Die Existenz einer deutschen, französischen oder britischen Außenpolitik erscheint selbstverständlich, eine europäische Außenpolitik hingegen wirft aus politikwissenschaftlicher Sicht folgende Fragen auf: Was ist und wie lässt sich die Außenpolitik der EU im Vergleich zu nationaler Außenpolitik beschreiben und bewerten? Warum gibt es eine europäische Außenpolitik? Wie lässt sich erklären, dass Europa neben den EU-Mitgliedsländern mitunter als eigener Akteur der internationalen Politik auftritt? Das Konzept der „Zivilmacht Europa“, das zumeist als Gegenentwurf zu klassischer Großmachtpolitik verstanden wird, steht seit dem Beginn der 70er-Jahre im Mittelpunkt einer Fachdebatte, die diese Fragen zu beantworten sucht. Der Autor skizziert erst die wesentlichen Argumente dieser Auseinandersetzung und prüft dann kritisch, inwiefern das Zivilmachtkonzept heute noch bei der Beschreibung und Erklärung europäischer Außenpolitik behilflich sein kann. Jüngste Entwicklungen, wie der Aufbau der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) oder die Verabschiedung der ersten europäischen Sicherheitsstrategie, führen den Autor zu einem ambivalenten Ergebnis: Die Europäische Union ist zwar keine Zivilmacht mehr, sie hat jedoch weiterhin überwiegend zivile Instrumente für ihre Politik zur Verfügung. Mit dieser These stellt er auch die theoretische Erklärungskraft des häufig normativ aufgeladenen Zivilmachtkonzeptes infrage, denn - so der Autor - der Aufbau einer ESVP kann als Ausdruck eines europäischen Großmachtstrebens, einer veränderten außenpolitischen Kultur oder aber als Reaktion auf eine neue sicherheitspolitische Bedrohungslage konzeptionalisiert werden.