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Thomas Maissen (Hrsg.)

Verweigerte Erinnerung. Nachrichtenlose Vermögen und Schweizer Weltkriegsdebatte 1989-2004

Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung 2005; 729 S.; geb., 47,- €; ISBN 3-03823-046-4
Erst habe mit den Schweizer Banken eine Institution, dann ein ganzes Land das Vertrauen einer globalisierten Öffentlichkeit verloren, schreibt der Heidelberger Historiker Maissen. Der Grund habe in der „verweigerten Erinnerung“ an den Zweiten Weltkrieg gelegen, daran, dass sich die Schweizer jahrzehntelang gesträubt hätten, die traumatischen Erinnerungen der Juden an den Holocaust in das eigene kollektive Gedächtnis aufzunehmen. Seinen Ausdruck habe diese Verweigerung auch darin gefunden, den Nachkommen der Ermordeten ihr Erbe und damit die „materielle Grundlage der Erinnerung“ (28) vorzuenthalten – die Banken behielten stillschweigend die Guthaben der Holocaust-Opfer. Maissen analysiert den Umgang mit diesen „nachrichtenlosen Vermögen“ als symptomatisches Fehlverhalten, das bis zum Ende des Kalten Krieges nicht sonderlich aufgefallen sei. Nach 1989 aber habe sich nicht nur die Politik der USA und Israels geändert. Der Holocaust sei insgesamt von einer partikularen Vergangenheit der Juden als ein allgemein nachvollziehbarer und verpflichtender Referenzpunkt zu einem zumindest vorübergehenden Fundament einer zukünftigen universellen Ordnung geworden. Mit dem chronologischen Ablauf der konfliktträchtigen Verhandlungen über die nachrichtenlosen Vermögen zeigt Maissen ausführlich den für die Schweizer schwierigen Wahrnehmungswandel – meinte man doch allzu lange der vermeintlich „neutralen“ Wahrung des Bankgeheimnisses Vorrang geben zu können. Jahrzehntelang wurde deshalb möglichen Erben die Auskunft verweigert – mit der Folge, dass viele Vermögen durch Gebühren aufgezehrt und schließlich gelöscht wurden. Die Schweizer hätten erst lernen müssen, diese für historisches Unrecht und die Opfer blinde Perspektive zu ändern. Die „globale“ Geldzahlung, die schließlich mit den jüdischen Vertretern aus den USA ausgehandelt wurde, bedeutete nicht nur die Anerkennung der Holocaust-Opfer, sondern brachte auch „zum Ausdruck, dass man [mit den USA] eine gemeinsame juristische, politische und moralische Basis gefunden hatte“ (656).
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.5 | 2.64 | 2.23 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Thomas Maissen (Hrsg.): Verweigerte Erinnerung. Zürich: 2005, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/20087-verweigerte-erinnerung_23395, veröffentlicht am 25.06.2007. Buch-Nr.: 23395 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken