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Reinhard Dorn

Verfassungssoziologie. Zum Staats- und Verfassungsverständnis von Ernst Fraenkel

Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2010 (Staatsdiskurse 9); 193 S.; 36,- €; ISBN 978-3-515-09793-2
Fraenkels Werk erlebt eine kleine Renaissance; davon zeugen die voluminöse Neuedition der Gesammelten Schriften (zu ersten Band siehe Buch-Nr. 11568) und z. B. eine politische Biografie (Ladwig-Winters, 2009, siehe Buch-Nr. 33278). Bisher stand seine Bedeutung für die Nachkriegspolitikwissenschaft, die Neo-Pluralismustheorie oder auch die Auseinandersetzung mit Weimar und dem NS-Doppelstaat im Vordergrund. Dorn rückt dagegen einen fast vergessenen, aber wichtigen Werk- und Wirkungsaspekt in den Mittelpunkt. Seine zentrale These ist, dass im „Denken Fraenkels [...] die Soziologie die unverzichtbare Grundlage der Politikwissenschaft [bildet]“ (184). Dorn erörtert deshalb die Bedeutung und Leistungsfähigkeit der politischen Soziologie exemplarisch anhand von Fraenkels Schriften zur Verfassungsentwicklung in USA, England, Frankreich und Deutschland. Vor diesem Hintergrund erkläre sich auch der Bruch und die systematisch-dogmatische Unvollständigkeit seines Denkens, schreibt er, denn bei Fraenkel habe die „politische Soziologie [...] die vornehmste Aufgabe, dem Menschen mit der Ausformung realitätsnaher Konzeptionen zu dienen und nicht mehr den primären Zweck, theoretisch reine Systeme zu erstellen“ (185). Soziologie ist für Fraenkel daher kein Systemdenken, aber gerade auch kein empiristisch-statistisches Fliegenbeinzählen, sondern das realistische Beobachten und Vergleichen der Entwicklung konkreter Herrschaftssysteme in Abhängigkeit von gesellschaftlicher Struktur, politischer Kultur und Geschichte; so erst wird etwa der Unterschied zwischen anglo-amerikanischem und kontinentalem Verfassungsdenken begreifbar. Das ist insofern ganz in der Tradition eines Max Weber und gilt auch noch für die anderen Verfassungssoziologen seiner Generation wie Otto Kirchheimer und Karl Loewenstein, mit Einschränkung sogar für den realistischen Teil der Arbeiten Carl Schmitts. Dorn sieht auch klar, dass dem bei Fraenkel eine existenzielle Dimension anhaftet, denn für den „Bereich der Politischen Soziologie gilt [...] die Wertfreiheit nicht“; vielmehr ist sein „politiksoziologische[s] Denken [...] maßgeblich durch das Erlebnis beeinflusst“, insbesondere durch die „‚amerikanische Erfahrung’“ (14 ff.).
Robert Chr. van Ooyen (RVO)
Dr., ORR, Hochschullehrer für Staats- und Gesellschaftswissenschaften, Fachhochschule des Bundes Lübeck; Lehrbeauftragter am OSI der FU Berlin sowie am Masterstudiengang "Politik und Verfassung" der TU Dresden.
Rubrizierung: 5.46 | 5.41 Empfohlene Zitierweise: Robert Chr. van Ooyen, Rezension zu: Reinhard Dorn: Verfassungssoziologie. Stuttgart: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33250-verfassungssoziologie_39759, veröffentlicht am 19.01.2011. Buch-Nr.: 39759 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken