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Shlomo Sand

Warum ich aufhöre, Jude zu sein. Ein israelischer Standpunkt. Aus dem Hebräischen von Gundula Schiffer

Berlin: Propyläen Verlag 2013; 156 S.; geb., 18,- €; ISBN 978-3-549-07449-7
Nein, der Historiker Shlomo Sand hat nicht vor, aus Israel wieder auszuwandern. Ist er länger im Ausland unterwegs, hat er Heimweh. Auch registriert er mit Freude, dass das Land in den vergangenen Jahrzehnten kulturell offener geworden ist, so mischen sich in die israelische Mittelmeer‑Musik mittlerweile auch arabische Klänge. Aber er wehrt sich vehement gegen eine weitere Gefangenschaft im „Narrenkäfig meiner Identität“ (13). Denn als Wissenschaftler, der sich Republikanismus und Demokratie als unverrückbaren Werten verschrieben hat, ist er nicht einverstanden mit der Identitätspolitik, die den Staat Israel zutiefst prägt und diesen dazu verleitet, seine Bürger ungleich und damit ungerecht zu behandeln – und ebenso die Bewohner der palästinensischen Gebiete. Sand fügt mit diesem argumentationsstarken und klugen Essay seinen beiden Büchern „Die Erfindung des jüdischen Volkes“ (Buch‑Nr. 38392) und „Die Erfindung des Landes Israel“ (Buch‑Nr. 43140) eine persönliche Stellungnahme hinzu. Im Kern weist er das Privileg zurück, als Sohn einer jüdischen Mutter – was er als zufällige Fügung des Schicksals identifiziert –, in Israel gegenüber nichtjüdischen Bürgern eine bevorzugte Position einnehmen zu dürfen. Vor allem aber fragt er: „Wer ist Jude?“ (122) Er selbst jedenfalls entstamme zwar einer jüdischen Familie, sei aber nicht religiös. Würde man einen Menschen, dessen Familie katholisch ist, der aber selbst aus der Kirche ausgetreten ist, noch als Katholik bezeichnen? Nein, schreibt Sand ganz richtig und fordert für sich das gleiche Maß an Selbstbestimmung – und für viele seiner Landsleute, die ebenfalls nicht oder anders religiös sind. Das Judentum diene aber dem – eigentlich säkularen, in den Nationalismen des 19. Jahrhundert verwurzelten – zionistischen Staat immer noch zur Legitimation. Dazu tauge es aber gar nicht, zu vielfältig seien seine historischen Erscheinungsformen gewesen, zudem habe der neue Staat alle Verbindungen zum Jiddischen gekappt und seine Bürger quasi neu erfunden. Auch eine spezielle jüdische Ethik der Gegenwart kann Sand nirgendwo ausmachen und kommt so zu dem Schluss, dass Israel – das längst eine Tatsache ist – weder jüdische Argumente noch Hinweise auf die Shoa zur Rechtfertigung seiner Existenz braucht. Damit sollten auch die Abgrenzungen zum Arabischsein enden und alle Bürger nicht nur de jure, sondern auch de facto gleich behandelt werden. Sand möchte vor diesem Hintergrund seine Entscheidung akzeptiert wissen, seine Nationalität nicht als jüdisch zu bezeichnen, sondern als israelisch.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.632.23 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Shlomo Sand: Warum ich aufhöre, Jude zu sein. Berlin: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36793-warum-ich-aufhoere-jude-zu-sein_44857, veröffentlicht am 27.02.2014. Buch-Nr.: 44857 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken