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Der Territorialstreit um das „asiatische Mittelmeer“. Der Konflikt der Volksrepublik mit anderen Anrainerstaaten

06.04.2017
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Natalie Wohlleben, Dipl.-Politologin

ISS 48 Thunderstorms over the South China SeaGewitter über dem Südchinesischen Meer. Foto: International Space Station / NASA

 

Die Auseinandersetzungen um einige unbewohnte Felsen dominieren derzeit das Erscheinungsbild der chinesischen Außenpolitik. In verschiedenen aktuellen Studien zum Thema zeigt sich, dass weniger die Felsen an sich von Bedeutung sind, sondern es um weitreichende Statusfragen geht. Die Volksrepublik demonstriert in diesen Konflikten auch, dass sie sich nicht an internationale Aushandlungsprozesse und Schiedssprüche gebunden sieht. So hat sie das Verfahren, das auf Antrag der Philippinen vor dem Ständigen Schiedshof (Permanent Court of Arbitration) verhandelt wurde, einschließlich des Schiedsspruchs vom Juli 2016 nicht akzeptiert. Nach diesem Spruch werden im Sinne der Philippinen alle hier strittigen Formationen als Felsen und nicht als Inseln definiert, die Landaufschüttungsmaßnahmen Chinas sollen keine Rolle spielen. Der strittige Bereich wird den Philippinen zugestanden, etwaige historische Rechte der Volksrepublik verneint. Diese will dennoch ihre Ansprüche entweder durch die Schaffung von Fakten – etwa Baumaßnahmen auf diesen Felsen – oder allenfalls in bilateralen Verhandlungen durchsetzen. Mehrere Analysten betonen die weltweite Bedeutung dieser Konflikte, da – wie Helmut Schneider in seinem Überblicksbeitrag erklärt – rund ein Drittel des Welthandels über Schiffsrouten abgewickelt wird, die durch das Südchinesische Meer verlaufen.

Die Analysen sind in aufsteigender Chronologie sortiert.

Michael Paul
Eine „Große Sandmauer“ im Südchinesischen Meer? Politische, seerechtliche und militärische Aspekte des Inselstreits
Stiftung Wissenschaft und Politik, Studie, Mai 2016

Der Ausbau chinesischer Außenposten im Südchinesischen Meer setze in Art, Umfang und Geschwindigkeit neue Maßstäbe, schreibt Michael Paul. Bis März 2015 sei durch Aufschüttungen eine Gesamtfläche von etwa 14,5 Quadratkilometern geschaffen worden, die der Kommandeur der US-Pazifikflotte ironisch als „Große Sandmauer“ bezeichnet habe. Diese Maßnahmen finden in einem Gebiet statt, in dem fortdauernd über Inseln gestritten werde und das zugleich eine wichtige Transitstrecke für internationale Handels- und Rohstofftransporte sei. Daher bestehe die Gefahr, dass diese Region zu einem global wirksamen Konfliktherd werde.

Sebastian Heilmann im Gespräch mit Peter Kapern
„Von chinesischer Seite eine kontrollierte Aggression“
Deutschlandfunk, 12. Juli 2016

Sebastian Heilmann, Direktor des Mercator-Instituts für China-Studien, hält es für nicht ausgeschlossen, dass China seine territorialen Ansprüche eines Tages militärisch durchsetzen wird. Dabei gehe es weniger um wirtschaftliche Interessen an Rohstoffen in der Region, sondern um die Wahrung eines Einflussgebietes, das die Volksrepublik nach ihrem eigenen historischen Verständnis für sich beanspruche.

Wim Muller
South China Sea Decision Is ‘Legal Shock Therapy’ for Beijing
Chatham House, 15. Juli 2016

Der Autor meint, die harschen Reaktionen aus Beijing auf den Spruch des Permanent Court of Arbitration zugunsten der Philippinen sollten nicht überbewertet werden. Längerfristig werde das Land eine Haltung einnehmen, die ihm international nicht schade.

 

Helmut Schneider
Südostasien im Fokus der Weltpolitik. Der Territorialstreit um das „asiatische Mittelmeer“
Universitas, 71. Jg., Nr. 845 (November 2016), 18–34

Helmut Schneider vermittelt einen ausführlichen Überblick über die Problematik der Territorialansprüche im Südchinesischen Meer im historischen wie im völkerrechtlichen Kontext. Er betont auch die weltpolitische Dimension: Rund ein Drittel des Welthandels wird über Schiffsrouten abgewickelt, die durch das Südchinesische Meer laufen.

 

China finishing South China Sea buildings that could house missiles
Reuters, 22. Februar 2017

In dem Beitrag wird von konkreten Bauaktivitäten der Volksrepublik auf den von ihr beanspruchten Felsen berichtet. Die Bauten seien für die Stationierung von Waffen geeignet.


Christian Becker
Große Statussorgen um kleine Inseln. Militärische Symbolpolitik im Süd- und Ostchinesischen Meer
Stiftung Wissenschaft und Politik, Studie, Februar 2017

Die Territorialkonflikte im Süd- und Ostchinesischen Meer seien zu Problemen der internationalen Politik geworden, die weit über die Region hinausreichten, schreibt Christian Becker. So verlangten Japan und die USA von ihren westlichen Partnern eine mit ihnen solidarische Politik, während die Volksrepublik versuche, ihr „nicht genehme Positionierungen zum Beispiel der EU-Staaten zu verhindern“. Mittlerweile betrieben alle an den Konflikten beteiligten Parteien „militärische Symbolpolitik mit erheblichem Eskalationspotential.“ (Abstract)

Johannes Mohr
Der Schiedsspruch zum Südchinesischen Meer und die Reaktionen Beijings
SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen, Heft 2, Juni 2017

Das 2016 abgeschlossene, von den Philippinen initiierte Schiedsverfahren zur Südchinesischen See hat dazu geführt, dass weitgehend alle maritimen Ansprüche Chinas als rechtlich unwirksam erklärt worden sind. Auch die Aufschüttung künstlicher Inseln durch China wurde als widerrechtlich bezeichnet. China hat verbal sehr scharf darauf reagiert und die Zuständigkeit und Unabhängigkeit des Schiedsgerichtes bezweifelt. Diese Reaktionen muss man noch als relativ zurückhaltend bewerten, denn außer verbalen Attacken hat China im Gegensatz zu vielen Erwartungen wenig unternommen. (Abstract)


Michael Swaine
Chinese Views on the South China Sea Arbitration Case Between the People’s Republic of China and the Philippines
Carnegie Endowment for International Peace, China Leadership Monitor, 24. August 2017

Der Autor analysiert die chinesische Weigerung, das von den Philippinen beantragte Verfahren vor dem Permanent Court of Arbitration zu akzeptieren. Aus Sicht der Volksrepublik handele es sich um einen illegalen und illegitimen Prozess, der einzig den Regeln einer internationalen Ordnung folge, die von den USA zu deren Gunsten durchgesetzt worden sei. Deutlich sei geworden, dass China internationale Schiedsverfahren mit einer dritten Partei (hier: Permanent Court of Arbitration) ablehne und einzig auf bilaterale diplomatische Aushandlungen setze.

Johannes Mohr
Rezension zu: Peter van Ham / Francesco Saverio Montesano/ Frans Paul van der Putten: A South China Sea Conflict. Implications for European Security – A Scenario Study, 2016
SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen, Heft 4, Dezember 2017

„Das niederländische Clingendael Institute veröffentlichte 2016 eine Szenariostudie, die sich im Sinne der Spieltheorie der Analyse einer fiktiven Konfrontation im Südchinesischen Meer und insbesondere den geopolitischen Folgen einer defensiven Reaktion der Vereinigten Staaten widmete. […] Der Wert dieser Studie liegt darin, eine meist für unmöglich gehaltene Eskalation der Spannungen im Südchinesischen Meer zu thematisieren. Gerade die sicherheitspolitischen Folgen nicht einer großen, obgleich auf das Südchinesische Meer beschränkten, militärischen Auseinandersetzung zwischen den USA und China zu beschreiben, sondern die Konsequenzen eines Einlenkens der USA zu analysieren, bietet viel Raum für Diskussionen. Dass bei der Beschreibung und der Analyse des Szenarios teils sehr informierte Überlegungen auch eher unrealistischen Annahmen gegenüberstehen, macht die Szenariostudie nicht weniger relevant als Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen zu leider wohl nicht unmöglichen Krisen.“


Bill Hayton
Two Years On, South China Sea Ruling Remains a Battleground for the Rules-Based Order
Chatham House, 11. Juli 2018

Zwei Jahre seien seit dem Schiedsspruch, den China sich weigerte anzuerkennen, vergangen – interessanterweise halte es sich dennoch einigermaßen daran, schreibt Bill Hayton. Allerdings habe die Volksrepublik ihr Verhalten in dieser Region nicht grundsätzlich geändert, es stelle nach wie vor eine Gefährdung der Friedens und der internationalen Ordnung dar. In diesem Kontext hebt der Autor die Bedeutung des internationalen Seerechtsübereinkommens (United Nations Convention on the Law of the Sea, UNCLOS) hervor, mit dem auch das Schiedsverfahren völkerrechtlich geregelt wird – bedauerlicherweise sei es bislang in den USA nicht ratifiziert worden. Eine Schwächung dieses Übereinkommens aber werde vor allem zu Lasten kleinerer Staaten gehen.

 

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Information

Asia Maritime Transparency Initiative
Who’s Claiming What?
Center for Strategic and International Studies (CSIS)

Zur Verfügung gestellt wird eine Karte des asiatisch-pazifischen Raums, auf der die maritimen Gebietsansprüche einzelner Staaten aufgezeigt werden. In die Karte kann hineingezoomt und die verschiedenen Anspruchsarten und Anspruchsteller können angeklickt werden. Im Südchinesischen Meer werden die maritimen Ansprüche auf die Paracel- und Spratly-Inseln nicht ausgewiesen, so die Mitteilung, da die Ansprüche der einzelnen Länder nicht geklärt sind. Aktuelle Entwicklungen werden unter Occupation and Island Building aufgezeigt.


Aus den Denkfabriken

Der Traum von einer neuen Weltordnung. Die chinesische Außenpolitik im Spiegel aktueller Analysen

Die ideologischen Leuchtfeuer, an denen sich die chinesische Außenpolitik orientiert, haben gewechselt – von der „harmonischen Gesellschaft“ ist nun weniger die Rede. Die Vorstellung von einem starken Staat, getragen vom Nationalismus, und das Streben nach einer Weltordnung, die nicht mehr (allein) von den USA strukturiert wird, prägen die Politik von Staats- und Parteichef Xi Jinping. Diese Verschiebung hat Folgen: Die nach wie vor propagierte Friedfertigkeit wird zunehmend konterkariert durch Chinas deutlich zur Schau getragene Unnachgiebigkeit in den Territorialkonflikten im Südchinesischen Meer. Entstanden sind damit im asiatisch-pazifischen Raum neue sicherheitspolitische Spannungen.
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Literaturhinweis

Sarah Kirchberger
Assessing China’s Naval Power. Technological Innovation, Economic Constraints, and Strategic Implications
Berlin / Heidelberg, Springer Verlag 2015


Aus der Annotierten Bibliografie


Toshi Yoshihara / James R. Holmes

Der rote Stern über dem Pazifik. Chinas Aufstieg als Seemacht – und wie antworten die USA

Hamburg/Berlin/Bonn: Verlag E. S. Mittler & Sohn GmbH 2011; XII, 258 S.; geb., 24,95 €; ISBN 978-3-8132-0929-7
China vollziehe „einen grundlegenden Wandel in der Einstellung gegenüber maritimen Belangen“ (16), lautet die zentrale Aussage dieser Studie. Yoshihara und Holmes, Dozenten am Institut für Strategie und Politik am Naval War College in Newport (Rhode Island), haben beobachtet, dass sich chinesische Politiker, Militärs und Wissenschaftler verstärkt mit den Thesen des US-amerikanischen Marinestrategen Alfred Thayer Mahan (1840 bis 1914) beschäftigen. Für diesen verschmelzen „Gewer...weiterlesen


Andreas Beck

Japans Territorialkonflikte – Eine Frage der Wahrnehmung?

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2010 (Aussenpolitik und Internationale Ordnung); 234 S.; 39,- €; ISBN 978-3-8329-5815-2
Diss. Münster; Gutachter: P. Kevenhörster, D. Nabers. – Warum beansprucht Japan einige unbewohnte Inseln und Felsen als Territorium, obwohl sie wirtschaftlich nutzlos und strategisch unbedeutet sind – und nimmt in Kauf, mit China, Taiwan, Südkorea und Russland bis in die Gegenwart hinein in Konflikte verwickelt zu werden? Die ursprünglich weder zu Russland noch zu Japan gehörenden, einst von den Ainu bewohnten Südkurilen wurden 1945 von der Roten Armee besetzt, die Jahrhunderte unter...weiterlesen


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