Während sich das Bundesverfassungsgericht nach 1945 in der Bundesrepublik schnell „als gewichtigstes Organ der neuen Verfassungsarchitektur“ (3) entwickelte, spielte der französische Conseil constitutionnel bis Mitte der 1970er-Jahre in der Politik eine zweitrangige Rolle, schreibt Olivier Jouanjanin seinem Beitrag, der eine theoretische Grundlegung der deutsch-französischen Diskussion über die Stellung der Verfassungsgerichtsbarkeit im demokratischen Staat bietet. Das Thema wird in diesem Band, der die Verhandlungen der 4. Tagung des Deutsch-Französischen Gesprächskreises für Öffentliches Recht im Oktober 2008 in Freiburg dokumentiert, aus drei Perspektiven untersucht: Im ersten Teil schaut Jouanjan auf die im Fluss befindliche Entwicklung der französischen Verfassungsgerichtsbarkeit. Der zweite Abschnitt ist der Konstitutionalisierung des Verwaltungsrechts gewidmet – einem Rechtsgebiet, das im Kern die Staat-Bürger-Beziehungen zum Gegenstand hat und damit eine besondere Nähe zu den Gewährleistungen der Grundrechte aufweist. Die Thematik wird sowohl aus deutscher als auch aus französischer Sicht betrachtet. Im dritten Teil geht es um das Verhältnis von staatlicher Verfassungsgerichtsbarkeit und Europäischem Gerichtshof. Deutlich wird, dass die Verfassungsgerichtsbarkeit in beiden Ländern um das Verhältnis von Souveränität beziehungsweise nationaler Selbstbestimmung und europäischer Integration ringt. Sowohl der Conseil constitutionnel als auch das Bundesverfassungsgericht haben „den Umfang ihrer Kontrolle hinsichtlich europäischer Rechtsakte zurückgenommen“ (VI). Insgesamt habe das Bundesverfassungsgericht wichtige Beiträge zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts in Deutschland geleistet, lautet ein Ergebnis.