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Wie wir uns schützen können. Zum Umgang mit dem islamistischen Terror

14.03.2017
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Autorenprofil
Michael Rohschürmann

Wie ist mit dem Terrorismus umzugehen, der vom Islamischen Staat ausgeht? Florian Peil stellt in seinem Buch „Terrorismus“ ebenso wie Philippe-Joseph Salazar in „Die Sprache des Terrors“ diese Frage in den Mittelpunkt der Analyse. Dabei ist Peils Buch, wie schon der Untertitel „Wie wir uns schützen können“ verspricht, eher ein Ratgeber zum Umgang mit terroristischer Bedrohung. Der Autor beschäftigt sich damit, was jede und jeder Einzelne tun kann, um das Risiko, Opfer eines terroristischen Anschlages zu werden, zu verringern. Die Herangehensweise ist, passend zur Vita des Autors, die eines Praktikers: In mehreren Kapiteln werden die Ziele der Terroristen und deren daraus ableitbare Vorgehensweisen nüchtern beschrieben, eine Einschätzung der aktuellen Bedrohungslage in Europa sowie praktische Anleitungen zum Verhalten bei Terroranschlägen gegeben und zu erhöhter Wachsamkeit gemahnt. Peils Ziel ist es, den Menschen die Angst zu nehmen, indem er eigene Handlungsmöglichkeiten aufzeigt, um damit dem Gefühl der Machtlosigkeit entgegenzuwirken. Durch Angst gesellschaftliche Spaltungen zu erwirken und Grenzen zu ziehen, ist ja gerade eines der Ziele des Terrorismus. Wichtig ist in diesem Kontext Peils Hinweis auf die doppelte Gefahr: „die Bedrohung für Leib und Leben – und die Bedrohung durch die Manipulation der Psyche. Die erste wird überschätzt, die zweite unterschätzt“ (7).

Auf der Gefahr, dass die Psyche manipuliert wird, liegt der Fokus von Salazar. Der Autor analysiert die metaphorische Sprache der Organisation und versteht deren Verständnis als wesentliche Voraussetzung, um mit dem selbsternannten Kalifat zu verhandeln. Auf letzteren Punkt wird später eingegangen, zunächst zur Sprache. Gewinnbringend ist das Buch vor allem wegen seiner sprachlichen Analysen und der Erläuterung, dass Begriffe wie Kalifat, die für westliche Ohren banal klingen mögen, in der islamischen Geschichte mächtige Erinnerungsfiguren darstellen. Auch die Verwendung der alten geografischen Bezeichnungen wie Andalusien oder Khorasan (für Zentralasien) ist keineswegs reine Realitätsverweigerung, sondern knüpft an alte Traditionen und die Erinnerung an vergangene Glorie an.

Die Propagandavideos, die in der Berichterstattung zumeist als kranke Gewaltverherrlichungen behandelt werden, haben nach Salazar einen klaren Werbecharakter, der von der Zielgruppe auch verstanden wird. Er analysiert genau, wer diese herstellt, welche Nachrichten und Gefühle transportiert werden sollen und vor allem, wer das eigentliche Zielpublikum ist.

Auch Peil erkennt richtig, dass Terrorismus in erster Linie eine Form der Kommunikation darstellt – hier hätte er weiter ausführen können, dass die Opfer meistens nicht die Adressaten, sondern das Mittel der Kommunikation darstellen. Adressaten sind eher diejenigen, die die Terroristen zu gewinnen versuchen. Terroristen wollen durch ihre Taten auf ihre Sache aufmerksam machen, provozieren und polarisieren. Sie zielen auf die gesellschaftlichen Bruchlinien einer offenen Gesellschaft. Es ist Peil hoch anzurechnen, dass er auch die problematische Rolle der Medien thematisiert, die im Dreieck zwischen der Verpflichtung zur Information und Aufklärung der Bevölkerung, dem Streben nach Auflage und Umsatz sowie der Tatsache, dass großes Medienecho den Terroristen in die Hände spielt, gefangen sind. Seine Empfehlung zum Umgang mit einem Anschlag, von dem man nicht selbst betroffen ist, ist ebenso simpel wie zutreffend und lässt sich gut mit dem von ihm zur Einleitung genutzten Churchill-Zitat zusammenfassen: „Keep calm and carry on“ (27).

Ganz Praktiker, leitet er aus den Zielen der Terroristen die verschiedenen Arten möglicher Anschläge und deren Planungszyklen ab, um darauf aufbauend Empfehlungen zu geben, wie möglicherweise durch aufmerksame Bürger*innen Anschläge in der Vorbereitungsphase vereitelt werden könnten. Für diejenigen, die bereits Zeit in Krisen- und Konfliktregionen verbracht haben, sind diese Hinweise banal – für Leser*innen in Deutschland ohne entsprechende Auslandserfahrung werden sie sicherlich Denkanstöße geben und verdeutlichen, dass Terrorismus, wie der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz betonte, „zum Lebensrisiko geworden ist“ und sich nicht mehr nur auf Krisenregionen beschränkt. Wichtig ist in diesem Kontext indes der relativierende Hinweis des Autors, dass die Wahrscheinlichkeit, in Deutschland Opfer eines Anschlages zu werden, immer noch sehr gering ist! Peils Buch liefert überdies Handlungsempfehlungen und Verhaltensregeln aus der professionellen Sicht eines Sicherheitsexperten. Wie verhält man sich im Fall von Sprengstoffanschlägen, welche Möglichkeiten hat man bei bewaffneten Angriffen oder Geiselnahmen? Inwiefern diese sinnvollen Ratschläge sich durch eine einmalige Lektüre verfestigen, sei dahingestellt, zum Nachdenken anregen werden sie. Peil will insgesamt zu mehr Aufmerksamkeit aufrufen – frei nach dem Motto: Terror geht uns alle an.

Auch Salazar wendet sich an ein breiteres Lesepublikum, sein Buch ist eher Essay als wissenschaftliche Publikation. Für Letztere wäre bisweilen mehr analytische Tiefe hinsichtlich der Kontexte der durch den Islamischen Staat genutzten Erinnerungsfiguren wünschenswert gewesen. Auch ihm geht es um die Wachsamkeit der Bürger*innen – hier vor allem im Hinblick auf eine genaue und analytische Sprache. Und so plädiert er dafür, Worte ernst zu nehmen. Wenn sich der Islamische Staat – hier plädiert er für die Verwendung der Eigenbezeichnung Kalifat – als Staat versteht, müsse er auch, ob er nun einer sei oder nicht, als solcher behandelt werden. Erst dann sei es sinnvoll, von einem Kriegszustand zu sprechen und erst dann seien beispielsweise französische Kämpfer*innen des IS keine Terrorist*innen, sondern Verräter*innen – im französischen Strafrecht ein erheblicher Unterschied.

Der Rhetoriker und Philosoph kritisiert beharrlich den Widerspruch der westlichen Narrative, in denen Politiker*innen eine martialische Sprache verwenden, ohne den Worten auch gesetzliche und strafrechtliche Konsequenzen folgen zu lassen. Diese Inkonsistenz höhle nicht nur die Sprache, sondern ebenfalls die Demokratie selbst aus. Mündige Bürger*innen müssten informiert sein. Die gegenwärtige Medien- und Politiksprache sei jedoch eher dazu geeignet, Dinge und Sachverhalte zu verhüllen statt sie genau zu benennen. Darüber hinaus führe diese Sprache zu einem inkonsistenten Narrativ des Westens, welcher wiederum dem konsistenten Narrativ des Islamischen Staates immer unterlegen sei. Dies sei einer der Gründe für den Erfolg der IS-Anwerbestrategie. Salazar betont, dass die Videos, Audiobotschaften und Reden des IS durch eine ausgefeilte und professionelle Rhetorik geprägt seien, die sich auf die islamische Geschichte und Ideengeschichte abstützen könne und mitnichten primitive Gewaltphantasien von Irren darstelle. Die Nutzung des Internets beherrsche der IS besser als jede dschihadistische Terrororganisation zuvor. Ausgiebig beschäftigt er sich mit der Antrittsrede Abu Bakr al-Baghdadis im Juli 2014, in der er die Tradition der arabisch-islamischen Redekunst in voller Ausprägung erkennt. Der entsprechende Stil sei geprägt von blumigen Metaphern, Allegorien, weitschweifigen Erklärungen und Umschreibungen und damit von Europäer*innen kaum verstehbar – diese seien indes auch nicht das Zielpublikum der Rede gewesen.

Salazar betont zu Recht, dass die Propaganda des IS die Gefühle und den Wunsch nach Idealen anspricht. Er schießt allerdings mit dem Lob der Rhetorik Baghdadis und der alleinigen Fokussierung auf den protreptischen Charakter der IS-Sprache etwas über das Ziel hinaus. Wie viele andere Studien belegen, ist die Motivation der neuen IS-Rekruten selten monokausal und häufig spielen intellektuelle Überlegungen eine eher untergeordnete Rolle. Das Versprechen auf Heldentum und die Aussicht auf eigene Größe in der Tradition des islamischen goldenen Zeitalters der Kalifen mag da schon eher geeignet sein, um Nachwuchs zu gewinnen.

Salazar bietet intelligente Denkanstöße, auch wenn es ihm bisweilen an der Differenziertheit mangelt, die er selbst einfordert. Er ignoriert den Umstand, dass das Phänomen des Islamismus und Dschihadismus durchaus vielfältig ist und der Islamische Staat lediglich eine Facette darstellt. Auch ist nicht richtig, dass der muslimische Märtyrerbegriff immer den Täter meint, während der christliche Märtyrer immer Opfer ist. Wenn er fordert, mit dem IS müsse verhandelt werden, weil er noch lange in seiner territorialen Form bestehen werde, merkt man, dass das Buch aus dem Jahr 2015 stammt. Inzwischen haben sich die Rahmenbedingungen geändert. Der IS wird militärisch geschlagen werden. Er befindet sich auf dem Rückzug, die Finanzmittel seines beuteökonomischen Wirtschaftssystems haben sich im vergangenen Jahr halbiert und seine Existenz als territorialer „Staat“ ist nur noch eine Frage der Zeit. Dennoch stellt das Buch einen wichtigen Beitrag zur Diskussion und zum Verständnis des Phänomens IS dar.

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Bibliografische Angaben

wie wir uns schützen können


Florian Peil
Terrorismus – wie wir uns schützen können
Hamburg, Murmann 2016

 

 

die sprache des terrors

Philippe-Joseph Salazar
Die Sprache des Terrors. Warum wir die Propaganda des IS verstehen müssen, um ihn bekämpfen zu können
München, Pantheon 2016

 

zum Thema

Islamistische Radikalisierung in der westlichen Welt

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