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Freund gegen Feind, Republik gegen Terrorismus. Der republikanische Kandidat François Fillon sieht das Land bedroht

13.03.2017
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PD Dr. phil. Matthias Lemke

Kaum einer der Kandidaten zur Präsidentschaftswahl ist politisch so erfahren wie François Fillon (Jahrgang 1954). Nach verschiedenen Mandaten und Ministerposten unter Jean-Pierre Raffarin war er von 2007 bis 2012 Premierminister unter Nicolas Sarkozy, der ihn öffentlich als seinen „Untergebenen“ abkanzelte. Bei der diesjährigen Vorwahl der Republikaner zur Auswahl ihres Kandidaten für die Präsidentschaft schlug das Pendel dann zurück. Trotz langer Zeit anderslautender Umfragen gelang es Fillon, namhafte Fillon CoverGegenkandidaten wie Alain Juppé und seinen ehemaligen Chef Sarkozy auf die Plätze zu verweisen. Fillon war es gelungen, sich als stramm wert- und rechtskonservativer Politiker zu präsentieren, sodass man ihm auch zutraute, dem Front National Wähler abzujagen.

Das alles hätte eine Erfolgsgeschichte werden können, endete aber zu dem Zeitpunkt, als die Zeitschrift Le Canard enchaîné den Verdacht der Veruntreuung öffentlicher Gelder aufwarf. Fillon, so die Vorwürfe, soll über lange Jahre seine Ehefrau und zeitweise auch seine Kinder über Mitarbeiterverträge der Französischen Nationalversammlung angestellt haben, ohne dass diese dafür eine erkennbare Gegenleistung erbracht hätten. Insgesamt steht im Falle von Fillons Frau Penelope die Veruntreuung einer Summe in Höhe von 830.000 Euro im Raum. Legal ist an dieser Praxis nach aktuellem Stand wohl nichts auszusetzen – viele Parlamentarier beschäftigen Verwandte in ihren Büros. Allerdings war damit das Saubermann-Image, das Fillon sich zu geben versucht hat, dahin. Zeitweise, während seine Umfragewerte fielen, stand sogar die Frage im Raum, ob er Kandidat der Republikaner bleiben könne. Eilfertig bot sich – wieder – Sarkozy an, allerdings ohne Erfolg: Juppé winkte ab und Fillon beharrte auf seiner demokratisch legitimierten Kandidatur. Dass diese allerdings noch Aussichten auf Erfolg haben dürfte, ist, gerade auch wenn man aktuelle Umfragen betrachtet, mehr als unwahrscheinlich.

Politisch hat sich Fillon in diesem Wahlkampf mit „Vaincre le totalitarisme islamique“ (Paris: Albin Michel 2016) positioniert. Zwar hat er mit den Titeln „Faire“ („Machen“, 2016) und „La France peut supporter la vérité“ („Frankreich kann die Wahrheit vertragen“, 2006) schon zuvor umfangreichere politische Programmschriften vorgelegt. Jetzt aber zeigt er offen wie in kaum einem anderen Text den schmalen Grat, auf dem er sich als Kandidat der Konservativen bewegt. Dieser Grat verläuft zwischen Rechtskonservatismus auf der einen und Rechtspopulismus auf der anderen Seite.

Politik bedeutet für Fillon – in Anlehnung an Georges Clemenceau – dreierlei: zu wissen, was man will; zu wagen, dieses Wollen auszusprechen; zu handeln. Der erste Seitenhieb auf das vermeintliche politische Establishment macht dann sehr schnell deutlich, wie nahe die Absturzkante ist. Es sei, so Fillon, lange genug der Political Correctness gehuldigt worden. Das aber habe zu politischer Stagnation geführt, weil man Dinge nicht mehr beim Namen nennen dürfe. Belege für diese These: Fehlanzeige. Insofern bewegt er sich hier in Fahrwassern, die, was die politische Grundstimmung anbelangt, so oder ganz ähnlich auch bei anderen Populisten zu finden sind, sei es bei Marine Le Pen, der deutschen AfD oder aber auch im Umfeld von US-Präsident Trump, der Medien nicht nur als „fake news“ zu bezeichnen pflegt, sondern sie gar zum Staatsfeind Nr. 1 erklärt hat.

Noch wesentlich dramatischer und politisch weitreichender indes ist die politische Setzung, die Fillon als Grundlage für sein Buch dient. Diese Grundlage besteht in einer kategorialen Unterscheidung: dort der Totalitarismus des islamistischen Terrorismus, hier die französische Republik. Beide kommen zusammen in diesem einen, simplen Satz: „Das Frankreich, das wir lieben, ist gegenwärtig bedroht.“ (7) Um diese Bedrohung durch einen konkreten Akteur – den sogenannten Islamischen Staat – zu illustrieren, ist jedes Mittel recht. Das Erstarken der Terrororganisation habe ihn immer wieder an die Herausforderung des Zweiten Weltkrieges erinnert. Das mag zwar einigen „übertrieben“ (43) erscheinen, aber, so Fillon, im Kern gehe es ihm um die Qualität des Kampfes – und die sei „total“ (44). In diesem „schrecklichen internationalen Umfeld“ seien „die Bürger Frankreichs zur bevorzugten Zielscheibe“ (67) geworden.

Vor diesem Hintergrund ist es erste und nachdringlichste, ja nachgerade selbsterklärende Aufgabe der französischen Politik, die Regelungen zum Schengen-Raum neu zu verhandeln. Für eine tiefergehende Reform der europäischen Institutionen bleibe keine Zeit, angesichts des herrschenden Weltkrieges gegen den Terrorismus. Niemand Geringeres als Marine Le Pen hat angekündigt, nach ihrer Wahl zur Präsidentin sofort das Schengen-Abkommen zu verlassen und die Grenzen zu schließen. Unterschiede zwischen diesen beiden politischen Abschottungsprojekten finden sich nicht einmal mehr in Nuancen. Das alles geschehe im Dienste der Sicherheit, so Fillon weiter. Dass er dabei einem bloß reaktiven, abwehrenden Sicherheitsverständnis anhängt, steht auf einem anderen Blatt.

Was aber steckt hinter dieser existenziell aufgeladenen Freund-Feind-Rhetorik, die unter anderem in Form der Beschreibungen von totalem Kampf, Feind, Krieg daherkommt? Das Beschwören von Feindbildern in politischen Kontexten hat meistens zweierlei Funktion. Einerseits geht es um die Binnenintegration des angesprochenen politischen Kollektivs gegen ein bedrohliches Äußeres. Und andererseits geht es um Zuspitzung, um Vereinfachung – es geht darum, politische Inhalte nicht kompliziert werden zu lassen, wie sie es im politischen Alltagsgeschäft nur allzu häufig sind. Denn interessant ist auch, was alles nicht im Buch zu finden ist: Eine Sozialpolitik, die nicht erst „verlorene Gebiete“ entstehen lässt, die es „zurückzuerobern“ (95) gilt. Eine Bildungspolitik, die nicht qua Herkunft segregiert. Eine Städtebaupolitik, die soziale und ökonomische Probleme nicht in die Banlieue abschiebt und so auf Distanz hält. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Und so bleibt am Ende der Lektüre des Bandes der Verdacht, dass es Fillon im Grunde nur um eines gegangen sein könnte: um Ablenkung. Denn irgendein tragfähiges politisches Konzept, das sich jenseits der weit überzeichneten, nachgerade allgegenwärtigen Freund-Feind-Unterscheidung verorten ließe, sucht man bei ihm vergebens. Das was bleibt, hat dann in der Tat die Etikettierung als Populismus verdient.

 

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