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Carlo Masala: Weltunordnung. Die globalen Krisen und das Versagen des Westens

09.07.2018
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Autorenprofil
Michael Rohschürmann
2., überarb. und erw. Auflage,
München, C. H. Beck 2018

Von Afghanistan über den Irak nach Syrien oder Libyen – überall dort, wo westliche Staaten in den vergangenen beiden Jahrzehnten versucht haben, ihre eigenen Staatskonzepte durch militärische Interventionen zu verankern, sind sie in großem Umfang gescheitert. Nach dem Ende des Kalten Krieges ist das Ende der Geschichte also ausgeblieben und keine neue Weltordnung entstanden, vielmehr befindet sich die Welt in einer Un-Ordnung, über die Carlo Masala, Professor für internationale Beziehungen an der Universität der Bundeswehr München, in seinem Buch schreibt. Ausgehend von der Frage, „wie und warum die Versuche der westlichen Welt, nach 1990 eine ‚neue‘ globale Ordnung zu schaffen, gescheitert sind und unter welchen Rahmenbedingungen Staaten und nicht-staatliche Akteure im internationalen Bereich zukünftig handeln werden" (13), analysiert er nüchtern den gegenwärtigen Zustand der internationalen Beziehungen und kommt zu einer wissenschaftlich neutralen Bewertung.

Masala verweist auf Kriege und Bürgerkriege, uni-, bi- und multipolare Systemkonfigurationen, nationalistische Tendenzen und Supranationalitäten sowie neue Herausforderungen wie Pandemien, Flüchtlingsbewegungen und die Digitalisierung. Dabei konstatiert er das Scheitern interventionistischer Versuche sowie des Nation Building in der Absicht, liberale westliche Staatsmodelle zu exportieren. Im Ergebnis hätten diese Ansätze dazu geführt, dass Staaten destabilisiert sowie ihr Zusammenhalt und ihre Infrastruktur zerstört worden seien. Als eindrucksvolle Beispiele nennt er vor allem Libyen und Irak. „Mit seiner militärischen Interventionspolitik trägt der Westen einen großen Teil der Verantwortung dafür, dass die Welt heute ein wesentlich unsicherer Platz ist, als sie es noch vor dreißig Jahren war." (44) Vor diesem Hintergrund stellt er fest, dass alle Versuche des Demokratieexportes von einer Doppelmoral geprägt seien, da demokratische Wahlergebnisse nur dann Unterstützung fänden, wenn sie nicht die Interessen der westlichen Staaten gefährdeten.

Angesichts dieser Fehlschläge der westlichen Politik stünden vor allem die USA weiterhin, unter Trump sogar noch deutlicher als zuvor, zu ihrer Doktrin einer unilateralen Politik und zum Interventionismus. Allerdings seien ihre westlichen Verbündeten dabei immer weniger zu blinder Gefolgschaft bereit.

Masala identifiziert allerdings auch Gegenbewegungen: So hätten im Bereich der internationalen Wirtschaftsbeziehungen die BRICS- Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) mit der Gründung der Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank (AIIB) ein Gegengewicht zur von den USA dominierten Weltbank geschaffen und kratzten damit an der Vorherrschaft des Westens. Als weitere Akteure in diesem Feld versteht er außerdem die immer mächtiger werdenden internationalen Wirtschaftsunternehmen. (80)

Weitgehend aus dem medialen Diskurs verschwunden ist dagegen die Pandemie durch das HIV-Virus. Masala erinnert daran, dass weltweit circa 37 Millionen Menschen mit dem Virus leben, in Afrika hat es bereits 1,2 Millionen Tote gegeben (Stand 2014). Dass gerade in Afrika die Infektion einen großen Einfluss auf Sicherheit und Stabilität der dortigen Staaten hat, belegt er eindrucksvoll allein mit dem Hinweis, dass in Zimbabwe mit einer Infektionsrate beim Militär von etwa 80 Prozent gerechnet werden muss.

Die Risiken der Digitalisierung sieht der Autor in erster Linie nicht in den immer größeren Gefahren einer umfassenden Kontrolle der Bürger durch den Staat, sondern in dem wachsenden Kontrollverlust auf nationaler Ebene. Die Schäden durch Cyberkriminalität beliefen sich inzwischen auf dreistellige Milliardenbeträge.

Sein Fazit ist ernüchternd und erteilt utopischen Wünschen nach einer immer stärkeren internationalen Integration und Verrechtlichung der internationalen Beziehungen eine Absage. In Zeiten gestiegener Unsicherheit und der Unverlässlichkeit traditioneller Partner (die vorliegende aktualisierte Neuauflage berücksichtigt auch auf die USA unter Präsident Trump) sei es für Deutschland geboten, eine dezidiert an den eigenen Interessen orientierte Politik zu betreiben – nötigenfalls auch unabhängig von der Bündnissouveränität. Um nicht missverstanden zu werden: Dies ist kein Abgesang auf die EU, im Gegenteil. Jede Entwicklung, die die Stabilität Europas oder den freien Binnenmarkt gefährde, so Masala, sei eine unmittelbare Bedrohung vitaler deutscher Interessen. Es wäre zu wünschen, dass auch die Kanzlerin das Verständnis dieses Zusammenhanges der Bevölkerung zutraute und für die Begründung ihrer Politik nutzte.

Der vielleicht bestechendste Aspekt des Buches ist die ruhige Sachlichkeit. Masala bedient keine medialen Klischees und spricht nicht von Gut-Böse-Antagonismen, sondern als bekennender Vertreter der realistischen Schule ohne Emotionen von Interessen. So gelingt es ihm, von romantischen Vorstellungen der internationalen Beziehungen Abstand zu gewinnen. Hatte Kant noch die Bedeutung der Moral hervorgehoben, um die Politik einzuhegen, demonstriert Masala sachlich und mit Fakten belegt, dass der moralische Imperativ in den vergangenen Jahrzehnten genau das Gegenteil bewirkt und sich so das Verhältnis von Politik und Moral verkehrt habe. In der Folge seien Interventionen über ein strategisch notwendiges Maß hinaus ausgedehnt und die Erwartungen unrealistisch überhöht worden. So kommt er zu dem Schluss, dass eine rein interessengeleitete Außenpolitik eher zurückhaltend agieren würde als eine moralisch begründete. „Der Westen hat nicht die Mittel, dem Rest der Welt seine Ordnung aufzuzwingen, auch wenn das viele Kreuzritter des Guten nicht wahrhaben wollen.“ (153 f.) Entsprechend plädiert Masala für eine weniger auf Moral und Demokratie denn auf Stabilität und Frieden ausgerichtete nationale Interessenpolitik.

Masalas Buch bietet einen kenntnisreichen Überblick über die gegenwärtigen internationalen Beziehungen, der auch für Nicht-Politikwissenschaftler gut verständlich geschrieben ist. Auch wenn man nicht all seine Argumente teilt, lohnt es, sich mit ihnen zu befassen.

 

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