Volles Risiko. Was es bedeutet, in die Politik zu gehen
Im November 2012 wurde Susanne Gaschke zur Oberbürgermeisterin der Stadt Kiel gewählt. Im Juni 2013 unterschrieb sie einen rechtlich fehlerhaften Eilentscheid über einen Vergleich mit einem seit langer Zeit säumigen Steuerschuldner. Im Oktober 2013 trat sie aufgrund der Affäre, die sich daraus ergab, zurück. Nun erzählt Gaschke ihre notwendigerweise subjektiv geprägte Sicht auf die Affäre. Auch wenn man mitunter an einzelnen Beurteilungen zweifeln mag, nimmt man der geübten „Zeit“‑Journalistin den Versuch einer ehrlichen und offenen Schilderung und Analyse ab. Die Darstellung einer politischen Affäre aus der Perspektive der Betroffenen ist in der Tat bedrückend und beeindruckend – ganz unabhängig davon, wie gerechtfertigt Gaschkes Rücktritt am Ende war. Doch das Buch geht über die Beschäftigung mit dem „Steuerdeal“ hinaus. In der ersten Hälfte schildert Gaschke ihr Hineinwachsen in den Journalismus und die Zusammen‑ und Gegeneinanderarbeit von Politikern und Journalisten. Dann erfährt der Leser sehr viel über das Innenleben der SPD in Kiel, über die parteiinternen Widerstände gegenüber einer Kandidatin, die sich trotz langer SPD‑Mitgliedschaft einen unabhängigen Kopf bewahrte, über die Art und Weise, wie Wahlkämpfe organisiert werden und wie sich das Verhältnis zwischen den Parteien und der Parteiflügel zueinander gestaltet. Schließlich wird sehr anschaulich illustriert, was es bedeutet, „OB“ einer Stadt mit einer Viertelmillion Einwohner zu sein, und wie unterschiedlich die tatsächliche Struktur der Arbeit – irgendwo zwischen Aufsichtsratssitzungen und Grußwortverlesungen – einerseits und die Erwartungen an die direkt gewählte Bürgermeisterin andererseits sind. Es müsse sich etwas ändern im Verhältnis von Politik und Bürgern, so das Fazit. Gaschke redet dabei nicht einer pauschalen Parteienkritik das Wort, meint aber, das Wahlämter in einer Demokratie für grundsätzlich alle Bürgerinnen und Bürger offenstehen müssen und nicht nur für jene, die eine jahrzehntelange stromlinienförmige Parteikarriere vorzuweisen haben.