zu begrenzen, die Erweiterung der Europäischen Union zu flankieren, Extremismus und ethnische Säuberung auf dem Balkan, die Taliban in Afghanistan und Piraten vor dem Horn von Afrika zu bekämpfen, steht Abschreckung wieder auf der Tagesordnung. Angesichts der russischen Aggression in der Ukraine – angefangen von der illegalen Annexion der Krim bis hin zum Stellvertreterkrieg im Donezbecken – reagierte die NATO auf dem Gipfeltreffen von Wales im Jahr 2014 erneut in der Sprache kollektiver Verteidigung. Im Jahr 2014 waren Abschreckung, Sicherheitsgarantien und hybride Kriegsführung zentrale Konzepte im strategischen Diskurs der NATO, die sich im Übrigen eher an die Alliierten selbst als an Gegner richteten.

Auf dem Warschauer Gipfeltreffen der NATO im Jahr 2016 wurde – vor dem Hintergrund russischer Machtprojektion im östlichen Mittelmeer und der russischen Intervention in Syrien – das Konzept der Abschreckung zu einem wichtigen begrifflichen Bezugsrahmen. Dieser beeinflusste die Initiative zur verstärkten Vornepräsenz (Enhanced Forward Presence) in ostmitteleuropäischen Staaten. Das Konzept wurde unterstützt durch eine neue Aufwertung der Fähigkeiten zu Angriffen auf nachrückende Truppenteile auf feindlichem Territorium (Follow-On-Forces Attacks) und durch eine Rückkehr zu kollektiven Verteidigungsübungen nach Artikel V. Zudem setzt sich allmählich die Erkenntnis durch, dass jegliche Konfrontation wahrscheinlich mit einer umfassenden militärischen und nicht-militärischen russischen Reaktion auf mehreren Kriegsschauplätzen und in unterschiedlichen Domänen einhergehen dürfte. Die gezielte Nutzung der sozialen Medien und neuer Kommunikationstechniken durch Moskau mit dem Ziel, in westlichen Gesellschaften eine „postfaktische“ Informationskultur zu fördern und die US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen im November 2016 zu beeinflussen, hat diese nicht-militärische Bedrohung in spektakulärer Weise vor Augen geführt.

Die öffentliche Diskussion über die NATO-Abschreckung dreht sich hauptsächlich um ihre konventionelle militärische Schlagkraft und deren Folgen: Gibt es genügend Truppen, Schiffe und Flugzeuge? Können sie in einer Krise schnell genug mobilisiert werden? Kann eine schlagkräftige konventionelle Streitmacht einen nuklearen strategischen Konkurrenten abschrecken? Kann sie eine hybride oder asymmetrische Kriegsführung verhindern? All dies sind berechtigte Debatten, aber sie neigen dazu, eine ganze Reihe kritischer Aspekte der Abschreckung Russlands durch die NATO zu ignorieren. Im Folgenden wird auf diese Aspekte eingegangen. Zu diesem Zweck erfolgt ein Rückblick auf die Grundlagen der Abschreckungsdoktrin und zwar hauptsächlich auf ihre psychologischen und kulturellen Faktoren. Auch das nukleare Patt, das für jede Annäherung an die Frage der Abschreckung zwischen Russland und der NATO von zentraler Bedeutung ist, wird in dieser Analyse nicht sekundär behandelt, sondern als wesentlich erachtet.
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Erschienen in: SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen, Band 2, Heft 1, Seiten 21–31: https://www.degruyter.com/view/j/sirius.2018.2.issue-1/sirius-2018-0003/sirius-2018-0003.xml?format=INT

 

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