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Heinrich Detering / Eva Karadi (Hrsg.)

Ungarn und Europa. Positionen und Digressionen

Göttingen: Wallstein Verlag 2014 (Valerio 16/2014); 188 S.; brosch., 10,- €; ISBN 978-3-8353-1204-3
Der Sammelband, der unter anderem auf eine Initiative der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung zurückgeht, ist getragen von einer großen Sorge: „Es sind beklemmende Nachrichten, die seit 2010 mit wachsender Dringlichkeit aus Ungarn zu hören sind, diesem Land, das jahrzehntelang als Vorkämpfer der Demokratie im einstigen sowjetischen Machtbereich galt.“ (9) Einschränkungen der Meinungsfreiheit, eine heroisierende Verklärung der eigenen Geschichte und ein sich als dezidiert exklusiv verstehender Nationalismus sind nur einige der Aspekte, die eine politisch‑kulturelle Gegenwartsdiagnose der Regierungszeit von Premierminister Viktor Orbán nicht unberücksichtigt lassen darf. Das Besondere an der mit diesem Band vorgenommenen Bestandsaufnahme besteht darin, dass sie Beiträge verschiedener Treffen von Intellektuellen in Deutschland und Ungarn zusammenträgt, die eben nicht nur politikwissenschaftliche oder soziologische, sondern auch literarische Zugänge zur Prekarisierung der Demokratie in Ungarn suchen. Neben kurzen Aufsätzen aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven finden sich insbesondere Interviews und Gespräche. Karl‑Markus Gauss etwa zieht eine Parallele zwischen der Orbán‑Regierung und dem Aufkommen sowie der staatstragenden Etablierung des Rechtspopulismus in Österreich, wie sie maßgeblich Jörg Haider voranzutreiben vermocht hatte. Im Unterschied zu Haider sei Orbán mit seinem Versuch der gesellschaftlichen und politischen Umgestaltung noch weitaus gefährlicher: „Ich glaube […], dass die autoritären Kräfte in Ungarn einen noch radikaleren Wandel im Sinne haben und dabei jedenfalls mehr Geschick zeigen, über die reiche Staatsbeute, die sie machen, nicht mit sich selbst in Streit zu geraten. Was in Ungarn heute geschieht geht [...] die Europäer im Allgemeinen an.“ (119) Sollten also tatsächlich, nachdem Ungarn 1989 den Eisernen Vorhang geöffnet hat, tragischerweise gerade dort die Grenzen – und nicht nur die territorialen – langsam wieder undurchlässiger werden, dann ist zumindest eines klar: Es kann niemand ernsthaft behaupten, von den Entwicklungen nichts gewusst, geschweige denn nicht zur Diskussion aufgefordert worden zu sein. Zu beidem – zur Verbreitung des Wissens über den ungarischen Patienten wie auch zur Diskussion über mögliche Handlungsperspektiven – leistet der Band einen Beitrag.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.612.22.222.23 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Heinrich Detering / Eva Karadi (Hrsg.): Ungarn und Europa. Göttingen: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37360-ungarn-und-europa_45754, veröffentlicht am 31.07.2014. Buch-Nr.: 45754 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken