Reemtsma rekonstruiert die Geschichte der Moderne unter dem Aspekt des Umgangs mit Gewalt. Er vertritt die These, dass die Legitimität der Moderne an die Ausweitung der Zone verbotener Gewalt gebunden ist. Durch die mit dem Gewaltmonopol des Staates etablierte Verrechtlichung und Einhegung der Gewalt werde jedoch zugleich die Faszination an der Gewalt genährt und so die Möglichkeit geschaffen, gewaltsam aus der Zivilisation auszusteigen. Reemtsma unterscheidet zwischen drei Gewaltformen: der lozierenden Gewalt, die über den Ort des Körpers im Raum bestimmen, ihn aus dem Weg räumen will; der raptiven Gewalt, die sich des Körpers bemächtigen, ihn ge- und missbrauchen will, und der autotelischen Gewalt, die die Integrität des Körpers zerstören will. Die letzte der genannten Gewaltformen verfolgt kein instrumentelles Ziel, sie ist irrational und erhält ihren Sinn einzig durch die Allmacht gegenüber dem Opfer. Dieser im Vergleich mit den instrumentellen Formen der Gewalt intrinsischen Gewaltausübung gilt Reemtsmas hauptsächliches Interesse. Er plädiert dafür, sie nicht zu mythisieren oder zu pathologisieren, sondern als irreduzible Form menschlichen Verhaltens zu verstehen. Letztlich bleibe auch in der Auseinandersetzung mit dieser Form der Gewalt – z. B. bestimmten Spielarten terroristischer Gewalt – nur das Vertrauen in die liberale Gesellschafts- und Lebensform. Dass diese Lebensform sich trotz der totalitären Gewalterfahrungen des 20. Jahrhunderts erhalten und weiterentwickelt hat, ist für Reemtsma eine „Unwahrscheinlichkeit“ (85), die Hoffnung gibt.