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Rüdiger Kipke (Hrsg.)

Ungarn 1956. Zur Geschichte einer gescheiterten Volkserhebung

Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2006; 211 S.; brosch., 26,90 €; ISBN 978-3-531-15290-5
Die Ereignisse des Jahres 1956 haben „ihre Bedeutung für die ungarische Nation behalten“, schreibt Kipke, Professor für Politikwissenschaft in Siegen. „Haften geblieben sind sie als der Versuch, den Status eines Satelliten der Sowjetunion abzuschütteln und Souveränität über das eigene Land zu erlangen“ (9). Die Autoren analysieren einzelne Aspekte, eingebettet in Beiträge über die Vorgeschichte, deren Beginn mit dem Tod Stalins 1953 anzusetzen ist, und die nachfolgende Entwicklung in Gestalt des Kádárismus. Der Band eignet sich zur einführenden Lektüre, vorgestellt werden u. a. die Akteure und ihre Ideen sowie die Reaktionen der Sowjetunion. Bis zu 1,8 Millionen Menschen beteiligten sich am Aufstand, darunter viele Jugendliche; etwa 10.000 bis 15.000 waren bewaffnet. Die politischen Strömungen reichten von dem Streben „nach irgendeinem nationalen, ungarischen Sozialismus“ bis zu den Vorstellungen „einer idealisierten bürgerlichen Demokratie westlichen Typus“ (67), schreibt Éva Standeisky. Die Menschen „dachten an eine ideale Demokratie, die sich aber mit keinem historischen Vorläufer verbinden ließ“ (92). Hervorzuheben ist ferner der zweite Beitrag der Autorin über den Antisemitismus zur Zeit der Revolution. Es wäre „nicht korrekt, die Volkserhebung des Jahres 1956 mit dem Antisemitismus zu diskreditieren“ (98), ebenso aber widerspräche eine Verharmlosung den Tatsachen. Gerade in Ortschaften, in die nach dem Holocaust Juden zurückgekehrt seien, sei es zu Ausschreitungen gekommen. Allein durch ihre Anwesenheit hätten die Juden Ortsansässige an deren nicht eingestandene Schuld erinnert, den Enteignungen und Deportationen während der NS-Zeit gleichgültig zugesehen zu haben. 1956 sei ein eingekapselter Antisemitismus ausgebrochen und habe sich mit der Wut auf das stalinistische System gewaltsam verbunden. Im öffentlichen Bewusstsein aber seien vor allem die vielen Toten und Verwundeten der tagelangen Kämpfe präsent geblieben, schreibt Kipke. Bis 1961 richtete das Regime 229 Menschen wegen der Beteiligung an der Revolution hin.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.61 | 2.25 | 2.62 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Rüdiger Kipke (Hrsg.): Ungarn 1956. Wiesbaden: 2006, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/27774-ungarn-1956_32619, veröffentlicht am 03.12.2007. Buch-Nr.: 32619 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken