Mit zunehmendem zeitlichem Abstand erfährt die von Ende November 2013 bis Ende Februar 2014 andauernde Protestbewegung des Euromaidan in der Ukraine vermehrt sozial‑ und kulturwissenschaftliche Einordnungsversuche. Die Autor_innen dieses Sammelbandes verorten die Bewegung als „bürgerliche Revolution“ und treten mit dem Anspruch an, aus der Perspektive vom Beginn des Jahres 2015 „neue Interpretationen der Ereignisse“ liefern zu wollen. Überwiegend an Forschungseinrichtungen in Kanada, den Vereinigten Staaten, Großbritannien und der Ukraine in den Bereichen Politikwissenschaft, Geschichte und Soziologie tätig, waren mehrere der Beiträger_innen direkt an den Geschehnissen beteiligt, sodass „nicht jeder Autor einen wirklich objektiven Zugang verfolgt“ (25). Der Reiz des Bandes liegt mithin in dieser Mischung aus akademischem Interesse und persönlicher Betroffenheit, was es beim Lesen freilich zu beachten gilt – eigentlich eine Selbstverständlichkeit, auf die man sich angesichts der emotionalen Debatten über den politischen Umsturz vom Jahreswechsel 2013/14 und die folgenden Entwicklungen jedoch häufiger besinnen sollte. Mitherausgeber David Marples schlägt in seiner Einleitung denn auch den Bogen bis zu den weiterhin andauernden militärischen Auseinandersetzungen in der östlichen Ukraine, während die restlichen Beiträge Einzelstudien zum Euromaidan selbst, zu seinen Voraussetzungen, den Beteiligten und den Nachwirkungen bieten. Die Bandbreite reicht von Kontextualisierungen im Rahmen der Geschichte der unabhängigen Ukraine (Olga Onuch, Taras Kuzio) und Studien über mediale Aspekte (Marta Dyczok, Svitlana Krasynska) sowie über persönliche Motivationen und Reflektionen (Anna Chebotariova, William Risch) bis hin zu aktuellen kulturwissenschaftlichen Fragestellungen zu Semantiken, Raumwahrnehmungen und Geschlechterrollen (Tanya Zaharchenko, Natalia Otrishchenko, Olesya Khromeychuk) sowie zu Ausführungen über externe Reaktionen (Aya Fujiwara, Uladzimir Padhol und die Herausgeber Marples und Mills).