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Klaus Weber / Henning Ottmann: Reshaping the European Union

21.03.2018
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Autorenprofil
Dr. Max Lüggert
Baden-Baden, Nomos Verlag 2018

Die Umgestaltung der Europäischen Union. Intergouvernementalismus stärken und auf wenige Ziele konzentrieren

Auch wenn im Jahr 2017 ein Triumph europaskeptischer Kräfte bei den nationalen Wahlen in den EU-Mitgliedstaaten – allen voran Deutschland, Frankreich und den Niederlanden – weitgehend ausgeblieben ist, stellt sich weiterhin die Frage nach einer Umgestaltung der Europäischen Union. Der anstehende Austritt Großbritanniens, die nur teilweise gelösten Großthemen Migration und Währung sowie eine allgemeine Weltordnung im Umbruch lassen auch der EU bei der Planung ihrer weiteren Entwicklung keine Atempause.

Klaus Weber und Henning Ottmann, beide Professoren an der Universität München, haben sich dieses Themas ebenfalls angenommen und präsentieren mit ihrem Band sowohl eine Bestandsaufnahme der EU als auch einen Entwurf für ihre künftige Entwicklung. In der Einleitung legen beide Autoren dar, was ihrer Ansicht nach die Hauptziele der EU sein sollten, nämlich die Sicherung des Friedens, die Förderung wirtschaftlichen Wohlstands, die Kompensation der relativ geringen Größe und Macht der einzelnen Mitgliedstaaten sowie die Beachtung westlicher Zivilisationswerte. An derselben Stelle formulieren sie jedoch ebenfalls den klaren Umkehrschluss, nämlich dass sich die EU auf diese Ziele beschränken und nicht rein teleologisch motiviert eine immer engere Union anstreben sollte.

Dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) schenken die Autoren in diesem Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit, indem sie darstellen, wie der EuGH durch eine eigene Auslegung der rechtlichen Grundlage der EU im Laufe des europäischen Integrationsprozesses wichtige Weichen gestellt hat. Diese Einflussmöglichkeit von obersten Gerichten ist gerade auch im angloamerikanischen Fachdiskurs als „judicial activism“ bekannt, weshalb Weber und Ottman in diesem Kapitel auch einen Vergleich zur Situation in den Vereinigten Staaten skizzieren. Letztlich stellen die Autoren für den EuGH jedoch fest, dass er die vertragliche Vorgabe einer „immer engeren Union“ oft einseitig verwendet, um zu integrationsfreundlichen Urteilen zu kommen. Ferner leite sich der Vorrang von Unionsrecht vor nationalem Recht auch lediglich aus Urteilen des EuGH ab und ist so von den Mitgliedstaaten niemals im Rahmen der Verträge anerkannt worden.

Das Herzstück der kritischen Aufarbeitung bildet dann eine Analyse der Eurokrise. Im entsprechenden Kapitel werden die Ursprünge, Maßnahmen und Konsequenzen der Eurokrise ausführlich dargestellt. Deutlich sichtbar wird dabei ein ordoliberal geprägter Grundton. Demnach war die Krise insofern unvermeidbar als sich gerade die südeuropäischen Staaten zu hoch verschuldet hatten. Der Grundsatz, dass weiterhin alle Mitgliedstaaten selbst für ihre Finanzen verantwortlich sind, sei richtig und müsse aufrechterhalten werden. Strukturelle Reformen der Volkswirtschaften in den Krisenstaaten seien somit ebenfalls notwendig und müssen auch nur von diesen Staaten vorgenommen werden.

Die Europäische Zentralbank (EZB) sei mit verschiedenen Maßnahmen über ihr Mandat hinausgeschossen. In dieser Argumentation bewegen sich Weber und Ottmann sehr nah an der Kritik von Hans-Werner Sinn, der in diesem Kapitel auch fast durchgehend zitiert wird; die kritischen Einschätzungen zum Umgang mit der Eurokrise – von denen es ausreichend gibt – werden jedoch konsequent beiseite gewischt und nicht weiter ernsthaft angenommen. Somit gerät dieser zentrale Teil des Buches leider sehr einseitig.

In den letzten drei Kapiteln legen die Autoren jedoch ausführliche Entwürfe zur künftigen Ausgestaltung der EU vor. Unabhängig von der konkreten Struktur einer künftigen Union betonen sie, dass die EU künftig in der Lage sein müsse, ihren eigenen Schutz sicherzustellen. Bis jetzt sei sie relativ erfolgreich darin gewesen, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum aufzubauen. In der Sicherheitspolitik bestehen jedoch Defizite, welche sich die EU nicht mehr länger leisten könne, erst recht nicht angesichts der extremen Instabilität in der Peripherie im Süden und Südosten und der immer geringeren Bereitschaft der Vereinigten Staaten, die kostspielige Sicherheitsgarantie für den europäischen Kontinent weiterhin ohne nennenswerte Gegenleistungen aufrechtzuerhalten.

Die konkreten Vorschläge für die künftige EU liegen dann wieder nah an der eher integrationsskeptischen Grundhaltung des Buches. Besonders bei künftigen Vertragsänderungen sollten die Wahlbürger*innen sowie deren nationale Vertreter*innen bereits frühzeitig am Verfahren beteiligt werden und nicht erst am Schluss mit der abstrakten Alternative von Ratifikation oder Ablehnung konfrontiert werden. Für die künftige Struktur der EU präferieren die Autoren dann auch logischerweise eine Führungsrolle für den Europäischen Rat der Staats- und Regierungschef*innen und in abgeschwächter Form für den Ministerrat.

Die bisherigen eher supranational geprägten Organe wie die Kommission, der EuGH oder die EZB sollen jedoch an Autonomie verlieren und vom Europäischen Rat kontrolliert werden, damit sie ihren Kompetenzbereich nicht überschreiten. Als neues Organ schlagen die Autoren zudem eine Kammer aus nationalen Parlamentsmitgliedern vor, die im Bereich der Gesetzgebung einige Kompetenzen des Europäischen Parlamentes übernehmen würde.

Insgesamt nehmen Weber und Ottmann also eine klassisch intergouvernemental geprägte Sicht auf die europäische Integration ein: Die Mitgliedstaaten sollen auch in den Unionsorganen den Ton angeben und die meisten Handlungskompetenzen auf nationaler Ebene verbleiben, während sich die Union nur um einige grundlegende Ziele kümmern sollte. Diese Herangehensweise wäre dann letztlich auch legitim, weil es kein europäisches Staatsvolk gäbe, aus dem die Union eigene Legitimität ableiten könnte.

Bei aller strukturellen Stringenz dieser Argumentation bleibt jedoch fraglich, ob eine solche Union wirklich eines ihrer Hauptziele – die Kompensation des relativ geringen Einflusses der Mitgliedstaaten – ausfüllen könnte, erst recht auch im Interesse der kleineren Mitgliedstaaten. Davon unabhängig ist anzuerkennen, dass das Buch mit höchster Sorgfalt ausgearbeitet ist und zu Recht mehrere Punkte kritisch betrachtet. An vielen Stellen werden zwei gegenteilige Meinungen gegenübergestellt, sodass eine Vielfalt an Argumenten abgebildet ist. Mit einem ausführlichen Literatur-, Sach- und Personenverzeichnis lädt das Buch interessierte Laien, aber auch alle, die sich praktisch mit der europäischen Integration befassen, zur weiteren Recherche ein.

 

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Literatur

Richard Youngs
Europe Reset: New directions for the EU
London, I.B.Tauris & Co. Ltd. 2017


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