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Michael Haas: Why Democracies Flounder and Fail. Remedying Mass Society Politics

13.03.2019
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Autorenprofil
Dr. Sven Leunig
Basingstoke, Palgrave Macmillan 2019

Warum Demokratien scheitern. Zum Paradigma der Massengesellschaft

Das Werk des emeritierten Professors für Politikwissenschaft an der Universität von Honolulu reiht sich, wenig überraschend, in die gegenwärtig geradezu explodierende Menge an Publikationen zum Zustand unserer Demokratie ein.1 Auch Haas‘ Werk steht im Kontext der Zunahme populistischer Strömungen, die als Gefahr für die westliche, liberale Demokratie verstanden wird. Freilich – sein Erklärungsansatz ist sehr viel umfassender, geradezu „holistisch“, was den „range of sciences“ angeht, den er in seine Überlegungen einbezieht.

Sein zentraler Ansatz ist das „mass society paradigm“. Eine „Massengesellschaft“ liege dann vor, wenn es eine Erwartungslücke zwischen unzufriedenen Menschen und einer Regierung gibt, die nicht auf ihre Erwartungen reagiert. Hinzu muss ein Mangel an intermediären Institutionen kommen, deren Aufgabe es wäre, als hilfreiche Verbindung zwischen den Menschen und den Regierungen zu fungieren (31). Hier ist darauf hinzuweisen, dass er dieses Paradigma irritierend anders versteht, als es in der (Medien-)Forschung zumeist verwendet wird. Er ist sich dessen offenbar auch bewusst, denn er macht mehrfach deutlich, dass er dieses Paradigma in einer bestimmten Weise verwendet (viii), was aber die Einordnung seiner Thesen in einen breiteren Forschungskontext ausgesprochen erschwert. Hinzu kommt, dass Haas die Aussagen von Autoren verschiedenster Richtungen immer wieder als Beleg für die Existenz dieses Paradigmas in der Forschung heranzieht, auch wenn diese – was er unumwunden einräumt – diesen Terminus gar nicht verwenden (zum Beispiel Huntington, 59). Insofern bleibt offen, ob sie dieser „Vereinnahmung“ überhaupt zustimmen würden. Bezeichnend ist die folgende Aussage: „[…] the theory, known as the Mass Society Paradigm, was developed long ago. During the Cold War, it was suppressed as somehow subversive of the needs of the time.“ (2) An dieser Stelle wird deutlich, dass es sich um ein sehr eigenes Verständnis dieses Paradigmas handelt. In dieser „Definition“ kommen zwar indirekt auch die Massenmedien, die klassischerweise im Zentrum des „mass society paradigms“ stehen, vor, aber dass eine solche unscharfe Konzeption kaum geeignet sein dürfte, eine wissenschaftliche Analyse anzuleiten, dürfte außer Frage stehen.

Letztlich, das wird in dem 35 Seiten umfassenden Kapitel zum „mass society paradigm“ klar, geht es hier auch nicht um die Entwicklung eines kohärenten Konzeptes. Vielmehr wird hier eine große Zahl von Autoren angeführt, meist auch nur kurz erwähnt, die nach Ansicht von Haas‘ Aussagen formuliert haben, die sich irgendwie in sein genanntes Verständnis dieses Paradigmas einfügen lassen. Dabei nutzt er, wie oben mit dem Begriff „holistisch“ angedeutet, Aussagen von Autoren aus verschiedensten Bereichen, von Platon über Charles Darwin und David Ricardo bis zu Emile Durkheim. Bedauerlicherweise zitiert Haas zwar meist indirekt Aussagen aus deren Werken, aber leider in etwa der Hälfte der Fälle ohne präzise Seitenangaben in zum Teil mehrhundertseitigen Bänden, sodass sich kaum überprüfen lässt, ob die Autoren die behaupteten Aussagen tatsächlich so formuliert haben.

Seine Kernaussage ist jedenfalls, dass es die „bösen“ (ökonomischen und sozialen) Eliten sind, die das „gute“, arme Volk, die Massen verraten, ihre Interessen ignorieren, und damit die „substantive democracy zu Grabe tragen, die er der „procedural democray“ gegenüberstellt. Ganz im Rousseau‘schen Sinne zeichnet sich diese „substanzielle“ Demokratie dadurch aus, dass in ihr – im Unterschied zur prozeduralen Variante – der „Wille des Volkes“, vulgo also das „Gemeinwohl“, beachtet und realisiert wird (6, 38). Der Duktus des folgenden Zitats, mit dem er eine Aussage von C. Wright Mills wiedergibt, spricht wohl für sich und lässt den Autor fast schon als „Linkspopulisten“ erscheinen: „Political parties were in bed with corporate elites, to the detriment of ordinary people in the United States.“ (44)

Damit ist zum theoretischen „Konzept“ des Buches alles gesagt. In den folgenden vier Kapiteln, von denen drei Einzelfälle darstellen (der Wandel von der französischen Vierten zur Fünften Republik, die autoritär gelenkte Demokratie Singapurs und, last not least, die Krise der US-amerikanischen Demokratie) geht es dann wiederum darum, die im „Paradigma“ konzipierten Probleme ein ums andere Mal zu exemplifizieren. Kurz gesagt: Demokratien geraten in die Krise, wenn die Politiker nicht auf das Volk hören. Dann kommt es wie in Frankreich 1958 zu einem Coup d’Etat eines autoritären Staatschefs (de Gaulle), der Schaffung eines „totalitarian state“ wie in Singapur unter Lee Kuan Yew (187) – oder das System wird durch einen „gridlock“ permanent lahmgelegt wie in den USA, mit ungewissem Ausgang für die Demokratie (225 f.). Diese „Case Studies“, die letztlich auch wiederum nur die Zusammenfügung verschiedenster Primär- und Sekundärstudien durch den Autor ohne eigenes Analyseraster sind, werden durch zwei „Überblicksdarstellungen“ zu den bereits bis dahin ausführlich dargestellten „Gefahren der globalen Massengesellschaft“ ergänzt, die aber letztlich auch keinen weiteren Erkenntnisgewinn verschaffen.

Zusammengefasst: Das Buch zeichnet sich durch einen sehr großen wissenschaftlichen Apparat (ein fast hundertseitiges Literaturverzeichnis!) aus, von dem man sich hinsichtlich vieler der im Text angesprochenen Themen durchaus zu weiterer Lektüre anregen lassen kann. Als Forschungsstudie im herkömmlichen Sinn kann das Buch freilich kaum gelten; die Aussagen sind angesichts ihrer nur bedingten intersubjektiven Überprüfbarkeit in jedem Fall mit einer gewissen Vorsicht zu betrachten.


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1 Zum Beispiel: Levitsky, Steven/Ziblatt, Daniel, Wie Demokratien sterben, München 2018; Galston, William A., Anti Pluralism, New Haven & London 2018.

 

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