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Robert Grzeszczak (Hrsg.): Challenges of Good Governance in the European Union

06.07.2018
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Autorenprofil
PD Dr. phil. Matthias Lemke
Baden-Baden, Nomos 2016 (German and European Studies of the Willy Brandt Center at the Wroclaw University 5)

Mit guter Regierungsführung die Krise in der EU überwinden
Mehr Effizienz durch Good Governance

Zweifelsohne, so der Herausgeber Robert Grzeszczak in seiner Einleitung, stehe die Europäische Union zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor einer „substanziellen Krise“ (9), deren Ausmaß sich bei der Gründung des Staatenverbunds niemand habe ausmalen können. Dabei ist der Band – das gleich vorweg – erschienen, bevor überhaupt der Brexit beschlossen, der Rechtspopulismus flächendeckend zum Problem und die Migrationsbewegung nach Europa zum sprichwörtlichen Untergang des Abendlandes stilisiert wurden. Insoweit haftet ihm ein wenig der Charakter einer Zeitkapsel an, was ihn aber nicht grundsätzlich irrelevant für die heutige Debatte macht.

Das liegt daran, dass er ein grundsätzliches mit einem eher spezifischen Anliegen verbindet. Das grundsätzliche Ziel der Beiträge besteht darin zu reflektieren, inwieweit die durchgängige Implementierung und Anwendung von Good Governance auf europäischer Ebene dazu führen kann, bestehende Krisen zu bewältigen und künftige weniger häufig oder intensiv ausfallen zu lassen. Good Governance beschreibt Grzeszczak wie folgt: „The concept of good governance implies that significant redistribution of political power, combined with enhancing the presence of non-governmental organisations, epistemic communities, ‚networked structures’ and public-private partnerships, plays a role in improving the efficiency of the state and international organisations.“ (10) Zentraler Referenzpunkt dieses neoliberal angehauchten Verständnisses, das ist die spezifischere Seite des Anliegens der Aufsätze, ist die Politik Polens, das – und hierin liegt eine gewisse Spannung, um nicht zu sagen Ironie – unter der derzeitigen Regierung nicht gerade als ein Hort liberaler Demokratie bekannt ist.

Vor diesem Hintergrund gliedert sich der Band in drei Teile. Dem ersten Teil kommt unter der Überschrift „Change of the paradigms: From government to good governance?“ die Funktion zu, eine Übersicht über das Konzept der Good Governance zu ermöglichen. Auch wenn man geneigt ist zu meinen, dass es an einschlägigen Einführungen hierzu nicht mangelt, so haben manche Beiträge einen besonderen Charme, der sich daraus speist, dass sie bereits vor 2016 geschrieben wurden und noch dazu aus polnischer Perspektive auf heute mehr denn je gesamteuropäisch bedeutsame Problemlagen aufzeigen. Das gilt etwa für den Beitrag von Michalina Szpyrka, die sich mit dem Zusammenhang von Menschenrechten und Good Governance auseinandersetzt. Ihr Aufsatz basiert auf der These, dass beide Komplexe grundsätzlich zusammengedacht werden müssten. Denn nur dann, wenn der Staat und seine Institutionen für Bürgerinnen und Bürger zugänglich seien, könne er auch nachhaltig seiner Schutzfunkton nachkommen. „The concept of good governance is originally linked to human rights as it places individuals at the heart of its concerns and ensures broad participation of the society in the activities of public administration.“ (76) Vor diesem Hintergrund zeichnet sie die Entwicklung und den gegenwärtigen Stand der Umsetzung von Artikel 41 der EU-Grundrechtecharta in Polen nach, der das Recht auf den Zugang zu einer gut organisierten staatlichen Verwaltung festschreibt. Ihrer Auswertung zufolge ist es auch in Polen in den vergangenen Jahren gelungen, den Zugang zur öffentlichen Verwaltung offener und einfacher zu gestalten: „Elimination of obstacles and opening the offices to the needs of citizens results in the fact that, in this area, human rights are put into practice, which demonstrates that the realisation of the concept of good governance enhances the protection of human rights.“ (77) Das mag zwar grundsätzlich stimmen, allerdings muss auch die mögliche Reichweite der Aussage berücksichtigt werden – und die ist stark limitiert. Denn die Messung des bloßen Zugangs zu öffentlichen Ämtern berücksichtigt hier weder, inwieweit dieser auch für Nicht-Staatsbürger möglich ist, noch macht sie transparent, auf welchen politischen Überzeugungen das Verwaltungshandeln seinerseits beruht oder welche praktische Qualität es aufweist.

Der zweite Teil des Bandes nimmt ausgewählte Aspekte öffentlicher Teilhabe und effektiver Regierungsführung in den Blick. Auch an dieser Stelle sticht mit Blick auf gegenwärtige Problemlagen ein Beitrag heraus, nämlich der von Magdalena Gniadzik. Sie widmet sich der (Weiter-)Entwicklung des Konzepts einer europäischen Staatsbürgerschaft und geht dabei der Frage nach, in welches Verhältnis die EU-Staatsbürgerschaft die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger gegenüber ihrem Herkunftsstaat setzt. Im Zuge einer Erörterung einschlägiger EU-Politiken und -Probleme – von Maastricht bis zum Brexit – kommt sie unter anderem zu folgendem Schluss: „A return to a situation where the right to settle down in a different country is only for the wealthy and for those who have integrated well with the host country will mean a negation of the very substance of the legal institution of EU citizenship.“ (120) Mit anderen Worten: Erst der Besitz der EU-Staatsbürgerschaft gewährt gleiche Zugangs- und Aufenthaltsrechte auf dem europäischen Kontinent. So banal das klingen mag, in Zeiten wachsender autoritärer Nationalismen – auch in Polen – ist es vielleicht nicht unwichtig, daran zu erinnern. Wie es die EU indes mit der Zuwanderung von außen halten will, ist damit allerdings immer noch nicht geklärt.

Der dritte Teil schließlich beinhaltet unter der Überschrift „The practice of good governance at the EU and national level“ jene Beiträge, die entsprechend der geografischen Schwerpunktsetzung des Bandes das Fallbeispiel Polen in den Vordergrund rücken. Eine Thematik, die 2016 so aktuell war, wie sie es heute nicht minder ist, ist zweifelsohne jene der inneren Sicherheit. Anna Kanciak geht in ihrem Beitrag über die Evaluation europäischer Sicherheitspolitik in zwei Schritten vor. Zunächst entwirft sie den europäischen Zuständigkeits- und Kompetenzrahmen bei der Herstellung von Sicherheit – verstanden als Abwesenheit von Bedrohung. Daran anschließend unternimmt sie Analysen konkreter Maßnahmen im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Terrorismus, organisierter Kriminalität und Sicherheit in der Kommunikations- und Informationsinfrastruktur. Insgesamt sei das Feld der Sicherheitspolitik – trotz oder vielleicht auch wegen seiner signifikanten nationalstaatlichen Regelungsvorbehalte – ein gelungenes Beispiel für die Implementierung von Good Governance auf europäischer Ebene. Zudem sieht Kanciak weiteres Potenzial für eine echte, sprich: supranationale, europäische Innen- und Sicherheitspolitik. Sollte das ein Seitenhieb auf die nicht nur in Polen zu beobachtenden Renationalisierungstendenzen gewesen sein, so wäre er zwar subtil formuliert, aber dennoch aussagekräftig. Einziges Manko des Beitrages bliebe dann, dass – entgegen der mit der Eingruppierung in Kapitel einhergehenden Betonung der Bezüge zur Politik in Polen – polnische Sicherheitspolitik wenn überhaupt nur eine randständige Rolle spielt.

Was also bleibt als Eindruck? In jedem Beitrag steckt erkennbar ein Bezug zum Leitmotiv des Bandes: „Good governance means efficiant governance.“ (12) Die Frage, inwieweit Bezüge zu oder Diagnosen von Good Governance gleichsam auch Rückschlüsse auf Demokratiequalität allgemein zulassen, hätte ein eigenes Kapitel verdient gehabt. So wagen sich zahlreiche Beiträge weit hinaus, ohne dass die epistemischen Grenzen der jeweiligen Fallstudien hinreichend reflektiert sind. Auch inhaltlich bleibt ein durchwachsenes Bild, allerdings ist dieses nicht von den Autorinnen und Autoren selbst zu verantworten. Denn die EU im Jahr 2018 ist eine signifikant andere, als das noch 2015, zur Entstehungszeit des Bandes, der Fall war.

 

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Literatur

Alina Mungiu-Pippidi
Beyond the Panama Papers. The Performance of EU Good Governance Promotion. The Anticorruption Report,
volume 4, New York, Barbara Budrich Publishers 2017

 

Nikos Vogiatzis
The European Ombudsman and Good Administration in the European Union
Basingstoke, Palgrave Macmillan 2018


Aus der Annotierten Bibliografie

 

Dirk Ehlers / Henning Glaser / Kittisak Prokati (Hrsg.)

Constitutionalism and Good Governance. Eastern and Western Perspectives

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2014 (CPG Series of Comparative Constitutional Law, Politics and Governance 1); 395 S.; 98,- €; ISBN 978-3-8329-6987-5
Das South‑Eastern Center for Public Policy and Good Governance (CPG) ist das Resultat einer Exzellenzinitiative des Auswärtigen Amtes und des DAAD, die im November 2009 mit der Auswahl von vier Standorten (Russland, Thailand, Chile und Kolumbien) startete und am 29.01.2010 in die Gründung des CPG an der Thammasat University, Bangkok, mündete. Gefördert unter anderem von DFG und DAAD liegt der Forschungs‑ und Arbeitsschwerpunkt auf dem Öffentlichen Recht und dessen Funktionen...weiterlesen

 


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