Skip to main content
Farah Dustdar

Vom Mikropluralismus zu einem makropluralistischen Politikmodell. Kants wertgebundener Liberalismus

Berlin: Duncker & Humblot 2000 (Beiträge zur Politischen Wissenschaft 115); 239 S.; 98,- DM; ISBN 3-428-09997-4
Diss. phil. Chemnitz; Gutachter: E. Jesse. - Trotz der verstärkten Auseinandersetzung mit Kants Politikverständnis, die durch das zweihundertste Jubiläumsjahr der Schrift "Zum ewigen Frieden" 1995 ausgelöst wurde, sind Kants politische Schriften nach wie vor weitgehend unbekannt, eine systematische Auseinandersetzung mit Kant als politischem Denker steht noch immer aus. Ausgehend von der Diagnose, dass noch keine "umfassende Auseinandersetzung mit Kants politischer Philosophie als Entwurf eines wertgebundenen Liberalismus" (21) stattgefunden habe, stützt sich die Studie auf das Gesamtwerk und den Nachlass Kants, "um diejenigen Aspekte seiner politischen Philosophie herauszuarbeiten, die für die liberale Theorie von Bedeutung sind und mit denen sich die Forschung bisher kaum auseinandergesetzt hat" (17). Ausgehend von Kants Einwänden gegen Annahmen des Empirismus und seiner Kritik an Lockes politischem Vertrag verfolgt die Studie die Entwicklung von Kants Menschenbild und Weltanschauung; sie analysiert die historischen Ereignisse und Entwicklungen, "die zur Abwendung von seiner politischen Philosophie geführt haben" (19). Kants Begriff des "Pluralismus", mit dem er in einem Gegenbild zum Egoismus sein "liberales Menschenbild auf eine kurze Formel" (11) bringt, steht dabei im Zentrum der Untersuchung. Ihm korrespondiert eine "makropluralistische Welt der autonomen und vereinten Staaten" (206). Kants Politiktheorie präsentiert sich in der Gestalt einer Staatsrechtstheorie: Kant ging davon aus, dass bestehende Ungleichheiten durch Recht kompensiert werden müssen und dass "alle menschlichen und zwischenstaatlichen Streitigkeiten durch Gesetze geregelt werden können und müssen" (206). "Die moralische Fundierung der liberalen Ordnung muß auf höchster Ebene Geltung beanspruchen. Der wichtigste Schritt auf diesem Wege sei die Abschaffung des Angriffskrieges durch die Staatengemeinschaft. Mit dieser kopernikanischen Wende gelingt es Kant, den 'ethischen Naturzustand' und den Widerspruch der Moral und Politik aufzuheben, sowie durch die Forderung nach völkerrechtlichen Garantien die Gewaltanwendung und die menschenunwürdigen Folgen zu beenden." (206) Kants regulative Idee einer universellen Rechtsordnung habe nach Einschätzung der Verfasserin an Aktualität gewonnen. Inhalt: I. Einleitung: Die Grundfragen eines weltbürgerlichen Pluralismus; II. Kants Warnung: Herausforderungen der bürgerlichen Gesellschaft: 1. Der gescheiterte Versuch des Empirismus; 2. Der Traum von Weltherrschaft und seine Folgen; 3. Kants Kritik an Lockes politischem Vertrag. III. Kants Absicht: Die Begründung der Prämissen der freiheitlichen Ordnung: 1. Aufklärung durch ein Erziehungsprogramm; 2. Bürgerliche Gesellschaft als Idee einer besseren Zukunft; 3. Kants optimistische Geschichtsauffassung; 4. Gründung eines "Staatenvereins" als Ziel des Völkerrechts; 5. Die Entdeckung der "moralischen Politik". IV. Kants Weg: Die allmähliche Ausbildung der Idee des Pluralismus: 1. Ein vollständiger Entwurf; 2. Homo pluralis als ein neues Menschenbild; 3. Allgemeine Menschenvernunft; 4. Die Unmöglichkeit des totalen Irrtums; 5. Die Formulierung der universellen Menschenrechte; 6. Von der "Glückseligkeitsethik" zur "Pflichtethik"; 7. Die Erziehung zur Mündigkeit; 8. Die politische Kultur der deutschen Aufklärung; 9. Kontinuität und Wandel und die Verantwortung der Gelehrten. V. Kants Niederlage: Sieg des Empirismus über die wertgebundene Politik: 1. Das Ende einer Epoche; 2. Die "immer ekelhafter werdende französische Revolution"; 3. Gleichgewicht der Mächte statt ewigem Frieden; 4. Die Tragik der Friedenspolitik; 5. Die Wiederkehr des Feindbildes; 6. Die Katastrophe des Empirismus in Form des Sozialdarwinismus; 7. Vom Weltbürgertum zum Nationalstaat.
Tanja Pritzlaff (TP)
Dipl.-Politologin, wiss. Mitarbeiterin, Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen.
Rubrizierung: 5.33 Empfohlene Zitierweise: Tanja Pritzlaff, Rezension zu: Farah Dustdar: Vom Mikropluralismus zu einem makropluralistischen Politikmodell. Berlin: 2000, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/12111-vom-mikropluralismus-zu-einem-makropluralistischen-politikmodell_14461, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 14461 Rezension drucken