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Ernst-Wolfgang Böckenförde / Dieter Gosewinkel

Wissenschaft, Politik, Verfassungsgericht

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2011 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2006); 492 S.; 18,- €; ISBN 978-3-518-29606-6
Zentrale Beiträge der vergriffenen Aufsatzsammlung „Staat, Verfassung, Demokratie“ von Ernst-Wolfgang Böckenförde werden in einem neuen Band herausgegeben, um zusätzliche Aufsätze erweitert und durch ein umfassendes wissenschaftlich-biografisches Interview abgerundet. Böckenförde insistiert im ersten Teil u. a. darauf, dass eine Gesellschaft, die auf dem Prinzip der freien Entfaltung der Individuen beruht, einen Prozess in Gang setzt, der die rechtlich verbürgte Freiheit zur Makulatur verdammt, da die sozialen Voraussetzungen zur Ausfüllung ebenjener Freiheiten zunehmend abhanden kommen. Es erscheint daher geboten, der sozialen Ungleichheit entgegenzuwirken, um sie nicht in Unfreiheit enden zu lassen. Im zweiten Teil seiner Ausführungen widmet sich der ehemalige Verfassungsrichter ferner dem Problem, dass ein Verfassungsgericht, das die Verfassung als rechtliche Ordnung des gesamten Gemeinwesens auffasst, in der bereits alle Rechtsprinzipien in nuce vorhanden sind und lediglich der Konkretisierung bedürfen sowie die Grundrechte in alle Bereiche des Rechts ausstrahlen, den Weg zum „verfassungsgerichtlichen Jurisdiktionsstaat“ (220) beschreitet. Somit werde dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber letztlich die Möglichkeit der Rechtsgestaltung aus der Hand geschlagen. Aus dem Hintergrund schimmert Carl Schmitts Verdikt über die Verfassungsgerichtsbarkeit deutlich hindurch. Dessen Einfluss wird auch in den europapolitischen Interventionen Böckenfördes sichtbar, wenn er, der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgend, festhält, dass es der Europäischen Union an demokratischer Legitimität mangele, dabei das Wesen der Demokratie aber in der Gleichheit und nicht in der Freiheit sieht. Abschließend bietet das Interview, insbesondere der Abschnitt über Böckenfördes akademischen Werdegang und seine ihn beeinflussenden Weggefährten – von Hans Freyer und Reinhart Koselleck über Joachim Ritter bis hin zum erwähnten Carl Schmitt – einen Einblick in ein intellektuelles Museum der jungen Bundesrepublik, zu deren Ausgestaltung er selbst maßgeblich beigetragen hat.
Patrick Stellbrink (PS)
M. A., Politikwissenschaftler, Promovend an der TU Chemnitz.
Rubrizierung: 1.3 | 5.41 | 2.21 | 2.32 | 2.323 | 3.1 | 2.63 Empfohlene Zitierweise: Patrick Stellbrink, Rezension zu: Ernst-Wolfgang Böckenförde / Dieter Gosewinkel: Wissenschaft, Politik, Verfassungsgericht Frankfurt a. M.: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34616-wissenschaft-politik-verfassungsgericht_41599, veröffentlicht am 01.03.2012. Buch-Nr.: 41599 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken