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Vorreiter oder Nachzügler? Die deutsche Energiewende im globalen Kontext

10.07.2018
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Prof. Dr. Claudia Kemfert

Während der Anteil der erneuerbaren Energien (darunter die Solarenergie) steigt, sinkt der von Atomstrom kontinuierlich. Foto: Geralt / PixabayWährend der Anteil der erneuerbaren Energien (darunter die Solarenergie) steigt, sinkt der von Atomstrom kontinuierlich. Foto: Geralt / Pixabay

 

Zusammenfassung

Die deutsche Energiewende ist ein wichtiges Vorbild für eine globale Transformation der Energiesysteme. Die Kosten erneuerbarer Energien sind massiv gesunken, vor allem dank der Investitionen aus Deutschland, der immer weiter steigenden Nachfrage sowie den damit verbundenen „Economies of Scale“ und der Lernkurveneffekte. Zum ersten Mal fließen global mehr Investitionen in erneuerbare als in fossile Energien. So werden immer mehr Länder dem Beispiel Deutschlands folgen und mittel- bis langfristig stärker in erneuerbare als in Atomenergie investieren. Derzeit beschreiten die Länder in der Welt aber noch ganz unterschiedliche Energiepfade. Zwar befindet sich Deutschland im Energiewende-Ranking nicht auf Platz eins und weist, trotz einiger Erfolge, durchaus Defizite in der konkreten Umsetzung auf. Aber dennoch hat die deutsche Politik der Energiewende einen globalen Umbruch eingeleitet.


Energiewende „Made in Germany“

Die „Energiewende“ ist mittlerweile im internationalen Sprachgebrauch angekommen: Nahezu überall in der Welt kennt man nach den Worten „Kindergarten“ und „German Angst“ nun das Wort „Energiewende“. Die Industrie-Musternation Deutschland setzt sich zum Ziel, den Atomstrom abzuschalten und die Energieversorgung mittelfristig auf erneuerbare Energien umzustellen. Dabei wird das gesamte Energiesystem umgebaut, das Stromsystem dezentraler, intelligenter und flexibler, die Mobilität nachhaltiger und das Energiesparen immer wichtiger. Der Anteil erneuerbarer Energien liegt mittlerweile schon bei über 30 Prozent an der Stromerzeugung, der Anteil von Atomstrom sinkt kontinuierlich bis 2022 auf null. Allerdings ist der Anteil von Kohlestrom noch immer hoch, 45 Prozent des Stroms werden mit Kohlekraftwerken generiert. Die Energiewende bringt enorme wirtschaftliche Chancen, schafft Innovationen und stärkt die Wettbewerbsfähigkeit.1 Durch die Investitionen entstehen Wertschöpfung und Arbeitsplätze. Zunächst international belacht, scherzen immer weniger Länder weltweit über Deutschlands Energiepläne.

Spätestens seit die Kosten für Solar- und Windstrom zurückgehen und die für Atomstrom ansteigen – und zum Beispiel in Texas mehr in die Solarenergie als in die Ölförderung investiert wird –, verstummen immer mehr Kritiker. Die Energiekosten sinken nicht nur durch den Einsatz von erneuerbaren Energien, vor allem das konsequente Energiesparen führt zu einer massiven Verbesserung der volkswirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. Sicherlich gibt es gerade in der internationalen Presse und bei konservativen Politikern noch immer ein eingeprägtes „Energiewende-Bashing“. Dort aber, wo in Solar- statt in Kohlekraftwerke investiert wird, wächst die Akzeptanz schnell.

Deutschland spielt in diesem Prozess insofern eine bedeutende Rolle, als es eine wichtige Stimme und ein Verfechter des Klimaschutzes ist. Die „Energiewende made in Germany“ ist sicherlich ein wichtiger Beitrag für den globalen Klimaschutz. Allerdings steht Deutschland im „Energiewende-Ranking“ nicht auf Platz 1, sondern liegt nach Ländern wie Schweden, Brasilien oder Italien nur im Mittelfeld (Abbildung 1).2

36 Kemfert Abbildung 1

 

Abbildung 1: Energy Transformation Index (ETI) Ranking ausgewählter Länder; ETI Wachstum zwischen 1990 und 20133

 

Die deutsche Energiewende hat neben viel Licht sicherlich auch Schattenseiten. Auf der einen Seite ist es Deutschland gelungen, durch den Ausbau erneuerbarer Energien die Emissionen im Stromsektor deutlich zu senken, auf der anderen Seite nutzen wir noch immer zu viel Kohle für die Stromerzeugung.4 Letzteres führt dazu, dass Deutschland die selbst gesteckten Klimaziele von minus 40 Prozent Minderung bis 2020 nicht wird erreichen können. Es fehlen verbindliche klimapolitische Maßnahmen, der Emissionshandel ist derzeit wirkungslos, da der CO2-Preis viel zu niedrig ist. Daher sind flankierende Maßnahmen erforderlich, wie beispielsweise eine Kohlesteuer und ein strukturierter Kohleausstieg. Zudem hat Deutschland zu wenig im Bereich der nachhaltigen Mobilität vorzuweisen; der VW-Abgasskandal ist ein schlechtes Beispiel für Umweltschatz made in Germany.

Wenn Deutschland sich als Klimaschutz-Musterschüler, wenn die Kanzlerin sich als „Klima-Kanzlerin“ feiern lassen will, dann muss das Kohleproblem gelöst werden, zudem müssen wir das Energiesparen intensivieren und vor allem im Bereich der nachhaltigen Mobilität wieder glaubwürdig werden. Daher ist die Politik nun erst recht gefordert, die Maßnahmen auch gegen Wirtschaftsinteressen für mehr Klimaschutz umzusetzen. Dennoch hat die deutsche Politik der Energiewende einen globalen Umbruch eingeleitet. Bei den Themen Kohleausstieg oder dem echten Messen von Abgaswerten kann Deutschland hingegen auch von anderen Ländern lernen. Und es gibt nicht wenige Länder, die es besser machen als Deutschland.

 

Echte Energiewende in der Welt: Skandinavien auch hier vorn

Nicht wenige behaupten, dass nicht Deutschland, sondern Dänemark die Energiewende erfunden habe. Jedenfalls versteht sich das kleine Land im Norden Europas als Vorreiter der erneuerbaren Energien, wenngleich es nach England und Norwegen drittgrößter Ölproduzent auf dem Kontinent ist. Bis in die 1970er-Jahre hatte Dänemark noch 99 Prozent seiner Energie importieren müssen; heute produzieren die Dänen mehr Energie als sie selbst brauchen. Bis 2020 sollen 50 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen kommen. Insbesondere die Windenergie soll mit einem Anteil von über 30 Prozent hierzu beitragen. Dieses Ziel wurde 2015 bereits deutlich übererfüllt: Über 40 Prozent des Strombedarfs wurden bereits mit Windenergie abgedeckt.5 Ein weiterer Fokus liegt auf der Bioenergie. Im parteiübergreifenden Konsens wurde das allererste Erneuerbare-Energien-Gesetz geschaffen, quasi der Prototyp zum deutschen EEG. Dadurch ist die Förderung der Energie aus erneuerbaren Quellen, insbesondere von Windenergie, Biogas und Biokraftstoffen, gut organisiert.

Norwegen deckt über 95 Prozent seines Strombedarfs durch Wasserkraft.6 Der Anteil fossiler Energien ist mit unter 0,5 Prozent verschwindend gering, obwohl das Land zu den weltweit führenden Erdöl- und Erdgas-Produzenten zählt. Auf Nuklearenergie verzichtet Norwegen gänzlich, setzt dafür aber immer stärker auf erneuerbare Energien, vor allem auf neue Erzeugungskapazitäten im Bereich On- und Offshore-Windenergie, aber auch auf eine Ausweitung der Nutzung der Biomasse im Transport- und Wärmesektor. Es gibt staatliche Investitionszuschüsse und ein Handelssystem für Grüne Zertifikate. Außerdem bestehen für alle Erneuerbare-Energie-Technologien umfangreiche Forschungs- und Entwicklungsprogramme, die beispielsweise bereits dem norwegischen Solarenergiesektor starken Auftrieb gaben.

Der Beitrag grüner Energie am Endenergieverbrauch Schwedens liegt bei knapp unter 40 Prozent und soll bis 2020 auf 50 Prozent steigen. Der schwedische Staatskonzern Vattenfall setzt im Heimatland ausschließlich auf den Ausbau erneuerbarer Energien. Zu deren Förderung existiert ein Zertifikathandel, auch über die Grenze zu Norwegen hinweg. Besonders die Windenergie wird gefördert, eine große Rolle spielt natürlich auch die Wasserkraft. Die viel kritisierte Beteiligung Vattenfalls an der Braunkohle in Deutschland soll aufgehoben und die Anteile sollen verkauft werden. Schweden nutzt nach wie vor intensiv Atomstrom.

Genau wie in Schweden bewegt sich auch in Finnland der Anteil der Kernenergie an der nationalen Stromerzeugung mit rund 30 Prozent beziehungsweise 40 Prozent auf relativ hohem Niveau. In beiden Ländern gibt es aber starke Diskussionen darüber, während die erneuerbaren Energien eine deutlich höhere Akzeptanz genießen. Besonders umstritten ist in Finnland der Neubau eines Reaktors, der fünfmal so teuer wird wie geplant. Befürworter einer ernsthaften Energiewende sehen stattdessen große Chancen im Anbau von Biomasse.

Insgesamt kann man festhalten: Die skandinavischen Länder machen überzeugend (und besser als Deutschland) vor, dass sich Umweltschutz und Wirtschaft nicht widersprechen müssen. Allerdings muss erst noch bewiesen werden, ob dieses erfolgreiche Zusammenspiel auch in der Liga der Industrieländer möglich ist.

 

Die G7-Staaten: Energiewende der anderen Art

In der Riege der G7-Staaten genießt die deutsche Energiepolitik einen gewissen Exoten-Status, wenngleich wohl alle Industrienationen durchaus die Gefahren der Atomenergie und die Bedeutung von Klimaschutz erkennen. Noch überwiegen jedoch nationale Interessen die internationale Sorge, weswegen die Diskussionen um erneuerbare, fossile oder nukleare Energiequellen in Deutschland am weitesten fortgeschritten sind. Aber je mehr sich andere Länder den globalen Herausforderungen stellen, desto lauter werden die Debatten.

In Großbritannien etwa treten die Umweltverbände für Klimaschutz ein und fordern deswegen erstaunlicherweise den Ausbau der Atomkraft. Zwar setzt man in England auch auf den Ausbau erneuerbarer Energien und schlägt sich mit verschiedenen mehr oder weniger effektiven Fördersystemen herum. Aber anders als in Deutschland wurde dort vereinbart, mit hohen Subventionen neue Atomkraftwerke zu bauen. So beschloss die konservativ-liberale Regierungskoalition im Mai 2012 den Bau neuer Nuklearmeiler mit langfristig festgelegten Strompreisen zu subventionieren. Zudem plante die Aufsichtsbehörde ONR eine Laufzeitverlängerung für acht bestehende Reaktoren. Im März 2013 genehmigte die britische Regierung die Pläne des französischen Stromkonzerns EDF, in Westengland zwei Reaktoren zu errichten. Das Wort Energiewende wird hier vor allem mit Klimaschutz und der Reduktion von CO2 verknüpft. Da sich nach Jahrzehnten der Deindustrialisierung in Großbritannien ohnehin nur noch wenig Schwerindustrie befindet, gibt es auch kaum noch Kohlekraftwerke.

Wichtiger als die Kohle ist der fossile Brennstoff Gas. Kurz vor Weihnachten 2012 hob der britische Energieminister Edward Davey ein zeitweiliges Verbot für das nicht nur auf der Insel umstrittene „Fracking“ auf: Bei der Ausbeutung sogenannter unkonventioneller Erdgasvorkommen will Großbritannien in Westeuropa Vorreiter werden. Damit setzt es auf Schiefergas, das sich nur mit einem komplizierten Verfahren, bei dem ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien mit hohem Druck rund tausend Meter tief ins Erdreich gepresst wird, aus den Gesteinsschichten lösen lässt. Teile des Chemiecocktails bleiben in der Erde, weswegen Umweltschützer dagegen Sturm laufen.

Das entspricht etwa der Energiepolitik der USA. Wer hier „Energiewende“ sagt, redet derzeit meist von Schiefergas und Fracking. Allerdings gibt es in den Bundesstaaten durchaus unterschiedliche Bewegungen: So wird derzeit beispielsweise im texanischen San Antonio eines der größten Solarkraftwerke der Welt gebaut. Damit könnte es Amerikas erste emissionsarme Stadt werden. Auch Kalifornien hat schon vor Jahrzehnten begonnen, auf grüne Technologien zu setzen. Aufgrund von staatlicher Unterstützung boomen dort Sonnen- und Windenergie, schon Ende 2010 wurde bereits ein Fünftel des Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen gedeckt. Aber Kalifornien ist nicht Amerika. Auf Staatsebene wurde kein verbindliches Klimaschutzziel geschweige denn irgendeine Art von Energiewende beschlossen. Und doch haben die USA einen cleveren Weg des Kohleausstiegs gewählt, indem sie Emissionsgrenzwerte festgelegt haben (Emissions Performance Standards).7 Zudem wurden ebenso strenge Emissionsgrenzwerte für Automobile eingeführt, was die deutschen Automobilhersteller zu spüren bekamen – so wurde die „Diesel Gate“ ausgelöst. Deutschland sollte sich an dieser Stelle ein Beispiel nehmen. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass die USA vor allem auf das Fracking setzen. Sie verfügen über sehr viel mehr Ressourcen an Öl, Gas und Kohle als Europa und haben zugleich einen sehr viel höheren Energieverbrauch. Zudem gibt es nur eine schwache Umweltbewegung. Was den Klimaschutz angeht, setzte die Obama-Administration auf – per Fracking gefördertes – Schiefergas, weil es weniger CO2 produziert als Öl. All das erfolgte unter dem Etikett „Energiewende“.

Die Umweltbewegung in Kanada mag stark sein, aber eine echte Energiewende hat sie nicht bewirkt. Das Land ist reich an Ressourcen, gehört zu den wichtigsten Exporteuren von Erdöl, Erdgas, Kohle, aber auch Uran. Zudem zählt es zu den Ländern mit dem höchsten CO2-Ausstoß. Die Energiewirtschaft spielt eine wichtige Rolle, doch die massiven wirtschaftlichen Interessen stehen einer Energiewende im Weg. Trotz massiver Umweltfolgen fördert die Regierung die Ausbeute von Ölsanden, was in Zeiten steigender Ölpreise und technischer Fortschritte immer rentabler wurde. Als Kanada 1997 das Kyoto-Protokoll bestätigte, erklärte es sich damit einverstanden, seine Treibhausgasemissionen um sechs Prozent bis 2012 zu verringern. Dennoch nahmen diese bis 2002 um 24 Prozent zu. Im Dezember 2011 stieg das Land vorzeitig aus der Vereinbarung aus. Auf diese Weise vermied es, wegen Nichterfüllung seiner Zusagen zum Abbau von Treibhausgasen Strafen zahlen zu müssen. Offiziell wurde der Ausstieg allerdings damit begründet, dass die USA und China als die größten Treibhausgasemittenten das Klimaschutzabkommen nicht mittragen würden. Von Energiewende ist hier vermutlich unter allen G8-Staaten am wenigsten die Rede.

Nach der Fukushima-Katastrophe – aber eben auch erst dann – begann in Japan eine Diskussion über die Zukunftsfähigkeit der Atomwirtschaft. Das Land war nach den USA und Frankreich weltweit drittgrößter Produzent von Atomstrom. Da fällt der Ausstieg nicht leicht, auch wenn die Bevölkerung diesen überwiegend befürwortet. Zwar hat der Einsatz von Gas zugenommen, doch dieses muss importiert werden. Obwohl nach Fukushima die Einführung einer garantierten Einspeisevergütung für erneuerbare Energien beschlossen wurde, also eine Art EEG nach deutschem Vorbild, ist – außer im Bereich Solarstrom – nicht viel passiert. Die Potenziale von Windenergie, insbesondere Offshore, sind durchaus vorhanden, wenn auch nicht sehr reichlich. Für Geothermie hätte man eigentlich ideale Voraussetzungen, aber die Gegner argumentieren mit Naturschutz und Tourismus. Und so wird die Energiewende verschleppt, wovon vor allem die alten Stromproduzenten profitieren. Der einzig wirklich bemerkenswerte Aspekt einer japanischen Energiewende betrifft die Drosselung des Energieverbrauchs. Denn als nach dem Reaktorunfall im März 2011 schlagartig alle 58 Atomkraftwerke abgeschaltet wurden, musste man von einem Tag auf den anderen den Stromverbrauch massiv reduzieren. Das gelang, wenn auch mit einem erheblichen wirtschaftlichen Schaden, aber die schnellen Verhaltensanpassungen – Hotels werden nicht mehr exzessiv gekühlt, Manager ziehen in den Büros ihre Jacketts aus etc. – senkten kurzfristig den Strombedarf. Und mit derart simplen Maßnahmen verkraftet eine große Industrienation die Abschaltung aller Atomkraftwerke. Doch mittlerweile werden nach und nach alle abgeschalteten Atomkraftwerke wieder hochgefahren.

Frankreich fällt es als zweitgrößter Atomnation der Welt schwer, eine Energiewende nach deutschem Vorbild zu realisieren. Über 70 Prozent des Stroms werden nach wie vor aus den zahlreichen Atomkraftwerken geliefert. Die erneuerbaren Energien stellen bisher keine echte Konkurrenz dar. Allein die Windenergie ist erwähnenswert. Allerdings hat Frankreich im Jahr 2015 ein Energiegesetz auf den Weg gebracht, um den Anteil des Atomstroms in den kommenden zehn Jahren auf 50 Prozent zu senken und den an erneuerbaren Energien deutlich zu steigern.8 Um diese Ziele zu erreichen, hat das Land eine Kooperation mit Deutschland zur Umsetzung einer gemeinsamen Energiewende vereinbart.9 Nicht zu vergessen ist auch, dass Frankreich dank diplomatischen Geschicks das Pariser Klimaschutzabkommen hat möglich werden lassen.

Italien, in puncto Atomenergie quasi das Gegenstück zu Frankreich, verfügt nicht nur über kein Atomkraftwerk, sondern kann außerdem den stärksten Bau von Photovoltaik-Anlagen in Europa verzeichnen – das ist ein wesentlicher Grund, warum Italien im Energiewende-Ranking vor Deutschland erscheint. Bislang importiert es den Strom überwiegend aus dem französischen Nachbarland. Doch wird diskutiert, ob aus Gründen der Unabhängigkeit ein eigenes Atomkraftwerk gebaut werden sollte. Per Referendum wurde der Wiedereinstieg in die Atomenergie jedoch verhindert. Stattdessen wurde – nach deutschem Vorbild – ein EEG etabliert, um die Photovoltaik auszubauen. Das scheint ein kluger Weg, denn so kann man, statt langfristig Atomstrom aus Frankreich zu importieren, vielleicht Solarstrom nach Deutschland exportieren, während man im Gegenzug Windenergie von dort importiert. Zwar deckt beispielsweise Südtirol bereits mehr als die Hälfte des Strombedarfs aus erneuerbaren Energiequellen und vor allem in den südlichen Regionen verfügt Italien über hervorragende Potenziale in der Solar- und Windenergie. Dennoch wird über die Energiewende gestritten – angeblich ist sie zu teuer. Dabei ist das Land im Bereich der Energieeffizienz geradezu vorbildlich: Nachdem jahrzehntelang das Thema Energieeffizienz im Bausektor nicht ernst genommen wurde, werden jetzt energieeffiziente Altbausanierungen steuerlich begünstigt und die Vorlage eines Energiepasses bei Vermietung wie beim Verkauf verpflichtend.


Die Energiewende in BRICS-Staaten: Gemischte Bilanz

Die fünf Länder mit einem noch immer starken Wirtschaftswachstum weltweit sind: Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – kurz BRICS. Die Zuwachsraten der Wirtschaft sind zum Teil beträchtlich – zwischen fünf und zehn Prozent –, während beispielsweise Europa auf bis zu zwei Prozent Wachstum kommt. Entsprechend groß ist der Energiehunger. Es wird produziert und verbraucht, was die Rohstoffe hergeben. Klimaschutz und Energieeffizienz sind derzeit nachrangig. China ist größter CO2-Emittent noch vor den USA und trägt für knapp ein Viertel des weltweiten CO2-Ausstoßes die Verantwortung. Trotzdem hat sich die chinesische Regierung bisher schwergetan, Klimaschutzabkommen zu unterschreiben. Zuerst müssten die traditionellen Industrieländer ihre Emissionen begrenzen; schließlich hätten die ihren heutigen Reichtum über Jahrzehnte ohne Rücksicht auf Umwelt und Natur aufgebaut. China habe deswegen quasi das Recht, als Klimasünder Nummer eins noch ein Weilchen weiter zu wachsen, bevor man sich durch CO2-Grenzwerte bremsen lasse.

China stillt seinen minütlich wachsenden Energiehunger vor allem mit Kohle und Atomstrom; allerdings hat das Land weltweit den höchsten Zubau an erneuerbaren Energien, in den Bereichen Wind und Photovoltaik. Die Ursache ist nicht etwa ein sonderliches Interesse am Klimaschutz, sondern der Wunsch nach Unabhängigkeit von Energieimporten und mittlerweile verstärkt Umweltschutz. Das Land verfügt über das weltweit größte natürliche Wasserkraftpotenzial und ist deswegen weltweit führend in der Entwicklung von Projekten in diesem Bereich. Bald könnte es die Hälfte seines Strombedarfs mit Wasserkraft decken.

Die meisten Kraftwerke Chinas befinden sich letztendlich über Beteiligungen in staatlichem Besitz. Darüber hinaus fördert das Reich der Mitte erneuerbare Energien mit hohen Staatskrediten und Subventionen wie günstigem Land. Teilweise schamlose Technikplagiate und billige Arbeitskräfte machten die Produktion von Photovoltaik in China ausgesprochen attraktiv. Dadurch sind die Hersteller auch international ausgesprochen wettbewerbsfähig, was zu Handelsstreitigkeiten führen könnte, wenn sich noch irgendein anderer G7-Staat ernsthaft für erneuerbare Energien stark machte. Die USA und mittlerweile auch die EU haben wegen der chinesischen Dumpingpreise Strafzölle verhängt. Doch das hat den chinesischen Solar-Eifer nicht gebremst, im Gegenteil: Jetzt wird die Binnennachfrage gefördert. Dadurch entsteht ganz nebenbei eine „heimliche Energiewende“, wenngleich aufgrund des hohen Energiebedarfs die konventionellen Energieproduzenten bislang weder die Konkurrenz der erneuerbaren Energien noch irgendwelche finanziellen Einbußen fürchten mussten. Wichtig ist vor allem der Netzausbau, der in dem riesigen Reich der Mitte nur stockend vorangeht, auch weil unklar ist, wer dafür die Verantwortung und die Kosten tragen soll.

Ähnlich handhaben auch die anderen BRICS-Staaten das Thema Klimaschutz. Von Energiewende ist nirgends wirklich die Rede, jedenfalls nicht in den offiziellen Regierungserklärungen.

Genau wie China nutzt Indien alle Energiequellen, um seinen wachsenden Bedarf zu decken. Mehr als 50 Prozent der Energieversorgung wird durch Kohle gedeckt, die zu einem großen Teil importiert werden muss. Erdöl macht ein Drittel des indischen Energie-Mix aus, Erdgas weitere acht Prozent, Atomstrom und Wasserkraft ebenfalls acht bis neun Prozent. Zwar wächst der Bereich der erneuerbaren Energien rasch, doch trägt er bislang nur unwesentlich zur Energieversorgung des Landes bei. Durch die Deregulierung des Marktes sollen ausländische Investoren motiviert werden, in die indische Energieerzeugung zu investieren. Im Mittelpunkt steht dabei aufgrund der günstigen Preisentwicklung die Solarenergie. Weil durch die dezentrale Energieerzeugung die fehlende Netzstruktur in dem riesigen Land kompensiert werden kann, werden vor allem in strukturschwachen Regionen Solaranlagen gefördert. In Südindien gibt es deswegen ein erhebliches Wachstum an Photovoltaikanlagen. Um die ehrgeizigen Ziele der indischen Regierung zu erreichen, wurden mehrere Förderinstrumente implementiert: Einerseits wird der Ausbau der erneuerbaren Energien durch Quotensysteme begünstigt, andererseits wird Strom aus Photovoltaik- und Windenergieanlagen seit Anfang 2009 durch Einspeisetarife vergütet.

Brasiliens Wirtschaft wächst und damit der Energieverbrauch. Wichtigste Energiequelle ist nach wie vor das Erdöl, wenngleich der Strom überwiegend aus Wasserkraftwerken kommt. Im Amazonasbecken entsteht ein riesiges Staudammsystem von futuristischem Ausmaß. Es ist das erklärte Ziel, energieautark zu werden. Atomstrom spielt keine Rolle. So liefert das einzige Kernkraftwerk Brasiliens gerade einmal drei Prozent des im Land verbrauchten Stroms. Dagegen sollen die erneuerbaren Energien massiv ausgebaut werden. Deswegen hat auch Brasilien eine Art EEG eingeführt, um Photovoltaik auf Dächern zu fördern. Die Regulierung erlaubt eine Verrechnung der Stromerzeugung in Photovoltaikanlagen mit dem Stromverbrauch. Bis zu einer Leistung von einem Megawatt läuft der Zähler also rückwärts. Damit erfährt der Solarstrom automatisch denselben Wert, den Haushaltskunden für ihren herkömmlichen Strom bezahlen müssen. Das Potenzial für Solarstrom in Brasilien ist groß. Auch für die Nutzung von Wind- und Bioenergie bietet das Land beste Voraussetzungen, nämlich große landwirtschaftliche Brachflächen, beste klimatische Bedingungen und immense Erfahrung in der Nutzung der relevanten Energieformen in der Landwirtschaft und der Industrie. Nach den USA ist Brasilien dank seines großflächigen Zuckerrübenanbaus zweitgrößter Bioethanolproduzent der Welt.

Südafrika gilt als der Wirtschaftsmotor Afrikas. Das stetige Wirtschaftswachstum der vergangenen zwei Jahrzehnte wurde allein durch die Weltwirtschaftskrise 2009 etwas gedämmt. In puncto Energie verlässt sich das Land nach wie vor auf die einheimische Kohle und zählt zu den 15 größten Verursachern von Treibhausgasen. Allerdings ist Südafrika gleichzeitig stark vom Klimawandel betroffen. Bereits heute treten Wetterextreme wie Dürren und Überschwemmungen merklich häufiger auf. Forscher sind sicher, dass im afrikanischen Süden Hungersnöte zunehmen werden.10 Schon aus eigenem Interesse hat sich Südafrika also verpflichtet, den Klimawandel zu bekämpfen und den Ausstoß an Treibhausgasen deutlich zu senken. Das Land verfügt über ein großes Potenzial an erneuerbaren Energien, vor allem Sonne und Wind sind im Überfluss vorhanden. Die südafrikanische Regierung hat deshalb erste Initiativen gestartet, die gleichzeitig die Stromversorgung sichern, Kohlendioxid-Emissionen reduzieren und Arbeitsplätze schaffen. Zusammen mit Dänemark, Großbritannien, Norwegen, der Schweiz und der Europäischen Investitionsbank beteiligt sich auch Deutschland an der südafrikanischen Initiative zum massiven Ausbau der erneuerbaren Energien (SARI). Im Gegenzug war auch Südafrika mit von der Partie, als im Juni 2013 der deutsche Umweltminister Kollegen aus aller Welt zu sich nach Berlin einlud. Es fanden sich Vertreter aus zehn Staaten, die den „Club der Energiewende-Staaten“ gründeten, um gemeinsam den Ausbau der erneuerbaren Energien weltweit voranzutreiben. Gründungsmitglieder sind China, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Indien, Marokko, Südafrika, Tonga, die Vereinigten Arabischen Emirate, das Vereinigte Königreich sowie der Generaldirektor der Internationalen Organisation für Erneuerbare Energien (IRENA), Adnan Amin.

 

Gibt es eine Energiewende im Rest der Welt?

Die Internationale Energieagentur (IEA) berichtet regelmäßig, dass Regierungen weltweit über 500 Milliarden Dollar ausgeben, um fossile Energieträger künstlich billig zu halten.11 Das geht mal mehr, mal weniger kreativ zu: In Mexiko etwa gibt es ungetarnt einen Staatsfonds, um die Benzinpreise an der Tankstelle niedrig zu halten. In öl- und gasreichen Ländern, vor allem im arabischen Raum, werden die Energiepreise niedrig gehalten. In Deutschland werden Nutzer fossiler Energien dezent steuerlich begünstigt, indem Diesel beispielsweise indirekt über eine geringere Steuer subventioniert wird und Aluminiumhersteller zahlen keine Ökosteuer. Hinzu kommen Milliarden Euro, mit denen bis 2018 die Kohleförderung subventioniert wird. Der IWF hat jüngst veröffentlicht, dass global 5,3 Billionen Dollar allein für die Subventionierung fossiler Energien ausgegeben werden, um die Preise für Kohle, Öl und Gas niedrig zu halten. Als „schockierend“ bezeichnet der IWF das Ergebnis, da sich die Subventionen in fossile Energien auf 6,5 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts summieren. Würde man diese Gelder in nachhaltige, zukunftsweisende Technologien investieren, könnten sowohl das Ressourcenproblem gelöst als auch der Klimawandel gebremst werden. Die lokalen Schäden durch die Subventionierung der Brennstoffkosten schätzt der IWF auf 2,7 Billionen Dollar, die Kosten des Klimawandels auf 1,3 Billionen Dollar.12 Daher sollten Subventionen in fossile Energien global abgeschafft werden, um die richtigen Weichenstellungen für eine nachhaltige Energieversorgung und Mobilität zu setzen.

Rekordhalter an direkten Subventionen ist der Iran, dort kosten Öl, Gas und Kohle nur 15 Prozent des Weltmarktpreises. Ob günstige Kredite bei der Förderung von Öl und Gas, garantierte Mindestrenditen oder Steuererleichterungen für Investoren – gerade die erdölexportierenden Länder gewähren ihren Bürgern und oder Geschäftspartnern zahlreiche Vergünstigungen, wenn es um fossile Energien geht. Gespart wird dagegen bei Investitionen in Forschung und Entwicklung erneuerbarer Energien oder Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz.

Wenn man diese direkten oder indirekten Subventionen abschaffen würde, wäre schon eine Menge gewonnen. Würde man dasselbe Geld in Energieeffizienz oder erneuerbare Energien investieren, ließen sich sicher große Fortschritte in Richtung Klimaschutz erzielen. Ideen gäbe es genug, es fehlt nur an Geld beziehungsweise dem Willen, das Geld in diese Ideen zu stecken.

Das wirtschaftlich schwer gebeutelte Griechenland etwa hat enormes Potenzial für Sonnen- und Windenergie. Stattdessen denkt man dort darüber nach, ob man per Fracking jüngst gemachte Gasfunde im Mittelmeer heben kann. Dass damit ungeheure Investitionen und Risiken verbunden sind, wird verdrängt.

Auch Spanien könnte vor allem im Bereich Photovoltaik neue Wirtschaftskraft entwickeln. Das bereits nach deutschem Vorbild eingeführte Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien wurde dort jedoch nach langen Diskussionen 2008 wieder abgeschafft, der Markt brach zusammen, die Anlagenhersteller gingen bankrott. Gleichzeitig mit dem Moratorium für die Einspeisevergütung für Ökostrom wurde die Laufzeit des Atomkraftwerks Santa Maria de Garoña bis 2019 verlängert. Der Meiler ist baugleich mit den havarierten Blöcken im japanischen Fukushima und hätte 2011 nach 40 Jahren Laufzeit abgeschaltet werden sollen.

Atomenergie hat vor allem in Osteuropa eine starke Lobby. Die Kraftwerke sind allerdings veraltet, die Leitungsnetze marode oder nicht ausreichend vorhanden. Im Rahmen der europäischen Energiediskussionen beginnt deswegen allmählich auch in den östlichen EU-Ländern die Diskussion um erneuerbare Energien. So hat beispielsweise Rumänien den Beitritt zur EU genutzt, um sich in der Energiewirtschaft neu aufzustellen. Durch eine Mengenregelung in Form einer Quotenverpflichtung mit kombiniertem Zertifikatehandel und vorgeschriebenen Höchst- und Mindestpreisen werden seit 2008 die erneuerbaren Energien gefördert. In Tschechien setzt man zwar weiterhin auf Atomstrom, fördert aber auch die Betreiber von Öko-Kraftwerken, entweder mit einer Einspeisevergütung oder einem zusätzlich zum Marktpreis gezahlten Grünen Bonus.

In Polen ist eine ernsthafte Energiewende nach deutschem Vorbild mit einem Ausbau der erneuerbaren Energien und konsequentem Energiesparen bisher kein ausgeprägtes energiepolitisches Ziel. Der Anteil an Kohle zur Stromproduktion ist nach wie vor groß. Die erneuerbaren Energien werden durch ein Quotensystem gefördert, der Anteil soll deutlich steigen. Wind- und Bioenergie sind die zwei Energiequellen mit dem größten natürlichen und wirtschaftlichen Potenzial. Als Energiewende wird eher die Verminderung der Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland verstanden. Aus diesem Grund hat man einen neuen Flüssiggasterminal (LNG) gebaut. Eigene Schiefergasvorkommen sind als Erdgasquelle zu unergiebig. Zugleich setzt man weiterhin auf Atomenergie und will bis 2020 ein weiteres Atomkraftwerk bauen. Aufgrund erhöhter Kosten ist jedoch kaum mit einer Umsetzung zu rechnen.

Die große Nation Russland hat auch großen Energiehunger und einen entsprechenden Verbrauch an Gas, Kohle, Öl und Atomstrom. Da das Land aber auch über große Ressourcen verfügt, gibt es dort bislang wenig Ambitionen, daran irgendetwas zu ändern: keine Anstrengungen zum Klimaschutz, keine zur Energieverbrauchsreduktion, und kaum welche zum Ausbau erneuerbarer Energien. Stattdessen soll der Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung ausgebaut werden, um noch mehr Erdöl und Erdgas exportieren zu können. Auch der Kohleanteil soll steigen.

Erneuerbare Energien werden dagegen eher belächelt. Die Energiewende findet die staatliche russische Energiewirtschaft trotzdem interessant, vor allem in Deutschland. Denn darüber erhofft sie sich gute Geschäfte. Spontan bot die russische Regierung nach dem deutschen Atomausstieg an, in deutsche Kraftwerke zu investieren – Gaskraftwerke versteht sich, und das dafür nötige Gas würde man dann auch gleich liefern. Wären die Deutschen allerdings auf Dauer nicht bereit, die russischen Preise zu bezahlen, würde man eben nach China liefern, dessen Energiebedarf ohnehin deutlich größer sei – genau wie die Zahlungsbereitschaft.

Aber auch die arabischen Länder, deren Reichtum auf großen Ölvorkommen beruht, finden derzeit erneuerbare Energien mehr und mehr interessant. Der stark wachsende Energiebedarf in der arabischen Welt erfordert Investitionen in dreistelliger Milliardenhöhe, um die Kraftwerkskapazitäten entsprechend auszubauen. Dafür sind intelligente und effiziente Energiekonzepte gefragt. Zunehmend rücken dabei auch erneuerbare Energien in den Fokus arabischer Energiepolitik. Saudi-Arabien, das weltweit die größten Erdölreserven besitzt, entwickelt neuerdings ein Bewusstsein über die natürlich vorhandenen Ressourcen an erneuerbaren Energien. Zwar werden die Ölpreise im Land nach wie vor subventioniert – wenn auch im Zuge der Ölkrise weniger stark. Aber inzwischen hat die nüchterne ökonomische Betrachtung zu der Erkenntnis geführt, dass man mehr davon hat, wenn man das wertvolle Öl in die weite Welt exportiert und die Binnennachfrage mit günstigen Ökoenergien deckt. Insofern sucht das ölreiche Land zunehmend nach Konzepten und Techniken zur Nutzung von Solar-, Wasser- und Windenergie. immer stärker steht auch die Energieeffizienz im Blickpunkt.

Bemerkenswert ist noch Abu Dhabi. Das größte arabische Emirat hat sich sehr früh auf ein quantitatives Ziel festgelegt und will bis 2020 sieben Prozent seiner Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien generieren. Das ist angesichts des Potenzials vor allem im Bereich der Solarenergie wenig, aber energiepolitisch ein starkes Signal. Schließlich basiert die Energieerzeugung bislang ausschließlich auf Erdgas.

 

Fazit

Die Welt befindet sich im Umbruch. In vielen Staaten ist das Ende des fossilen Zeitalters mehr oder weniger spürbar. Der Kampf um das Öl ist wieder in vollem Gange. Das Klimaschutzabkommen von Paris hat den Beginn des Endes des fossilen Zeitalterns eingeleitet. In unterschiedlichster Weise werden wirtschaftliche Lösungen für den Einstieg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien gesucht. Manche sind in dem Prozess schon weiter, manchen steht die Zeitenwende erst noch bevor.

Deutschland könnte in diesem Prozess zur Lokomotive werden. Der mittelfristige Umbau des gesamten Energiesystems macht durchaus Eindruck in der Welt. „Klimaschutz made in Germany“ könnte der nächste Verkaufsschlager des Exportweltmeisters werden. Zwar steht Deutschland im internationalen Ranking nicht auf Platz eins, dennoch hat insbesondere die frühe Förderung erneuerbarer Energien zu einer drastischen Senkung der Kosten geführt. Dies hilft der Welt beim Umstieg.

Die Energiewende bringt enorme wirtschaftliche Chancen, schafft Innovationen und stärkt die Wettbewerbsfähigkeit. Durch die Investitionen entstehen Wertschöpfung und Arbeitsplätze. Das konsequente Energiesparen führt zu einer massiven Verbesserung der volkswirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. Während die Kosten für Solar-und Windstrom sinken, steigen die für Atom.

Selbstverständlich sind auch in der deutschen Energiewende noch nicht alle Weichen auf schnelle Fahrt zum wahrscheinlich inzwischen utopischen, aber immer noch wichtigen Zwei-Grad-Ziel gestellt. So wird das Klima-Musterland die selbst gesteckten Klimaziele einer 40-Prozent-Minderung bis 2020 nicht erreichen. Der Emissionshandel ist aufgrund des niedrigen CO2-Preises derzeit nahezu wirkungslos. Von strukturiertem Kohleausstieg kann nicht die Rede sein. Wegen lautstarker Lobby-Proteste wagt man nicht mal simple, aber wirkungsvolle Maßnahmen wie eine Kohlesteuer. Das sonst so innovative Autoland Deutschland hat in der Paradedisziplin nachhaltige Mobilität erstaunlich wenig Erfolge vorzuweisen. Im Gegenteil: Der VW-Abgasskandal schadet dem Ansehen deutscher Umweltpolitik weltweit. So ist die Bundesregierung mehr denn je gefordert, gegen alle widerläufigen Wirtschaftsinteressen Klimaschutzmaßnahmen durchzusetzen.

Dennoch bleibt die deutsche Energiewende ein wichtiges Vorbild: Dank der Investitionen aus Deutschland, der steigenden Nachfrage und der damit verbundenen Skalierungseffekte sind die Kosten der erneuerbaren Energien weltweit massiv gesunken. Zum ersten Mal fließen global mehr Investitionen in erneuerbare als in fossile Energien – und dies trotz noch immer hoher Subventionen in fossile Energien!

So werden immer mehr Länder dem deutschen Vorbild folgen können und statt in Atom- oder fossile lieber in erneuerbare Energie investieren: mehr Chancen, weniger Risiken! Bei anderen Aspekten nachhaltiger Energie, wie etwa beim Kohleausstieg oder beim Messen echter Abgaswerte, kann Deutschland dagegen von anderen Ländern wie beispielsweise den USA lernen. So steigt die weltweite Lernkurve und der Energiewende-Zug kommt langsam, aber hoffentlich gewaltig ins Rollen.


Anmerkungen

1 Vgl. Blazejczak, Jürgen et al. (2013) sowie Kemfert, Claudia et al. (2015).

2 Vgl. Fraunhofer ISE (2015): The Energy Transformation Index
https://www.ise.fraunhofer.de/de/presse-und-medien/presseinformationen/2013/energy-transformation-index-eti.html
und IEA (2014b). Auch der Climate Chance Performance Index sieht Deutschland in puncto Emissionsentwicklung, erneuerbare Energien Ausbau, Energieeffizienzverbesserung und Politikmaßnahmen nur im Mittelfeld, vgl. Burck, Jan et al. (2016). Andere Studien, wie der Global Green Economy Index GGEI, sehen dagegen Deutschland neben Schweden auf Platz 1 der globalen grünen Märkte, vgl. Tamanini, Jeremy et al. (2014). Die Studie des Handelsblatt Research Instituts (HRI) sieht Deutschland in ihrem Ranking auf Platz acht von 24 Ländern.

3 Frauenhofer ISE entwickelte 2013 den Energy Transformation Index (ETI). Dieser misst den Fortschritt von Ländern zu einer Energiewende https://www.ise.fraunhofer.de/de/presse-und-medien/presseinformationen/presseinformationen-2013/energy-transformation-index-eti.

4 Vgl. Kemfert, Claudia (2013).

5 Vgl. Euractiv (2013).

6 Vgl. IEA (2015a) und IEA (2015b).

7 Vgl. Pao-Yu Oei, Clemens Gerbaulet / Kemfert, Claudia / Kunz, Friedrich / Hirschhausen, Christian von (2015). Auswirkungen von CO2-Grenzwerten für fossile Kraftwerke auf Strommarkt und Klimaschutz in Deutschland. DIW Berlin – Politikberatung kompakt 104, S. 1-47. Berlin, https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.521081.de/diwkompakt_2015-104.pdf.

8 Vgl. Assemblée Nationale : transition énergétique pour la croissance verte , Paris 2015
http://www.assemblee-nationale.fr/14/dossiers/transition_energetique_croissance_verte.asp.

9 Vgl. 16. Treffen des Deutsch-Französischen Ministerrats: https://www.bmwi-energiewende.de/EWD/Redaktion/Newsletter/2014/04/Meldung/dt-frz-ministerrat.html.

10 Vgl. NASA 2015.

11 Vgl. IEA (2014a).

12 Vgl. Vgl. IMF (2015).



Literatur


Blazejczak, Jürgen / Diekmann, Jochen / Edler, Dietmar / Kemfert, Claudia / Neuhoff, Karsten / Schill, Wolf-Peter (2013):
Energy Transition Calls for High Investment,
in: DIW Economic Bulletin 9/2013, S. 3-14, Berlin.

Burck, Jan / Marten, Franzsika / Bals, Christoph (2016):
Climate Change Performance Index 2016,
Bonn, Berlin,
https://germanwatch.org/sites/germanwatch.org/files/publication/13625.pdf

Euractiv (2013):
Windkraft: Dänemark knackt eigenen Weltrekord,
Brüssel 2013

http://www.euractiv.de/sections/energie-und-umwelt/windkraft-daenemark-knackt-eigenen-weltrekord-321023.

Fraunhofer ISE (2014):
Energy Transformation Index 2013,
Freiburg 2014
https://www.ise.fraunhofer.de/de/downloads/pdf-files/aktuelles/ise-ises-eti.pdf.

Handelsblatt Research Institute (HRI) (2014):
Neue Impulse für die Energiewende – Was die deutsche Energiepolitik aus dem internationalen Vergleich lernen kann,
Düsseldorf.

IEA, International Energy Agency (2014a):
Energy Subsidies,
Paris, http://www.worldenergyoutlook.org/resources/energysubsidies/.

IEA (2014) International Energy Agency (2014b):
Key World Energy Statistics 2014, country ranking, energy consumption, CO2-emissions,
Paris.

IEA (2015a) International Energy Agency:
World Energy Outlook,
Paris.

IEA (2015b) International Energy Agency:
Electricity Information,
Paris.

IMF International Monetary Fund (2015):
Counting the Costs of Energy Subsidies,
IMF Survey, Washington 17.7.2015
http://www.imf.org/external/pubs/ft/survey/so/2015/new070215a.htm.

Kemfert, Claudia / Opitz, Petra / Traber, Thure / Handrich, Lars (2015):
Deep Decarbonization in Germany. A Macro-Analysis of Economic and Political Challenges of the 'Energiewende' (Energy Transition)
DIW Berlin Politikberatung Kompakt 93/2015, Berlin
https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.497746.de/diwkompakt_2015-093.pdf.

Kemfert, Claudia (2013):
Kampf um Strom: Mythen, Macht und Monopole,
Hamburg: Murmann.

NASA (2013):
Study Projects Warming-Driven Changes,
Washington http://www.nasa.gov/topics/earth/features/wetter-wet.html.

Tamanini, Jeremy / Bassi, Andrea / Hoffman,Camilla / Valenciano, Julieth (2014):
Green Economy Index GGEI 2014,
Strategic Review 2014, Washington, New York
http://dualcitizeninc.com/GGEI-Report2014.pdf.


Bei diesem Beitrag handelt es sich um die aktualisierte Fassung des folgenden Textes:

Claudia Kemfert (2016)
Globale Energiewende: "Made in Germany"?
in: Aus Politik und Zeitgeschichte 66. Jahrgang, Heft 12-13/2016, S. 17-24.

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Sammelrezension

Die europäische Energiewende. Zwischen Stagnation, Fake News und einem neuen Aufbruch

Zwei Publikationen bieten einen Überblick über die Rückschläge bei der Energiewende, plädieren aber angesichts der Potenziale und Vorteile der erneuerbaren Energien auf eine konsequente Zurückdrängung fossiler Brennstoffe. In „Das fossile Imperium schlägt zurück“ unterzieht Claudia Kemfert die zehn größten Falschbehauptungen einer analytischen Richtigstellung. Claude Turmes zeigt in „Die Energiewende – Eine Chance für Europa“ die politischen und technischen Maßnahmen auf, die der Energiewende trotz aller Widerstände immer noch zum europaweiten Erfolg verhelfen können.
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Aus der Annotierten Bibliografie

Claudia Kemfert

Kampf um Strom. Mythen, Macht und Monopole

Hamburg: Murmann 2013; 142 S.; 7. Aufl.; brosch., 14,90 €; ISBN 978-3-86774-257-3
Das Gelingen der Energiewende dürfte weniger von Stromtrassen oder Windanlagen abhängen, sondern vielmehr von der Meinung der Öffentlichkeit. Um diese Mehrheitsmeinung liefern sich Lobbyisten beider Seiten einen erbitterten Kampf. Es geht um viel Geld, aber auch um Weltanschauungen. Bei aller grundsätzlichen Sympathie der Deutschen für umweltfreundliche Technologien haben es die Verfechter der Energiewende gegenwärtig schwer, wachsender Skepsis und Ängsten zu begegnen. Die bekannte DIW‑Ökonomin Claudia Kemfert liefert ...weiterlesen


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Wolf-Peter Schill / Alexander Zerrahn / Claudia Kemfert / Christian von Hirschhausen (2018):
Die Energiewende wird nicht an Stromspeichern scheitern
DIW Aktuell, Nr. 11., 7.Juni 2018.

Die Umsetzung der Energiewende erfordere einen weiteren intensiven Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland, schreiben die Autor*innen. Dabei werde von einigen bezweifelt, ob eine weitgehend auf fluktuierender Wind- und Solarenergie basierende Energieversorgung möglich sei. Sie setzten sich mit einer Analyse Hans-Werner Sinns auseinander, derzufolge der weitere Ausbau der Wind- und Solarenergie in Deutschland aufgrund fehlender Stromspeicher an eine Grenze stoßen werde. Seiner These widersprechen die Verfasser*innen in ihrem Beitrag und resümieren: „Der Stromspeicherbedarf stellt somit, anders als von Hans-Werner Sinn behauptet, kein Hindernis für den weiteren Fortgang der Energiewende dar.“

 

Christian Breyer / Michael Child / Claudia Kemfert (2019):
A SuperSmart energy system can ensure an economically competitive transition towards sustainability for a European Energy Union

Gemeinsam mit der Technischen Universität Lappeenranta (Finnland) hat Claudia Kemfert untersucht, wie durch flexible Stromerzeugung, einen verbesserten Austausch zwischen den Stromnetzen und entsprechenden Speicherkapazitäten ein Übergang zu einem Energiesystem in Europa mit 100 Prozent erneuerbaren Energien ermöglicht werden kann. Die Ergebnisse kommentiert Claudia Kemfert: „Die Studie zeigt eindrucksvoll, dass der Umstieg hin zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien nicht nur möglich ist, sondern die Wirtschaft stärkt, Innovationen und technologische Vorteile hervorbringt. Wichtig sind die Rahmenbedingungen, die Europa setzen muss, damit der Anteil erneuerbarer Energien schnell wachsen kann und nicht weiter ausgebremst werden. Jedes Land sollte den Umstieg hin zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien so schnell wie möglich voranbringen. Zudem zeigt die Studie, dass die dezentrale erneuerbare Energieversorgung mit Solarenergie und Batteriespeicherung (Prosumage) den Bedarf an Hochspannungsleitungen vermindern kann.“
DIW Bericht vom 25. Februar 2019

 



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