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Klaus Engel / Michael Vassiliadis (Hrsg.)

Werte, Wissen, Wachstum. Was Deutschland tun muss. Wie ein Bündnis der Vernunft dem Aufschwung zum Durchbruch verhelfen kann

Hamburg: Hoffmann und Campe 2010; 302 S.; geb., 19,95 €; ISBN 978-3-455-50171-1
Der Band enthält Texte von 38 Autorinnen und Autoren aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die aus ihrer jeweiligen Perspektive eine Bestandsaufnahme des Wirtschaftsstandorts Deutschland vornehmen. Dass darunter nur vier Frauen sind, die es offensichtlich in höchste Führungsebenen geschafft haben und die dem Ruf der Herausgeber zu einem Beitrag gefolgt sind, sei hier ebenso kritisch angemerkt wie die Tatsache, dass die historische Halbwertzeit solcher Vorhaben immer weiter zerschmilzt – mit dem Autor Christian Wulff wird das genauso überdeutlich wie mit dem Einstieg in den Band: „Krise? Welche Krise?“ (9) Dieser würde heute sicher anders lauten. Dabei ist dem Anliegen des Bandes doch eine gewisse Bedeutsamkeit beizumessen: Wie ist die seit 2008 andauernde Wirtschafts- und Finanzkrise einzuordnen – und was bedeutet das Erlebte für künftiges Verhalten? Kann es ein einfaches „Weiter so“ geben? Die Herausgeber würden das verneinen. Was dann folgt, sind jene 38 Interventionen, in denen die „Lessons Learned“ formuliert werden. Da der Band hier nicht weiter vorstrukturiert und etwa Wirtschafts- mit Politik- oder Kulturpositionen explizit kontrastiert, bleibt am Ende ein – dies ist nicht negativ gemeint – buntes Miteinander historischer Momentaufnahmen aus dem Jahr 2010. Es bleibt bei den Lesern, hier eine Auswahl zu treffen und selbst zu entscheiden, ob eine nachhaltige, der Gegenwart angemessene Zukunft eher durch „weniger Staat“ (weniger überraschend: Rainer Brüderle [41 ff.]), durch weniger „Habgier“ (Ludwig Poullain [233 ff.]) oder gar durch mehr „Solidarität“ (Roland Tichy [275 ff.]) zu haben sein wird. Interessanterweise ist es nicht etwa ein Vertreter der Politik, sondern ein Gewerkschafter, der in dieser Gemengelage, wo es um die Herbeiführung imminent wichtiger Entscheidungen für künftig kollektiv verbindliche Regeln des Zusammenlebens geht, auf die Rolle des Politischen hinweist. In seinem überaus beachtenswerten Beitrag schreibt Michael Sommer: „Gerechtigkeitsfragen lassen sich weder durch moralische Appelle noch durch normative Gesten lösen. Gesellschaftspolitisches Ziel muss es [...] sein, durch eine politische Praxis eine neue Ordnung zu schaffen, mit der gute [...] Lebensbedingungen der Menschen zur Realität werden.“ (273) Politics matters – angesichts gegenwärtig alternativloser, hegemonialer Ökonomisierungsdiskurse ist das eine weder selbstverständliche noch einhellige Position. Und gerade deswegen gehört sie ausgesprochen.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.3 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Klaus Engel / Michael Vassiliadis (Hrsg.): Werte, Wissen, Wachstum. Hamburg: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33584-werte-wissen-wachstum_40202, veröffentlicht am 29.11.2012. Buch-Nr.: 40202 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken