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Mario Hemmerling

Vergangenheitsaufarbeitung im postautoritären Argentinien. Ein Beitrag zur Reaktion des Verfassungsrechts und der Verfassungsgerichtsbarkeit auf staatlich gesteuertes Unrecht im Lichte völkerrechtlicher Verpflichtungen

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2011 (Leipziger Schriften zum Völkerrecht, Europarecht und ausländischen öffentlichen Recht 18); 230 S.; 59,- €; ISBN 978-3-8329-6190-9
Rechtswiss. Diss. Leipzig; Begutachtung: M. Kotzur, H. Goerlich. – Einen Meilenstein der Rechtsgeschichte hat im Oktober 2011 ein argentinisches Gericht gesetzt: Es verurteilte 16 ehemalige Armeeangehörige, die während der Zeit der Militärdiktatur Menschen entführt, gefoltert und ermordet hatten, zu hohen Gefängnisstrafen, unter anderem den früheren Offizier Alfredo Astiz zu einer lebenslangen Haft. Diese Urteile sind ein großer Erfolg bei der Ahndung von Menschenrechtsverletzungen. Ermöglicht wurden sie auch durch verfassungsrechtliche Voraussetzungen, die im Mittelpunkt dieser Studie stehen. Hemmerling analysiert, „wie die Verfassung der Republik Argentinien von 1853/1860, insbesondere vor dem Hintergrund der umfassenden Verfassungsreform von 1994, die unrechtsstaatliche Vergangenheit Argentiniens verarbeitet, aufarbeitet und welche Bedeutung dem Typus der ‚offenen’ oder ‚kooperativen Verfassungsstaatlichkeit’“ zukommt. Außerdem wird der Oberste Gerichtshof und dessen Judikatur „in Hinblick auf die Aufarbeitung unrechtsstaatlicher Vergangenheit im Lichte völkerrechtlicher Verpflichtungen betrachtet“ (17). Zu den Ergebnissen dieser für Rechts- wie Politikwissenschaftler lesenswerten Studie zählt die Feststellung, dass sich die Verfassungslehre seit dem Ende der Militärdiktatur zu einer Erfahrungswissenschaft gewandelt hat. „‚Nie wieder’ sollten sich die Erfahrungen der Vergangenheit wiederholen, nie wieder der argentinische, freiheitlich-demokratische Verfassungsstaat zum Spielball politischer Mächte werden.“ Durch die Konstitutionalisierung völkerrechtlicher Verträge werde nun ein umfassender Grundrechtsschutz gewährleistet, in der Verfassung selbst sei seit 1994 die Demokratie festgeschrieben. Geprägt sei der Text zudem durch das Konzept der offenen Staatlichkeit, was etwa mit Blick auf eine mögliche supranationale Ausrichtung zum Beispiel des MERCOSUR zukunftsweisend sei: „Nur der offene Verfassungsstaat im Geflecht seiner internationalen Verpflichtungen wird zum Garanten freiheitlich-demokratischer Verfassungsstaatlichkeit!“ (210) Vor diesem Hintergrund sei – „nach einem langen Weg der demokratischen Transformation“ – in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs „die Vergangenheitsbewältigung der Vergangenheitsaufarbeitung gewichen“ (212).
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.65 | 2.23 | 2.21 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Mario Hemmerling: Vergangenheitsaufarbeitung im postautoritären Argentinien. Baden-Baden: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33842-vergangenheitsaufarbeitung-im-postautoritaeren-argentinien_40551, veröffentlicht am 03.11.2011. Buch-Nr.: 40551 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken