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Ulrike Capdepón

Vom Fall Pinochet zu den Verschwundenen des Spanischen Bürgerkrieges. Die Auseinandersetzung mit Diktatur und Menschenrechtsverletzungen in Spanien und Chile

Bielefeld: transcript Verlag 2015 (Global Studies); 374 S.; 34,99 €; ISBN 978-3-8376-2347-5
Politikwiss. Diss. Hamburg; Begutachtung: D. Nolte, W. Hein. – Der öffentliche Umgang mit den Diktaturerfahrungen Spaniens (1936/9‑1975) und Chiles (1973‑1990) bildet das Thema dieser Arbeit. Dabei richtet Ulrike Capdep Ón den Fokus auf Anknüpfungspunkte und diskursive Verbindungslinien zwischen beiden Ländern sowie auf die zunehmende Bedeutung internationaler Einflussfaktoren auf lokale Erinnerungsprozesse. Den Ausgangspunkt der Betrachtung bildet die durch den spanischen Ermittlungsrichter Baltasar Garz Ón veranlasste Festnahme des chilenischen Ex‑Diktators Augusto Pinochet in London im Jahr 1998. Sie stellte „das Ergebnis der Aktivitäten einer Allianz von nationalen und internationalen Menschenrechtsaktivisten, Familienangehörigen von Opfern, Rechtsanwälten, Journalisten und Wissenschaftlern auf der einen und Richtern und Regierungen auf der anderen Seite“ (222) dar. Dieses Zusammenwirken institutioneller und nicht‑institutioneller Akteure führte zunächst zur Verhaftung des ehemaligen Diktators und daraufhin zu dem viel zitierten sogenannten Pinochet‑Effekt. Auf diese Weise wurde die Debatte über die verschwundenen Opfer in Chile auf die politische Tagesordnung Spaniens gebracht, sodass dort die Frage nach der Repression und den Opfern der Diktatur Francisco Francos ebenfalls angestoßen wurde, schreibt Capdep Ón. „Der Widerspruch, dass spanische Gerichte den chilenischen Diktator wegen Menschenrechtsverletzungen angeklagt hatten, während die Verbrechen der Franco‑Diktatur straflos blieben, hatte aus langfristiger Perspektive die Konsequenz, dass auch die franquistischen Verbrechen zunehmend in Menschenrechtsdiskurse eingeschrieben wurden“ (319). So entstand auch in der spanischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Regime eine unerwartete Dynamik, berichtet die Autorin. Dennoch verdeutlicht ihre komparative Analyse zugleich, dass Spanien im Gegensatz zu Chile auf eine rechtliche Aufarbeitung der Diktaturvergangenheit verzichtet, während „die chilenische Vergangenheitspolitik mittlerweile zweigleisig im Sinne der strafrechtlichen Verfolgung der Täter und der Anwendung des internationalen Rechts“ (260) verfährt. Capdep Ón zeigt also, dass lateinamerikanische Impulse auf die lokalen Erinnerungsdiskurse in Spanien zurückwirken. Aus einer postkolonialen Perspektive geht es der Autorin darum, die Erfahrungen und transatlantischen Prozesse zwischen Lateinamerika und Spanien als ehemaliger Kolonialmacht, von denen meist angenommen wird, dass sie ausschließlich in die umgekehrte Richtung verlaufen, „auch in die transatlantische Gegenrichtung von der südlichen in die nördliche Erdhälfte her in die Analyse mit einzubeziehen“ (326).
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Rubrizierung: 2.232.652.612.25 Empfohlene Zitierweise: Sabine Steppat, Rezension zu: Ulrike Capdepón: Vom Fall Pinochet zu den Verschwundenen des Spanischen Bürgerkrieges. Bielefeld: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39393-vom-fall-pinochet-zu-den-verschwundenen-des-spanischen-buergerkrieges_47083, veröffentlicht am 18.02.2016. Buch-Nr.: 47083 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken