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Ulrich Becker / Armin Hatje / Michael Potacs / Nina Wunderlich (Hrsg.)

Verfassung und Verwaltung in Europa. Festschrift für Jürgen Schwarze zum 70. Geburtstag

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2014; 937 S.; geb., 198,- €; ISBN 978-3-8487-1365-3
Der Band ehrt den überzeugten Europäer und Europarechtler Jürgen Schwarze, der unter anderem in Bochum, Hamburg und zuletzt lange Jahre in Freiburg gelehrt hat. Er verfasste Pionierarbeiten im Bereich des europäischen Verwaltungs‑ und Wirtschaftsrechts, von denen die Festschrift geprägt ist. Da sein allgemeines Interesse aber immer den „Wechselwirkungen zwischen dem europäischen und nationalen Recht“ (8) gegolten hat, wird man auch aus politikwissenschaftlicher Sicht vereinzelt fündig (Euro‑Krise; differenzierte Integration; Innere Sicherheit und vor allem Rolle des EuGH). Bemerkenswert ist ein Aufsatz des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle, der sich mit der „Opposition im Europäischen Parlament“ (283) auseinandersetzt. Voßkuhle scheint hier das Problem des viel beschworenen Demokratiedefizits neu zu formulieren: Während bisher in der Rechtsprechung (Maastricht und Lissabon) dies vor allem als fehlender Demos im Sinne einer nationalen Souveränität des deutschen Volkes als Kollektivsubjekt gedeutet wurde, konstatiert er vielmehr ein „oppositionelles Defizit“ (291) im EU‑Parlament – und zwar in einem eher institutionell‑verfahrensmäßigen Sinne, weil das Wesen der Demokratie für ihn maßgeblich durch die Vielheit der Minderheiten und – im parlamentarischen System – durch die Opposition geprägt ist. So gesehen wird nicht mehr das fehlende europäische Volk, sondern die zu schwache „Oppositionskultur“ (299) zum zentralen Problem. Damit ist Voßkuhle – auch in seinen Literaturverweisen – ganz nahe an der „anderen“ Tradition der (deutschen) Staats‑ und Verfassungslehre im Sinne eines Hugo Preuß und Hans Kelsen (sowie des früheren Verfassungsrichters Konrad Hesse, der für den berühmten Brokdorf‑Demokratie‑Beschluss des Ersten Senats mitverantwortlich zeichnete) beziehungsweise des anglo‑amerikanischen Verständnisses von ‚government‘ eines Robert Dahl. Kündigt sich vielleicht hier der überfällige Richtungswechsel in der Demokratietheorie des Zweiten Senats an – weg von der dominanten und immer wieder heftigst kritisierten ‚Rousseau‑Schmitt‑Böckenförde‑Linie‘ hin zur Pluralismustheorie als ‚neuer‘ Verfassungstheorie für das Grundgesetz und die europäische Integration?
{RVO}
Rubrizierung: 3.11.33.23.33.52.3252.61 Empfohlene Zitierweise: Robert Chr. van Ooyen, Rezension zu: Ulrich Becker / Armin Hatje / Michael Potacs / Nina Wunderlich (Hrsg.): Verfassung und Verwaltung in Europa. Baden-Baden: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39090-verfassung-und-verwaltung-in-europa_46615, veröffentlicht am 19.11.2015. Buch-Nr.: 46615 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken