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Chance auf ein normales Leben? De-Radikalisierungsprojekte in der arabischen Welt

22.02.2017
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Autorenprofil
Anke Rösener, Diplom-Politologin

Erschienen am 22. Februar 2017, zuletzt aktualisiert im April 2020.

Wie kann es gelingen, islamistische Extremisten zu einer Abkehr von Gewalttaten zu bewegen und sie in die Gesellschaft zu reintegrieren? In vielen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens wurden nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 Programme zur De-Radikalisierung aufgelegt. Sie gründen auf der Überlegung, dass die dokumentZeugnis über die Ausbildung zum Selbstmordattentäter (Pakistan).
© Michael Rohschürmann
grassierende Radikalisierung nicht mit militärischen Mitteln, sondern mit weicheren, an den individuellen Motivlagen ansetzenden Methoden bekämpft werden muss. In der Praxis wurden verschiedene Projekte und Programmelemente entwickelt, sie umfassen sowohl individuelle als auch kollektive Maßnahmen, zielen auf ein verhaltensbasiertes Disengagement oder streben eine ideologische Umerziehung an. Diese Prozesse sind bislang nur ansatzweise aufgeschlüsselt, das Feld der De-Radikalisierungsforschung ist zudem nicht klar abgrenzbar, sondern überschneidet sich mit anderen Disziplinen und ist zumeist in den breiteren Kontext der Radikalisierungs- und Terrorismusforschung eingebettet. Mit diesem kompakten Themenschwerpunkt wollen wir den Blick ganz konkret auf die bisherigen Befunde über De-Radikalisierungsprojekte richten und tiefere Kenntnisse über deren Voraussetzungen, Hindernisse und Erfolgsaussichten vermitteln.

Alexander Gilbert stellt in seinem Überblicksbeitrag Einmal ein Terrorist, immer ein Terrorist? derartige Programme in Saudi-Arabien, Jemen und Ägypten näher vor, erklärt die konzeptionellen und begrifflichen Grundlagen, beschreibt die wissenschaftliche Arbeit führender Experten und skizziert den – wie sich zeigt, weitgehend unbefriedigenden – Stand der Forschung. Trotz allgemein bemängelter unzureichender Datenbasis und fehlender systematischer Forschungsstände lässt sich, so Gilbert, die Motivation für den Einstieg in und Ausstieg aus terroristischen Organisationen als relevanter Faktor herauslesen. Bedeutsam sind zudem die geopolitischen Besonderheiten und soziokulturellen Kontexte, sodass international vergleichende Studien kaum machbar sind. Bestätigt werden diese Einsichten von Michael Rohschürmann. In Kein Patentrezept, einer Sammelrezension zweier gut als Einstiegslektüre geeigneter Studien, stellt er zudem heraus, dass De-Radikalisierung nicht nur als Radikalisierungsprozess in umgekehrter Richtung zu verstehen ist, sondern ihre eigenen charakteristischen Merkmale zu haben scheint. In einem digitalen Panorama stellen wir darüber hinaus ausgewählte Publikationen und Forschungsaktivitäten zu diesem Thema vor. Da sich die Motivation des Einzelnen als Dreh- und Angelpunkt der (De-)Radikalisierungsforschung herausgestellt hat, liegt es nahe, allgemein nach den Lebensbedingungen junger Menschen in der arabischen Welt zu fragen. Wer zu diesem Thema forscht und welche Erkenntnisse es bereits gibt, lässt sich in einem zweiten Digirama Zwischen Dschihad und dem Wunsch nach Freiheit nachlesen. Zudem stellen wir hierzu zwei Bücher vor: In dem von Thomas Hegghammer herausgegebenen Sammelband „Jihadi Culture. The Art and Social Practices of Militant Islamists“ wird die Bedeutung von Musik, Poesie und Bildsprache ebenso wie von Alltagsritualen beleuchtet; Christoph Reuter bietet mit „Maryam A.: Mein Leben im Kalifat“ seltene Innenansichten des IS aus der Perspektive einer Aussteigerin. Ein generelles Hindernis für De-Radikalisierungsmaßnahmen stellt das Wiedererstarken von al- Quaida im mittleren Osten dar, das Florian Wätzel in einem Sirus-Beitrag analysiert. Die Gründe für die Dauerhaftigkeit dieses Terrornetzwerkes letgt Behnam T. Said in seinem Buch Geschichte Al-Qaidas dar. Marc Lynch hat die Aufstandsbewegungen in der arabischen Welt seit 2011 betrachtet und sieht wenig Chancen auf Stabilität. Dass die gegenwärtigen Phänomene des Islamismus ohne eine tiefere Kenntnis der islamischen Geschichte nur unzureichend erfasst werden können, belegt Hugh Kennedy mit seiner historischen Abhandlung über die Idee des Kalifats sowie Ruud Koopmans in „Das verfallene Haus des Islam“. Weitere Beiträge und Rezensionen werden folgen. Abschließend sei auf unseren Themenschwerpunkt Islamistische Radikalisierung in der westlichen Welt hingewiesen.

 

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