Skip to main content
Johann Dvořák

Über Theorien des Politischen in der europäischen Neuzeit

Wien: facultas.wuv 2014 (manual); 234 S.; 16,90 €; ISBN 978-3-7089-1232-5
Politik verfolgt immer einen praktischen Gestaltungsanspruch, der in die Gesellschaft hineinwirkt. Davon ausgehend, verfolgt Johann Dvořák in seinem Lehrbuch den Ansatz, die Entstehung der modernen Politikwissenschaft in Europa sozialgeschichtlich anhand der Fallbeispiele Englands und Österreichs zu rekonstruieren: „Nur wenn eine größere Zahl von Individuen an der politischen Gestaltung der Gesellschaft beteiligt (oder an dieser Gestaltung interessiert) ist“, so Dvořák in der Einleitung, „werden eventuell Theorien über Politik entwickelt“ (10). Solche Momente oder Prozesse der Gestaltung, wie etwa die Reformation und die Überwindung der Leibeigenschaft bis hin zur Arbeiterbewegung, müssten selbst notwendigerweise weder besonders geordnete noch demokratische Prozesse gewesen sein. In einer europäischen Retrospektive seien sie vom heutigen Standpunkt aus betrachtet jedoch in eine stabile, ebenso rechtsstaatliche wie demokratische Ordnung gemündet, die in Teilen bereits den Nationalstaat transzendiere. Von den fünfzehn Kapiteln des Bandes haben die ersten drei eher einführenden Charakter – in ihnen werden die aus der Konzeption resultierenden Schlüsselbegriffe ebenso geklärt wie der Begriff der Sozialgeschichte. Etwas aus dem Rahmen fällt die Auseinandersetzung mit dem „Herrschaftswissen in der Antike“ (27), die keine wirkliche Erörterung des antiken politischen Denkens enthält, sondern eher als eine Überleitung zu den folgenden Einzelanalysen dient und noch einmal betont, dass Wissen und Bildung und der Zugang dazu immer „blockiert und umkämpft“ (28) waren. In seiner Betrachtung der Arbeiterbewegung in England etwa kommt Dvořák zu dem Schluss, dass „politische Rechte ausschließlich mit Besitz und Eigentum verbunden waren“ (130). Um diesen Zustand zu verändern, hätten gerade die Chartisten zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf eine „selbstorganisierte, massenhafte und kontinuierliche Erziehung“ (142) gesetzt, um eine ebenso dezentrale wie permanente Demokratisierung Englands zu ermöglichen. Mit Blick auf Österreich beschäftigt sich Dvořák mit der zu Unrecht häufig übersehenen Helene Bauer, die er als Kritikerin der österreichischen Schule der Nationalökonomie und damit eines „Vorfahren des heutigen Neoliberalismus“ (208) einführt. Bauer, so seine Einschätzung, habe insbesondere gezeigt, dass Wissenschaft und Welt zusammengedacht und vor allem zusammen gestaltet werden müssen, dass Wissenschaft mithin, um es mit Hermann Hesse zu formulieren, kein Glasperlenspiel sein dürfe.
{LEM}
Rubrizierung: 5.15.315.335.422.222.42.61 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Johann Dvořák: Über Theorien des Politischen in der europäischen Neuzeit Wien: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38908-ueber-theorien-des-politischen-in-der-europaeischen-neuzeit_47503, veröffentlicht am 24.09.2015. Buch-Nr.: 47503 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken